Februar 1989 in Podujevë im Nordosten Kosovos: Die Gymnasiastin Basrie erhebt im Klassenzimmer ihre Stimme und ruft zur Solidarität mit streikenden Bergarbeitern auf. Damit gerät sie ins Visier der Schulleitung und wenig später der Polizei. In diesen Wochen eskaliert die Lage im Kosovo: Aufhebung des Autonomiestatuts durch die Milosevic-Regierung, Streiks, blutig niedergeschlagene Demonstrationen, Razzien, Verhaftungswellen, Tote.
Basrie Murati schliesst sich einer AktivistInnengruppe an und hilft bei der Organisation von Demonstrationen. Als sie zur Fahndung ausgeschrieben wird, taucht sie unter. Alle paar Tage wechselt die Gruppe den Unterschlupf, nachts schleicht sie durch die Wälder im hügeligen Umland von Dorf zu Dorf. Bis die Gefahr, von der serbischen Polizei entdeckt zu werden, zu gross wird. Schweren Herzens verlässt Basrie im Alter von 18 Jahren ihre Heimat.
Nun hat Basrie Sakiri- Murati ihre damaligen Erlebnisse veröffentlicht. Ihr Buch basiert im ersten Teil auf Tagebuch- Einträgen aus den frühen 1990er- Jahren. Im zweiten Teil beschreibt die inzwischen zweifache Mutter und akkreditierte Übersetzerin ihr Leben in der Schweiz. Motiviert, ihre Geschichte niederzuschreiben, wurde sie durch die Flüchtlingskrise 2015. «Es war, als ob ich mich selbst im Spiegel sähe», so die heutige Bernerin.
Die Einsamkeit war zeitweise überwältigend.
Ihre Integration beginnt harzig. Allein im Exil, ohne Deutschkenntnisse. Die Einsamkeit war zeitweise überwältigend: «Manchmal dachte ich: Wäre ich doch lieber gestorben!», gibt die 48-Jährige zu. In ihrem ersten Job wird sie von einem Wirtepaar schamlos ausgenutzt und betrogen. Mit den Jahren verbessert sich ihre Lage. Sie arbeitet im Gastgewerbe, im Gesundheitswesen und – als die Zahl der kosovarischen Flüchtlinge steigt – als Dolmetscherin. Sie lernt einen Mann kennen und gründet eine Familie. Grosse Freude bringen Besuche der Mutter oder von ebenfalls ins Ausland geflohenen Geschwistern.
Doch die Angst um ihre Angehörigen im Kosovo bleibt. Ein Anruf bei einer Tante, die sie aus Furcht vor Bespitzelung abwimmelt, lässt sie verstört zurück. Als 1998 aus dem Konflikt ein Krieg wird, verfolgt Basrie Sakiri-Murati Tag und Nacht die News. Und muss Schreckliches erfahren. Im Sommer 1999, nach dem Rückzug der jugoslawischen Armee, kann sie erstmals in den Kosovo zurückkehren. In die Glücksgefühle des Wiedersehens nach zehn Jahren mischt sich die Trauer über verlorene Familienmitglieder und FreundInnen.
«Bleibende Spuren» füllt den Begriff Flüchtling mit einer Geschichte, einem Gesicht aus. In seinen traurigsten Momenten erschüttert das Buch. Mehr noch erzählt es aber von Willenskraft und Emanzipation, von der Liebe zur Familie, grosser Solidarität und von Freundschaften – im Kosovo und in der Schweiz.