«Ich hasse Politik!», sagt Yves Makwambala am Telefon. Seine Twitter-Feeds über die Demokratische Republik Kongo (DRK) zeigen jedoch das Gegenteil: Sie handeln von bewaffneten Auseinandersetzungen, von Korruption und Polizeibrutalität. Der Grafikdesigner und Webmaster hat nie ein Blatt vor den Mund genommen. Eineinhalb Jahre war er in Makala inhaftiert, im Gefängniszentrum von Kinshasa, einer der überfülltesten Haftanstalten der Welt. Sein Verbrechen? Er hatte eine pazifistische Aktionsplattform ins Leben gerufen, die sich an die Jugend des Landes richtete. «Die Menschen im Kongo müssen erkennen, dass Straflosigkeit nicht toleriert werden kann und dass eine andere Gesellschaft möglich ist. Die Kraft zur Veränderung kommt von unten», sagt der heute 38-Jährige.
Geboren und aufgewachsen in Kinshasa, stammt Yves Makwambala aus einem wohlhabenden Umfeld, das ihm den Besuch der besten Privatschulen des Landes ermöglichte. «Am Familientisch ging es um Politik, Politik, Politik. Sogar an Weihnachten!» Dennoch entschied er sich für einen Beruf in der Informatik – sehr zum Missfallen seines Vaters. «Er wollte, dass ich Politikwissenschaften studiere. Ich aber wollte weg von diesem Thema, weil ich die Auswirkungen des politischen Exils bei mehreren Verwandten gesehen hatte. Ich habe zwar noch an einem Parteitreffen teilgenommen, aber das hat mich gelangweilt!» Bereits mit 27 Jahren gründete er seine eigene IT-Dienstleistungsfirma und engagierte sich gleichzeitig in Vereinen zur Förderung lokaler Künstler*innen.
40 Tage ohne Anklage
Eines Tages erzählte ihm sein Cousin von Filimbi, einer Aktionsplattform, die mehrere gewaltfreie Bürgerbewegungen wie Y’en a marre, Balai Citoyen und Lucha zusammenführte. Das Ziel: Die Jugend sollte ermutigt werden, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. «Mein Cousin wollte, dass ich mich ihnen anschliesse und bei der Erstellung einer Website helfe. Ich war skeptisch, weil ich die Hierarchien und den Personenkult, die in manchen solcher Strukturen existieren, hasse.» Aber die demokratischen Werte der Bewegung überzeugten ihn schliesslich.
Seine Mitarbeit sollte nur von kurzer Dauer sein. Am 15. März 2015 startete Yves um 12 Uhr die Website von Filimbi, drei Stunden später verfrachteten Soldaten ihn und vierzig anderer Aktivist*innen in Jeeps und fuhren in Richtung des Geländes der ANR, des kongolesischen Geheimdienstes. «Sie schlugen einige von uns. Sie warfen mir vor, dass ich gedroht hätte, den Präsidenten zu töten. Sie sagten, dass ich jetzt ‹dran› sei. Da konnte ich nur noch beten.»
Yves verbrachte vierzig Tage in einem Kerker, ohne Verhandlung oder Besuch, mit 35 anderen in einen kleinen Raum eingesperrt. «Sie nannten es Guantánamo. Wir schliefen auf dem Boden, inmitten von Insekten. Der einzige tägliche Ausflug war die Dusche, die sich hundert Häftlinge teilten.» Yves musste bis zu zehn Verhöre pro Tag über sich ergehen lassen, bei denen immer wieder die gleichen Fragen gestellt wurden: über seine Verbindungen zu dieser «terroristischen Gruppe», Informationen über Filimbi und über andere Aktivist*innen. «Die kongolesische Regierung zensierte das Internet und machte deshalb Jagd auf Informatiker wie mich.»
Erst als er der Staatsanwaltschaft vorgeführt wurde, erfuhr Yves von der Anklage: Mitgliedschaft in einer Vereinigung, die mit dem Ziel gegründet worden sei, Menschen und Eigentum anzugreifen, Verschwörung und Anstiftung zur Gewalt gegen das Staatsoberhaupt. «Ich war sicher, dass ich mein ganzes Leben im Gefängnis verbringen würde, ich hatte keine Hoffnung.» Sein Anwalt legte Berufung ein, diese wurde aber abgelehnt. Dem jungen Informatiker drohte nun eine Strafe, die von 10 Jahren Gefängnis bis zur Todesstrafe reichen konnte.
Alltag im Gefängnis
Yves wurde auf die Häftlingsstation Nr. 8 in Makala verlegt, in der es bisweilen gewalttätig zu und her ging. Das zeigen die sogenannten «Paraden»: «Die neuen Häftlinge müssen den Korridor mit einer Bürste reinigen, auf allen Vieren. Einige werden gezwungen, die Abwasserrohre mit blossen Händen zu reinigen.» Wer Geld hat, wird in Makala unantastbar und erhält Privilegien. «Die Mittellosen hingegen bleiben im Elend oder verkaufen sich als Knechte für die anderen.»
Trotz der Gewalt und der Isolation kam es für Yves nicht infrage, sich «verdummen» zu lassen. Für 1000 Dollar erhielt der Informatiker eine Zelle, die er sich mit dem Lucha- Aktivisten Fred Bauma teilte. Sie strichen die Zelle neu, kauften einen Fernseher und eine Klimaanlage und bauten eine Bibliothek mit politischen Büchern und Computerhandbüchern auf. Sie nannten es «das kleine Paradies». «Wir versuchten, einen Ort zu schaffen, wo wir die Brutalität des Gefängnisses vergessen konnten.» Um den Anschein eines normalen Lebens aufrechtzuerhalten, legten die Zellengenossen eine Routine fest: Nicht vor zehn Uhr morgens aufstehen, lernen und möglichst Angehörige sehen. «Um meine Mutter zu schützen, versuchte ich zu verbergen, dass ich litt.» Die Abende waren dem Lesen gewidmet. «Derjenige, der ein Buch beendet hatte, erzählte dem anderen, was ihn beeindruckt hatte. Wir sprachen auch über Politik und unsere Projekte.» Fred und Yves stellten fest, dass viele Häftlinge keine Ausbildung hatten und nach ihrer Entlassung keine Arbeit finden würden. Sie beschlossen, innerhalb von Makala ein Zentrum zu schaffen, wo Yves Gefangenen Computerkurse anbieten würde und Fred ihnen Lesen und Schreiben beibringen wollte. Dieses Projekt erblickte nie das Licht der Welt, da die beiden Männer vorher entlassen wurden.
Frei, aber nicht sicher
Als sich die Medien und NGOs aus dem Ausland für die Situation der beiden zu interessieren begannen, ging es plötzlich schnell. «Meine Mutter kam und erzählte, dass Amnesty International meinen Fall verfolgte und sich für meine Freilassung einsetzte. Ich sagte: ‹Das ist toll, aber was bringt das?›.» Yves Makwambala und Fred Bauma erhielten Tausende von Briefen und Hoffnungsbotschaften von Menschen aus aller Welt. «Ich hatte mehr als sechs Kisten voll! Ich konnte gar nicht alles lesen.» Dank dem politischen Druck wurden die beiden Aktivisten nach 18 Monaten Haft freigelassen.
Eine Erleichterung, die aber allmählich der Angst wich. Angst, verfolgt zu werden oder wieder hinter Gitter zu kommen. «Ich kümmerte mich um ein gültiges Visum für Belgien. Ich lebte in Paranoia», gibt Yves zu. In Belgien erhält er politisches Asyl. In seiner Wohnung nördlich der Hauptstadt arbeitet er im Homeoffice an einem Projekt zur Verbesserung der Online-Kommunikation für NGOs. Er teilt weiterhin Online- Artikel über die DRK und bleibt aus der Ferne für Lucha aktiv.
Die Anklagen gegen ihn wurden nie fallen gelassen, und ihm droht weiterhin sogar die Todesstrafe. Yves wird nicht nach Hause zurückkehren, bis er vollständig freigesprochen ist.