Augusto Salazar ist ein zurückhaltender Mann. Beim Besuch im Waldgarten hält er sich im Hintergrund, denn dies ist der Boden seiner Kollegin Flor Shiguango. Der 53-Jährige mustert hier und da die Blätter der prächtigen, rund drei Meter grossen Robusta-Sträucher, die neben Bananenstauden und Obstbäumen im Schatten hoher Urwaldriesen stehen. Salazar ist ein Pionier des Kaffeeanbaus in der Kleinstadt Archidona, die mitten in der Amazonasregion Ecuadors liegt. Hin und wieder nickt er zufrieden. Die zwei bis drei Hektaren grosse Chakra von Flor Shiguango scheint ihm zu gefallen.
Chakras nennt die indigene Bevölkerungsgruppe der Kichwa ihre am Rande des Regenwaldes liegenden Gärten, die fast alles liefern, was die Familien benötigen. Rund 6500 Menschen umfasst die lokale Kichwa-Gemeinde, die eigene Verwaltungsstrukturen aufgebaut hat und an deren Spitze seit 2019 erstmals eine Frau steht.
Zu dieser Gemeinde gehört auch die Kaffee-Genossenschaft Waylla Kuri, der Augusto Salazar vorsteht. Waylla Kuri bedeutet «grünes Gold» und bezieht sich nicht nur auf die dicken grünen und teilweise schon gereiften roten Kaffeekirschen, die zuhauf an den Ästen hängen, sondern auf alle Produkte aus dem Waldgarten. Zwischen 60 und 120 verschiedene Pflanzen gedeihen in einer typischen Chakra. «Die vielen unterschiedlichen Pflanzen schützen sich gegenseitig », sagt Salazar. Die Vielfalt sorge dafür, dass der Schädlingsbefall gering bleibe.
Robusta-Bohnen, die wesentlich widerstandsfähiger sind als die bekannteren und teureren Arabica-Bohnen, kamen erst zu Beginn dieses Jahrtausends in Ecuadors Amazonasregion an. Augusto Salazar gehörte zu den Ersten, die die Sträucher anpflanzten. Der Erfolg gab ihm Recht und machte Schule. «Obwohl wir keine Erfahrung hatten, ist es uns schnell gelungen, Kaffee in guter Qualität zu produzieren», sagt Salazar. Mittlerweile ist Kaffee die wichtigste Einnahmequelle der Gemeinde. Alle Genossenschaftsmitglieder bewirtschaften eigene Parzellen, organisieren den Vertrieb der Kaffeebohnen aber gemeinsam. Rund 200 Kilogramm Robusta-Kaffee pro Jahr produziert Salazar, und nicht viel weniger werden es bei Flor Shiguango sein.
Probleme mit dem Gütesiegel
Das Projekt erlangte die Aufmerksamkeit von Andreas Felsen. Der Kaffeeröster, der für das Hamburger Kaffeekollektiv Quijote-Kaffee unterwegs ist, kam 2010 erstmals nach Arichdona. Er suchte Robusta-Bohnen für seinen Espresso und fand in der Genossenschaft Waylla Kuri eine Partnerin, mit der er gemeinsam etwas aufbauen konnte. Seit 2013 arbeitet Quijote-Kaffee nun mit Waylla Kuri zusammen. Die Abnahmemengen haben sich seither kontinuierlich erhöht.
Felsen schwört auf die langsame und gleichmässige Trocknung der Bohnen. Das bringe Qualität. Dass die Genoss*innen von Waylla Kuri kein Biosiegel vorweisen können, spielt für ihn keine Rolle. «Wir sehen ja, wie nachhaltig hier gearbeitet wird. Das ist vorbildlich», sagt Felsen.
Andreas Felsen überprüft die Qualität der Kaffeebohnen und der Maschinen von Waylla Kuri.
© Knut Henkel
Das sieht auch sein Wiener Kollege Michael Prem so. Er steht mit Felsen an der Röstmaschine, um gemeinsam mit den Aumata, wie die Kaffeetechniker*innen vor Ort heissen, herauszufinden, wie man das Beste aus den Bohnen herausholen kann. «Waylla Kuri ist die nachhaltigste Kaffeegenossenschaft, die ich kenne», sagt er. Doch Prem ärgert sich, dass er die Bohnen als konventionelle Ware anbieten muss – ohne Biosiegel. Das Problem: Die Zertifizierung kostet viel Geld, zu viel für die Genoss*innen von Waylla Kuri. Das fehlende Zertifikat ist eine Hürde für den Verkauf des Kaffees. Gemeinsam mit den Experten der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) wird daher derzeit über ein neues Siegel diskutiert und verhandelt – ein Siegel, das den nachhaltigen Anbaukriterien am Rande des Regenwaldes Rechnung trägt.
Der Weg zu transparenterem Handel
Konzentriert schauen die Aumata zu, wie Felsen und Prem den Röster bedienen. Die Spezialisten agieren auf Augenhöhe mit den Produzent*innen, zahlen pro Pfund der aromatischen Bohnen fast einen US-Dollar mehr als den Weltmarktpreis. Dafür verlangen die Kaffeeröster aus Europa aber eine hohe Qualität.
In die Steigerung der Qualität wird gemeinsam investiert. «Wir finanzieren vor, indem wir 60 Prozent der Bestellmenge vor der Lieferung bezahlen, manchmal auch mehr», sagt Felsen. Auch Trockenzelte, in denen die Bohnen langsam und gleichmässig auf den optimalen Feuchtigkeitsgehalt gebracht werden, hat Quijote-Kaffee bezahlt. «Gemeinsam besser werden» ist das Motto des Kaffeekollektivs, das alle Kaufverträge online stellt und sich 2019 an der Transparenzinitiative «The Pledge» beteiligte. Ihr gehören 67 international renommierte Röstereien aus drei Kontinenten an, die sich zum Ziel gesetzt haben, den Handel transparenter zu gestalten. Sie legen ihre Ankaufpreise, die Herkunft der Bohnen, die Kaffeequalität und die Abnahmemengen offen. Das gilt in der Branche normalerweise als Geschäftsgeheimnis.
Allerdings sei es mit festen Preisen oder der Offenlegung von Handelsdaten allein nicht getan, sagt Philipp Schallberger von den Schweizer Kaffeemacher*innen aus der Nähe von Basel, die ebenfalls Teil der Initiative sind. «Die Produktions- und Transportkosten sind von Land zu Land verschieden. Daher ist es extrem schwierig, die Zahlen in den Kontext zu setzen.» Schallenberger fragt deshalb direkt bei den Produzent*innen nach, welchen Preis er für die aromatischen Bohnen bezahlen soll. Denn die Kaffeepreise sind oft zu niedrig.
Die Preise für Kaffee sanken in den letzten Jahren wegen Spekulation und Überproduktion teilweise so tief, dass die Produktionskosten nicht mehr gedeckt werden konnten. Die Produktion bringt wenig Geld ein. Gewinne erzielen meist nur die Länder, die den Kaffee importieren und rösten.
Beim Hamburger Kaffeekollektiv ist das anders: Zwischen 29 und 34 Prozent des Verkaufspreises gehen dorthin zurück, wo der Kaffee wächst. Das ist alles andere als branchenüblich. Für die Mitglieder der Genossenschaft Waylla Kuri führte dies zu einem höheren Lebensstandard, besserer Ausbildung und wachsendem Mut, für die eigenen Rechte einzustehen. Ohne die internationalen Partnerschaften hätten viele Menschen der Chakra den Rücken gekehrt, ist sich Augusto Salazar sicher. «Ohne Partner*innen wie Quijote-Kaffee könnten wir unsere traditionelle Produktionsweise nicht aufrechterhalten.»