Er habe sicher jemand anderen gemeint, dachte sich Ileana Heer Castelletti, als Lorenz Nufer sie für einen Film anfragte. Wieso sollte ausgerechnet sie in einem Film über HelferInnen auf den griechischen Inseln zu sehen sein, sie sei doch gar niemand Besonderes? Heute findet sie: «Der Film zeigt, dass alle etwas tun können – auch eine Frau mit 78 Jahren wie ich.»
Der Dokumentarfilm «Volunteer» porträtiert Menschen aus der Schweiz, die ab 2015 in Griechenland als Freiwillige im Einsatz waren: Michael Räber, der den Verein Schwizerchrüz gegründet hat; den Bauern Thomas Hirschi und seine Partnerin Sarah Hirschi-Gerber, die Tierärztin ist; den Komödianten Michael «Grosi» Grossenbacher. Und Ileana Heer Castelletti, seit Jahrzehnten engagiertes Amnesty-Mitglied. «Ich war 40 Jahre lang für die Menschenrechte aktiv, aber immer vom Schreibtisch aus», erzählt sie. Als vor einigen Jahren die Flüchtenden in Griechenland eintrafen, habe sie sich gedacht: «Ich will tun, wovon ich immer geträumt habe, was ich mir aber nie zugetraut hatte. Ich will vor Ort sein, damit die Flüchtlinge wissen, dass jemand an sie denkt.» Sie packte ihre Koffer und reiste los. Zuerst hatte sie Angst vor dem nächtlichen «Dienst» am Strand und schälte Kartoffeln oder sortierte tagelang gespendete Kleider. Dann, nach zehn Tagen und mit pochendem Herz, wagte sie sich auch nachts an den Strand, um Neuankömmlinge in Empfang zu nehmen. Seither hat sie mehrere Einsätze in Griechenland absolviert.
«Volunteer», der für den Prix de Soleure nominiert war und am Zurich Film Festival den Publikumspreis gewonnen hat, geht unter die Haut. Er besteht zum Teil aus Videos, die von Freiwilligen vor Ort aufgenommen wurden. Auch Co-Regisseur Lorenz Nufer war ein solcher Freiwilliger, später holte er Regisseurin Anna Thommen («Neuland») zum Filmprojekt. Die Videos wurden ergänzt mit Interviews, in welchen Helfende nach ihrer Rückkehr in die Schweiz zu Wort kommen. Der Film erzählt, was diese «einfachen Bürger und Bürgerinnen» zu ihrem Engagement treibt. Er verschweigt auch Schattenseiten nicht. Vor allem aber lässt er uns Daheimgebliebene sehen, was die Freiwilligen sahen: dass die Leute, die während der sogenannten Flüchtlingskrise nach Europa «strömten», eben keine anonyme Masse waren. Sondern Menschen mit einem Schicksal, mit einer Geschichte. Wir sehen, wie erbärmlich die Zustände manchenorts waren und immer noch sind.
«Ich bin ja immer noch mit den Helfern vor Ort vernetzt, aber manchmal kann ich die News gar nicht lesen, weil es mir das Herz bricht», sagt Ileana Heer Castelletti. Dass immer noch Flüchtlinge in der Kälte und in überfüll ten Lagern hausen, ist ihr unverständlich. Genauso unverständlich ist ihr, dass Regierungen nun versuchen, Helfende einzuschüchtern und zu bestrafen, zum Beispiel wegen Schlepperei. «Wie kann man Menschlichkeit bestrafen?»