Worte auf der Goldwaage
Ich bin eine mittelalterliche weisse Frau. Das ist nicht ganz so verdächtig, wie wenn ich ein mittelalterlicher weisser Mann wäre. Aber es ist doch privilegiert genug, dass ich jedes meiner Worte auf die Goldwaage legen muss.
Ich korrigiere mich deshalb hier gleich selber: Ich bin eine mittelalterliche, weisse Cis-Frau (meine Genderidentität stimmt mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht überein) und ich nehme bei der Olympiade der Unterdrückung einen der letzten Plätze ein.
Kürzlich wurde ich denn auch dafür kritisiert, dass ich an einer Veranstaltung nur von «Frauen» gesprochen habe und die zusätzlich dem Rassismus ausgesetzten «farbigen Frauen» einfach mitgemeint habe. Zudem habe ich bei der Problematisierung von Sexismus die Queer-Personen unerwähnt gelassen und so der Intersektionalität, also der Überschneidung und Addierung von Formen der Unterdrückung, nicht Rechnung getragen.
Das tut mir leid. Es war nicht meine Absicht, Menschen in Sachen Diskriminierung zu diskriminieren. Nächstes Mal werde ich nicht mehr von «Frauen» sprechen, sondern von «Menschen aller Couleur, die schwanger werden können».
Die Ironie ist beabsichtigt. Ich finde den heutigen Status-Wettbewerb im Unterdrückungs- und Inklusionsdiskurs nämlich etwas befremdlich. Gibt er doch eine Steilvorlage für das omnipräsente Gejammer über politische Korrektheit ab. «Das wird man wohl noch sagen dürfen», heisst es dann sofort von rechts aussen, um frauen- und ausländerfeindliche Gesinnung im Gewand der Aufklärung zu verbreiten.
Was man sagt, legt offen, was man denkt und wie man die Welt sieht, kann man nun einwenden und darauf pochen, dass wir die Wörter «Fräulein», «Schwuchtel» oder «Neger» auch nicht mehr benutzen. Das ist zweifelsohne richtig. Sprache beeinflusst durchaus, wie wir denken, aber sie determiniert unser Denken nicht. Als weisse mittelalterliche Frau habe ich nicht nur das Privileg, kein Opfer von Rassismus und Homophobie zu werden, sondern auch alt genug zu sein, um erlebt zu haben, was der sprachliche Gleichstellungskampf alles nicht erreicht hat: Das «Fräulein» wurde zwar ausgerottet, der Sexismus aber hat überlebt. Die Krankenschwestern wurden durch Pflegefachfrauen ersetzt, aber Fürsorge ist schlecht oder gar nicht bezahlte Frauensache geblieben.
Die Erziehung der Gesellschaft via Sprache ist beschränkt. Doch wer in Diskussionen verbal sämtlichen Minderheiten und Unterschieden gerecht werden muss, kann keine Aussage mehr machen, die über das eigene Erleben hinauszeigt. Das aber käme einer Bankrotterklärung des politischen Diskurses gleich.
Nicole Althaus ist Chefredaktorin Magazine bei der «NZZ am Sonntag».
Nicht einfach mitgemeint
Ein Familienfest steht an: Es wird viel geredet, gelacht und immer mal wieder fallen Sprüche – leider auch Sprüche gegen Frauen, gegen nicht-weisse Menschen oder gegen Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung. Manche lachen darüber, doch die eine oder andere Person hat ein unangenehmes Ziehen im Bauch – was tun? Wir können lernen, gegen solche Sprüche und gegen Diskriminierung einzustehen. Und ein Teil dieses Einstehens und Handelns kann auch ein bewusster Sprachgebrauch sein.
Wir können von Ärztinnen und Ärzten sprechen statt nur von Ärzten. Und noch besser, von Ärzt_innen (also mit einer kurzen Sprechpause), damit nonbinäre Menschen (Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen) auch mitgemeint sind. Denn verschiedenste Studien zeigen: Die Annahme, beim Begriff «Ärzte» seien alle mitgemeint und wir dächten ganz automatisch an Männer, Frauen und an nonbinäre Menschen, ist falsch. Wird nur von Ärzten gesprochen, dann stellt sich die Mehrheit der Zuhörenden einen Mann vor. Wenn wir unseren Sprachgebrauch reflektieren, können wir uns der Normen bewusster werden. Wir alle haben Vorstellungen, die wir schon von klein auf entwickeln. Vorstellungen davon, wer was tun darf, wer mitgemeint ist, wer dazu gehört und wer nicht. Und wessen Stimme welches Gewicht hat in unserer Welt.
Eine sensible Sprache hilft, die Vielfalt von uns Menschen abzubilden, damit auch Minderheiten und Menschen, die nicht den Normen entsprechen, erwähnt und sichtbar werden. Unser Sprachgebrauch kann zusammen mit vielen anderen Handlungen dazu führen, dass beim Bau eines öffentlichen Gebäudes auch ein Stillzimmer, ein Zugang für Menschen im Rollstuhl und ein Unisex- WC geplant werden. Eine sensible Sprache hilft uns, auf respektvolle Weise über verschiedene Erfahrungen zu sprechen. So können wir sprechen, ohne Menschen zu verletzen oder unsichtbar zu machen. Ich finde es wichtig, dass verletzende Worte nicht reproduziert werden. Oft wird eingewendet, dass es dann nicht möglich sei, über bestimmte Erfahrungen zu sprechen. Dem stimme ich nicht zu. Mit einer sensiblen Sprache zeigen wir auch, dass wir etwas verstanden haben: nämlich den Umstand, wie gewaltvoll bestimmte Begriffe sind, weshalb wir sie auch nicht in einem Text verwenden wollen. Wir können vom «N-Wort» schreiben oder schreiben, dass jüdische Menschen mit Schweinen verglichen wurden, statt das Wort einmal mehr niederzuschreiben und so Menschen erneut zu verletzen. Eine bewusste Sprache ist ein Element von vielen in unserem Engagement für die Menschenrechte und dafür, dass die Welt gerechter wird.
Regula Ott ist Bioethikerin und Mitglied des Vorstands von Amnesty Schweiz.