Wer das eritreische Regime kritisiert, ist selbst im Exil nicht sicher – auch nicht in der Schweiz. Dies zeigt ein neuer Bericht von Amnesty International: Daniel Mekonnen, der Präsident der Eritrean Law Society, eines regierungskritischen Verbands eritreischer Anwältinnen und Anwälte, wurde 2016 nach einer Uno-Dialogveranstaltung in Genf von einer Gruppe Demonstrierender angegriffen, bedroht und beschimpft. Die aufgebrachte Menge bewarf ihn auf dem Weg zur Busstation mit Flaschen und Dosen, beschimpfte ihn als Verräter und verfolgte ihn. Selbst als er Schutz beim Sicherheitspersonal der Uno suchte, nahmen die Bedrohungen und Beschimpfungen kein Ende.
Die Erfahrungen Daniel Mekonnens passen in ein Muster: Im Bericht «Repression Without Borders» zeigt Amnesty auf, wie eritreische Oppositionelle auch in Kenia, den USA, den Niederlanden, Norwegen, Schweden und Grossbritannien Gefahr laufen, von Angehörigen und SympathisantInnen des eritreischen Regimes angegriffen zu werden. Betroffene berichten von tätlichen Angriffen, anonymen Drohanrufen und Verleumdungskampagnen über soziale Medien. Die Fäden zieht dabei offenbar die Regierungspartei PFDJ (People’s Front for Democracy and Justice): Die Übergriffe und Bedrohungen gingen zumeist von Mitgliedern und SympathisantInnen des des Jugendflügels der PFDJ aus und wurden wiederholt über soziale Medien auch von Angehörigen des eritreischen Botschaftscorps begrüsst und angeheizt. Daniel Mekonnen betrachtet die Übergriffe als Teil einer umfassenden Strategie der PFDJ, Regimekritikerinnen und Menschenrechtsverteidiger auch im Ausland zu bedrängen und so zum Schweigen zu bringen.
Nun ist das eritreische Regime nicht die einzige Diktatur, die ihre KritikerInnen auch im Ausland verfolgt. Gaddafi schreckte vor Jahrzehnten sogar vor Morden nicht zurück, ebenso wenig wie das saudische Regime, das als Auftraggeber des Mords am Journalisten Jamal Khashoggi vermutet wird. Auch von anderen Ländern wie Ruanda oder Iran sind Morde an exilierten Oppositionellen bekannt. So weit ist das eritreische Regime nicht gegangen. Die Vorfälle aber zeigen: Präsident Afewerki und die PFDJ dulden nach wie vor keine Kritik an ihrer Politik und an den Menschenrechtsverletzungen im Land – selbst dann nicht, wenn diese Kritik im vermeintlich sicheren Exil ertönt.
Das passt leider ins Bild, das Amnesty von der Menschenrechtslage in Eritrea hat: Trotz Beilegung des Konflikts mit Äthiopien und den damit einhergegangenen Hoffnungen hat das Regime seinen stählernen Griff um Land und Leute nicht gelockert. Von vielen Verhafteten fehlt weiterhin jede Spur. Der Staat kontrolliert nach wie vor sämtliche Medien. Und auch am System des zeitlich unbefristeten «Nationaldienstes », das vielen jungen Eritreerinnen und Eritreern jede Perspektive auf ein selbst bestimmtes Leben raubt, wird nicht gerüttelt. Das Bild, das diverse Schweizer ParlamentarierInnen von Eritrea vermitteln wollen als einem Land, in das die Schweiz viele der Flüchtlinge wieder bedenkenlos zurückschicken könne, bleibt deshalb leider ein Zerrbild.