AMNESTY: Warum überhaupt eine Graphic Novel zur Atombombe?
Didier Alcante: Das geht zurück auf eine Reise nach Japan, die ich in den 70er-Jahren als Kind mit meinen Eltern machen durfte. Wir besuchten das Denkmal in Hiroshima, und ich war gleichermassen entsetzt wie fasziniert. Seither habe ich alles zu diesem Thema gesammelt. Dieses Ereignis verdient es, in einer Graphic Novel erzählt zu werden. Ich holte mir die Unterstützung von Laurent Frédéric Bollée, einem befreundeten Autor, und vom kanadischen Zeichner Denis Rodier.
Die Graphic Novel erzählt viele Details. War es schwierig, die Fakten zu beschaffen?
Nein, die Informationen waren alle freigegeben. Wir konnten uns auf eine beeindruckende Menge an Literatur stützen, die voll von Zitaten ist und offizielle Dokumente wiedergibt.
Sie haben sich für den Physiker und Molekularbiologen Leo Szilard als Hauptfigur entschieden – jemanden, der der breiten Öffentlichkeit unbekannt ist. Warum?
Szilard ist eine faszinierende Persönlichkeit, die sich uns schnell aufgedrängt hat, weil er in der ganzen Geschichte immer wieder vorkommt. Und er war der erste Wissenschaftler, der in den 1930er- Jahren begriff, dass die Kernspaltung schliesslich zu Bomben führen würde. Er ist derjenige, der den Start des amerikanischen Bombenprogramms ausgelöst hat. Paradoxerweise war er ein Pazifist, der die Bombe nur als Abschreckungsmittel sah, das niemals gegen den Menschen eingesetzt werden sollte.
Die Forscher gingen damals manchmal wahnwitzige Risiken ein.
1942 testeten sie eine erste Kettenreaktion im Zentrum von Chicago, ohne ganz sicher zu sein, sie kontrollieren zu können, und ohne Strahlenschutz. Der ersten Explosion in Los Alamos wohnten sie nur in weissen Kitteln und mit Sonnenbrillen bei. Das Rennen um die Atombombe verlief unter enormem Zeitdruck, weshalb die Sicherheit zurückstand. Die Strahlenrisiken wurden völlig unterschätzt.
Was halten Sie von dem Argument, dass die Atombombe einen Krieg beendete, der ansonsten noch viele Jahre gedauert und noch mehr Opfer gefordert hätte?
Interne US-Militärberichte schätzen, dass bei einer Landung in Japan zwischen 20 000 und 50 000 Amerikaner ums Leben gekommen wären. Das ist weit weg von der in der Propaganda vorgebrachten Zahl einer Million zusätzlicher Toter. Auch wäre eine Landung wohl gar nicht nötig gewesen: Eine Blockade hätte dazu geführt, dass Japan kapituliert.
Die Atombombe wurde seit 1945 nicht mehr militärisch eingesetzt.
Die Idee eines Einsatzes der Atombombe kam im Vietnamkrieg wieder auf. Die US-Regierung gab sie schliesslich glücklicherweise auf, vor allem aus Image-Gründen und um den amerikanischen Einfluss in Asien nicht zu verlieren. Die Bombe bleibt eine extreme Bedrohung. Es ist eine erschreckende Vorstellung, dass sie eines Tages in die Hände eines skrupellosen Diktators fallen könnte. Wie schon Szilard es seinerzeit befürwortete: Internationale Kontrolle ist unverzichtbar und die einzig vernünftige Lösung.