Mitglieder der Methodistenkirche verteilen Nahrungsmittel an Verarmte. © Sherman, TX / shutterstock.com
Mitglieder der Methodistenkirche verteilen Nahrungsmittel an Verarmte. © Sherman, TX / shutterstock.com

MAGAZIN AMNESTY Corona-Krise Luxusgut Gesundheit

Von Kessava Packiry, New York. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von Juni 2020.
In den Vereinigten Staaten haben Millionen Menschen keine Krankenversicherung. Covid-19 ist für sie auch ein Schuldenrisiko.

Er sei gesund, sagt Carl Gibson. Dennoch sei er besorgt, denn er dürfe keinesfalls an Covid-19 erkranken. Oder überhaupt krank werden. Auch ein Unfall wäre für ihn eine Katastrophe. Carl Gibson hat keine Krankenversicherung. Wie 27 Millionen anderer US-BürgerInnen auch.

«In den Vereinigten Staaten ist die Gesundheitsversorgung kein Recht, sondern steht nur denjenigen zur Verfügung, die es sich leisten können.» Carl Gibson, Journalist

Unter den Industrienationen hat die führende Wirtschaftsmacht eines der schlechtesten Systeme der sozialen Sicherheit. Es gibt in den USA so gut wie keine bezahlten Krankentage, Arbeitslosengeld wird maximal sechs Monate lang ausbezahlt, Kurzarbeit ist praktisch inexistent. Der Zugang zu einer allgemeinen Krankenversicherung wird durch die Republikanische Partei und den Präsidenten weiterhin torpediert: So wurde die Busse, die man bezahlen muss, wenn man nicht versichert ist, auf einen Dollar herabgesetzt.

«In den Vereinigten Staaten ist die Gesundheitsversorgung kein Recht, sondern steht nur denjenigen zur Verfügung, die es sich leisten können», sagt Gibson, der an der Ostküste lebt. Der freiberuflich tätige Journalist hat zwar Arbeit, doch bringt diese ihn in die unangenehme Lage, in der Millionen US-AmerikanerInnen stecken: «Ich verdiene zu viel, um für Medicaid (das öffentliche Krankenversicherungsprogramm für Einkommensschwache, Anm. der Red.) infrage zu kommen, aber zu wenig, um mir eine private Versicherung leisten zu können.»

Eine solche Grundversicherung kostet häufig mehr als 500 Dollar im Monat – mit einem Selbstbehalt von 5000 US-Dollar. Das ist ein Betrag, den sich viele nicht leisten können. So muss Carl Gibson alles daran setzen, nicht krank zu werden. 2013 musste er nach einem Sturz mit dem Velo dennoch in die Notaufnahme: «Der Arzt legte meinen Arm in eine Schlinge und verschrieb Schmerzmittel. Das hat mich über 4000 Dollar gekostet.» Gibson ist immer noch dabei, diese Schulden abzubauen, die nun auf seiner Kreditwürdigkeit lasten. Mit einer schlechten Kreditwürdigkeit ist es in den USA aber schwer, eine Wohnung, ein neues Auto oder einen Job zu finden.

Im Gegensatz zu Carl Gibson ist Suzanne aus Oakland an der San Francisco Bay versichert. Wie 60 Millionen andere SeniorInnen ist sie bei Medicare. Die einkommensabhängigen Prämien werden automatisch vom Sozialversicherungs- Scheck der Regierung abgezogen. «Der Hauptvorteil von Medicare besteht darin, dass wir ab 65 Jahren eine medizinische Grundversorgung erhalten», sagt Suzanne. Allerdings übernimmt Medicare nur 70 Prozent der Kosten und deckt nicht alle Eingriffe ab. «Daher habe ich eine Versicherung abgeschlossen, die die verbleibenden Kosten bezahlt», sagt Suzanne. Doch auch das hat seinen Preis. «Diese Prämien belaufen sich auf fast 1000 Dollar im Monat, zusätzlich zu den 355 Dollar für Medicare.»

In die grösste Lücke im US-Gesundheitssystem fallen EinwanderInnen und Sans-Papiers.

In die grösste Lücke im US-Gesundheitssystem fallen EinwanderInnen und Sans-Papiers. Lawrence Gostin, Professor für Gesundheitsrecht an der Georgetown University in Washington D.C., erklärt: «Sie gehen kaum je zum Arzt und lassen sich auch nicht auf das Coronavirus testen, weil sie Angst haben.» Im Sommer 2019 führte Präsident Trump eine Regelung ein, auf deren Grundlage AusländerInnen abgewiesen werden können, wenn sie zu einer «Last für die Gesellschaft» werden könnten. Luz Gallegos von der Einwanderungshilfe- NGO Todec bestätigte gegenüber Medien, dass die Inanspruchnahme von subventionierten Pflegeleistungen, aber auch der Gesundheitszustand der Antragstellenden nun Kriterien für eine Ablehnung seien.

Die Trump-Regierung hatte zwar versichert, dass kein Covid-19-Patient im Stich gelassen würde. Doch Carl Gibson bezweifelt das. «Wird die Verwaltung ihr Wort brechen, wie sie es bei so vielen anderen Dingen tat? Ich hoffe, dass unsere Politiker nach dieser Krise das System reformieren und Pflege für alle zugänglich machen.»