Jesus ist Schwarz, er ist Feldarbeiter und hat keine Papiere: Für seinen neuen spektakulären Film nimmt sich Milo Rau die Situation afrikanischer Migrant*innen in Italien vor. Und wie es die Arbeitsweise des Schweizer Theater und Filmregisseurs ist, bezieht er die Situation und die Menschen vor Ort ein. Spielort ist die süditalienische Stadt Matera – hier drehten schon Pier Paolo Pasolini und Mel Gibson ihre Bibelfilme, zum Teil stehen sogar noch die Kulissen. Rau bringt das Genre auf den zeitgemässen Stand und fragt: Was würde Jesus heute predigen?
Was würde Jesus heute predigen?
Die Antwort: Jesus wäre ein Menschenrechtsaktivist und würde gerechte Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Gestrandeten der europäischen Flüchtlingspolitik fordern, die offiziell zwar abgewehrt, aber als illegalisierte Arbeitskräfte auf den Feldern der Agrarindustrie gern genommen werden.
Gemeinsam mit dem Aktivisten Yvan Sagnet, der Jesus spielt und früher selbst auf den Tomatenfeldern geschuftet hat, besucht Rau die aus Brettern und Karton zusammengezimmerten Unterkünfte der Arbeiter*innen, filmt an den Orten der Prostitution, in die afrikanische Frauen gezwungen werden, und lässt alle Beteiligten ausführlich zu Wort kommen. Im Film inszenieren Raus Protagonist* innen ein Passionsspiel und interpretieren ihre Lage als biblisches Schicksal, das aber alles andere als unveränderbar ist. Dieser Film im Film ist Kunstaktion und Passion gleichermassen – und vor allem: ein mitreissendes politisches Manifest.
Ein Meilenstein
Milo Rau schafft eine Synthese aus der Kritik an einer Weltordnung mit Europa als Zentrum und den Lebenswegen von Menschen, die von diesen Zuständen betroffen sind. Auch künstlerisch ist sein Film ein Meilenstein, er schliesst an die Bildsprache Pier Paolo Pasolinis und anderer Filmschaffender an, die sich mit der Passionsgeschichte auseinandergesetzt haben. Matera, der Schauplatz und Drehort des Passionsfilms, war 2019 Kulturhauptstadt Europas. Milo Rau hat der Stadt ein Denkmal gesetzt – allerdings anders, als man es sich dort wohl vorstellte. Er gibt den sozial Benachteiligten eine Stimme, denen, die auf dem Boden schlafen müssen, während um sie herum die europäischen Tomatenplantagen blühen, den Ausgegrenzten in den ärmlichen und offiziell gar nicht existierenden Lagern. «Wo könnten die Widersprüche des modernen Europa sichtbarer sein als hier, und was wäre sinnvoller, als in dieser so unglaublich schönen wie armen Region einen politischen Jesus-Film zu drehen, in dem biblische Erzählung und echte Revolte ineinanderfliessen?», fragt Rau.
Ab 1. April 2021 zu sehen auf dasneueevangelium-film.ch