© André Gottschalk
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MAGAZIN AMNESTY Carte blanche Blick zurück und nach vorn

Von Walter Kälin. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von Juni 2021.
Seit der Gründung von Amnesty International vor 60 Jahren ist vieles besser geworden. Auch dank Amnesty haben seither mehr als 120 Länder die Todesstrafe abgeschafft. Trotz bestehender Defizite hat die Gleichstellung der Geschlechter echte Fortschritte gemacht. Geschlechtsbezogene Gewalt, die damals, wenn überhaupt, nur ein Thema des Strafrechts war, wurde 1993 von der Wiener Weltkonferenz für Menschenrechte als Menschenrechtsverletzung anerkannt.

Die Uno-Menschenrechtspakte, die Konvention gegen Folter und die meisten anderen Menschenrechtsverträge der Uno existierten vor 60 Jahren noch nicht. Als Peter Benenson am 28. Mai 1961 seinen Aufruf veröffentlichte, hatte der  Europäische Gerichtshof für Menschenrechte noch kein einziges Sachurteil gefällt. In all den 60 Jahren war Amnesty International mit kraftvoller, oft entscheidender Stimme beim Kampf um die Menschenrechte an vorderster Front dabei.

Seit der Gründung von Amnesty International ist einiges schlechter geworden. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehören zur Tagesordnung. Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg wurden so viele Menschen wegen Krieg und Gewalt im eigenen Land vertrieben oder mussten ins Ausland fliehen, aber anders als 1961 sind Flüchtlinge heute in vielen Ländern nicht mehr willkommen. Polizeigewalt ist auch in verschiedenen demokratischen Rechtsstaaten zum Problem geworden. Die sozialen Medien machen die Verbreitung von Rassismus und Hass einfacher, wirksamer und damit verheerender. Die Stimme von Amnesty International war zwar oft zu schwach, um negative Entwicklungen zu verhindern, hat aber immer wieder einen entscheidenden Anstoss für Gegenmassnahmen gegeben.

Heute gilt es, überzeugende menschenrechtliche Antworten auf die zunehmende ökonomische Ungleichheit, den Klimawandel oder die Folgen der Pandemie zu finden.

Seit der Gründung hat Amnesty International viele Herausforderungen bewältigt. Heute gilt es, überzeugende menschenrechtliche Antworten auf Herausforderungen wie die zunehmende ökonomische Ungleichheit mit ihren verheerenden Folgen für die Menschenrechte, den Klimawandel und seine negativen Auswirkungen für die Schwächsten in der Gesellschaft oder den Absturz von Millionen von Menschen in die Armut im Gefolge der Pandemie zu finden. Das Aufdecken von Menschenrechtsverletzungen und robuste Kampagnen, um sie zu stoppen, bleiben entscheidend. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass Amnesty vermehrt über rechtliche, institutionelle und praktische Lösungen nachdenkt, die Regierungen auf der Basis und im Einklang mit Menschenrechten umsetzen können, um die tieferliegenden Ursachen von Menschenrechtsverletzungen anzugehen. Wie auch immer, die Stimme von Amnesty bleibt essenziell.