Ich gebe es zu: Als Beat Feuz zum Auftakt der Olympischen Spiele in Peking Gold im Abfahrtsrennen gewann, glänzten Tränen in meinen Augen. Ich bin ein grosser Sportfan. Mit meinem Vater am Sonntagmorgen Skirennen zu schauen, gehört zu meinen liebsten Kindheitserinnerungen. Und doch bin ich nicht ganz unbekümmert, wenn ich den Athlet*innen zuschaue, wie sie in China ihre Höchstleistungen abrufen.
Denn an diesen Spielen wurden nicht nur sportliche Leistungen ausgezeichnet – es scheint, dass auch Schweigen mit Gold belohnt wurde. Die Kontroverse, was die Teil-nehmer*innen über die Menschenrechtslage in China sagen dürfen und was nicht, rückte zu Beginn der Wettkämpfe deutlich stärker in den Vorder-grund als in früheren Jahren. Das Internationale Olympische Komitee (IOK) hat in der umstrittenen Regel 50 der olympischen Charta festgelegt, dass Demonstrationen und politische Propaganda in den Spielstätten verboten sind. Das Bündnis Global Athlete bestätigte, dass die Athlet*innen angewiesen worden seien, zu China zu schweigen. Dabei ging es nicht nur um die Einhaltung der Regeln des IOK, sondern auch um die Einhaltung von nationalen Gesetzen der chinesischen Regierung – und somit um den Verzicht auf das Recht auf freie Meinungsäusserung. Das verdeutlicht die unverhohlene Drohung des hochrangigen Sportfunktionärs Yang Shu vor der Eröffnungsfeier: «Jedes Verhalten, jede Rede, die gegen den olympischen Geist, besonders gegen chinesische Gesetze und Regeln verstösst, wird bestraft.» IOK-Präsident Thomas Bach schlug in seiner Eröffnungsrede in dieselbe Kerbe und wies den Athlet*innen eine klare Statist*innen-Rolle zu: «Wenn ein Schauspieler in einem Theater Hamlet spielt, fragt sich auch keiner, ob er während des Stücks politische Meinungen äussern kann.»
Viele Athlet*innen hatten entschieden, aus Selbstschutz zu schweigen. Trotzdem kritisierten mehrere Sportler*innen das IOK. Klartext redete der Deutsche Biathlet Erik Lesser. Auf den sozialen Medien ersetzte er auf einem Bild die olympischen Werte «Solidarität, Inklusion, Gleichheit, Frieden, Respekt» durch die ans IOK gerichtete Botschaft »Money, money, money, more money».
Die Athlet*innen waren nicht die einzigen, denen ein Knebel angelegt wurde: Auch zahl reiche Aktivist*innen und Journalist*innen bewegten sich in einem Umfeld, in dem jede Aussage, die der Regierung nicht genehm ist, geahndet wird. Wer Kritik äussert, riskiert im Gefängnis zu landen. Präsident Xi Jinping hat seit seiner Machtübernahme 2013 den freien Zugang zu In-formationen stark eingeschränkt – mit verheerenden Auswirkungen auf die Medienfreiheit. China rangiert auf der Rangliste der Pressefreiheit mittlerweile auf Platz 177 von 180, nur zwei Plätze vor Nordkorea. Die Meinungsäusserungs- und die Pressefreiheit werden nicht mehr als Rechte angesehen, sondern als Verbrechen. Immer mehr Auslandkorrespondent*innen verlassen China, nachdem sie von den Behörden schikaniert und eingeschüchtert worden sind. Kritische Stimmen werden immer seltener.
Als Journalistin schmerzt es mich, diese Entwicklungen zu beobachten. Umso mehr schätze ich die vielen kritischen Berichte, die um die Olympischen Spiele veröffentlicht wurden. Denn wenn wir schweigen, riskieren wir, uns zu Kompliz*innen eines repressiven Systems zu machen.