Was an diesen Vorwürfen dran ist, habe ich ein Jahr lang recherchiert. Ich habe Sicherheitsangestellte, Betreuer* innen, Sozialpädagog* innen, betroffene Asylsuchende und ihre Rechtsvertreter* innen interviewt, um Machtmissbrauchs- und Misshandlungsvorfälle in fünf Bundesasylzentren zu dokumentieren. Im Mai hat Amnesty ein Briefing zu den Resultaten veröffentlicht. Drei Aspekte rund um die Veröffentlichung des Berichts sind besonders bemerkenswert.
Körperliche Übergriffe lediglich die sichtbarsten Formen der psychischen und symbolischen Gewalt, die den BAZ-Alltag prägen.
Erstens hat sich die mediale Debatte über den Bericht vor allem auf die physische Gewalt gegen Asylsuchende fokussiert. Körperliche Übergriffe durch das Sicherheitspersonal sind jedoch lediglich die sichtbarsten Formen der psychischen und symbolischen Gewalt, die den BAZ-Alltag prägen: abschätzige Aussagen über die Herkunft, tägliche Schikanen wie Eingriffe in die Religionsfreiheit und die Privatsphäre, Falschaussagen über die Aussichten auf Asyl – oft gekoppelt mit rassistischen Vorurteilen. Man muss sich vor Augen halten, dass es sich bei den Betroffenen mehrheitlich um Menschen handelt, die durch Gewalterfahrungen und Unterdrückung in ihrer Heimat und auf der Flucht bereits mehrfach traumatisiert sind. Bezeichnend ist der Fall eines Minderjährigen, der Opfer von Menschenhandel in Libyen wurde und aufgrund der im BAZ erlebten Gewalt die Schweiz wieder verliess.
Zweitens wurde durch die Recherche deutlich, wie undurchlässig das System ist, das durch die Asylreform ins Leben gerufen wurde. Die stark auf Sicherheit und Kontrolle ausgerichteten Bundesasylzentren sind von der Aussenwelt abgeriegelt. Der Zivilgesellschaft wird der Zugang zu den Zentren erschwert. Somit sind das Staatssekretariat für Migration (SEM) und die von ihm mandatierten Leistungserbringer die einzigen Anlaufstellen. Es ist enorm schwierig, an zuverlässige Informationen über das Leben innerhalb der BAZ zu gelangen. Das Personal und die Asylsuchenden kostet es viel Mut, über das Beobachtete oder Erlebte zu berichten.
Schliesslich ist auf den enormen Widerstand hinzuweisen, auf den wir mit dem Bericht und den daraus resultierenden Empfehlungen beim SEM stiessen. «Die Schweiz ist kein Unrechtsstaat» war die Reaktion der Behörden nach der Veröffentlichung. Auch in den Wochen danach unterliess das SEM jegliche Würdigung der ausführlichen Recherche sowie unserer Empfehlungen dazu, wie die systemischen Versäumnisse des Staates behoben werden können.
Mehr als zwei Jahre nach Inkrafttreten des revidierten Asylgesetzes können sich die Behörden nicht mehr hinter angeblichen Kinderkrankheiten des neuen Asylsystems oder dem Verweis auf einzelne Übeltäter*innen verstecken. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass Asylsuchende vor jeglichen Misshandlungen geschützt werden. Unsere Recherche hat gezeigt, dass das Problem auf struktureller Ebene angegangen werden muss. Solange das SEM keine eigenen zuverlässigen und proaktiven Überwachungs- und Schutzmechanismen und unabhängige Beschwerdestellen einrichtet, wird es weiterhin zu Gewalt gegen Schutzsuchende kommen.
Das Briefing mit dem Titel «‹Ich verlange nur, dass sie Asylsuchende wie Menschen behandeln›.