Sarah Makhubela ist mit ihrer Schubkarre auf dem Weg zum Wassertank. © Jasmin Sarwoko
Sarah Makhubela ist mit ihrer Schubkarre auf dem Weg zum Wassertank. © Jasmin Sarwoko

MAGAZIN AMNESTY AMNESTY-Magazin Juni 2022: Wasser Mit Wasserproben gegen Korruption

Von Jasmin Sarwoko. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Juni 2022.
Während Südafrikas Süden unter Starkregen leidet, müssen in anderen Teilen des Landes die Menschen wegen der Trockenheit für sauberes Trinkwasser kämpfen. Umweltverschmutzung und Klimawandel verschärfen die Situation.

Das stetige Rattern einer Schubkarre, beladen mit zwei Kanistern, begleitet Sarah Makhubela auf dem Weg, den sie seit Jahren jeden Morgen zurücklegt. Auf einer Schotterstrasse, die häufiger von Eseln als von Autos benutzt wird, geht sie zur öffentlichen Wasserstelle. Am grossen grünen Behälter mit einem Zapfhahn muss sich Wasser abfüllen, wer kein eigenes Bohrloch im Garten hat.

«Hier in Khakala sind die Wasserhähne manchmal geschlossen oder die Tanks leer. «Dann müssen wir bei Nachbarn, die ein Bohrloch haben, Wasser kaufen», sagt Sarah, während sie die leeren Kanister aus der Schubkarre hebt. Das Wasser muss für den gesamten 12-Personen-Haushalt reichen. Sarah ist das Oberhaupt der Familie. Zwei ihrer fünf Kinder versuchen ihr Glück in Johannesburg. Die anderen leben mit ihr im Dorf Khakala. Wie so viele Familien in der Gegend leben die Makhubelas hauptsächlich von einem staatlichen Familienzuschuss von umgerechnet knapp 30 Schweizer Franken pro Kind und Monat.

Wenn man fragt, wer für diese Situation verantwortlich sei, sind sich viele einig: Die Regierung. Politiker*innen kommen insbesondere in den Wahlkampfphasen in die Dörfer und versprechen, die Wasserversorgung wiederherzustellen. «Es gefällt mir gar nicht zu hören, dass bereits viel Geld für Wasserprojekte ausgegeben worden sei. Ich schätze, sie lügen uns an», sagt Sarah. Niemand weiss, wohin das Geld für neue Dämme oder Reparaturen von kaputten Leitungen verschwindet. Die staatliche Special Investigating Unit (SIU) untersucht die Korruption hier bereits seit 2016. Denn Khakala ist eines von 55 Dörfern, die vom sogenannten Giyani Water Project profitieren sollten. Dieses wurde 2014 vom damaligen Präsidenten Jacob Zuma gestartet, um die Region mit Wasser zu versorgen. Die SIU fand heraus, dass das Ausmass der Korruption grösser war als angenommen. Der Sprecher der Antikorruptionseinheit, Kaizer Kganyago, sagt: «Die Vergabe der Verträge an die Bau- und Beratungsunternehmen war irregulär, denn sie wurden nicht, wie vom Gesetz gefordert, öffentlich ausgeschrieben. Acht Jahre später fliesst immer noch kein Wasser, weil entweder gar keine Infrastruktur gebaut oder nur damit begonnen wurde.» Das Stadtbild bei Giyani bestätigt diese Aussagen: offene Gräben und gestapelte Wasserrohre, die wohl schon länger dort liegen. Kaizer Kganyago möchte nicht sagen, wer von den Deals profitiert, da noch juristische Verfahren laufen. Doch er gibt zu verstehen, dass hochrangige Beamt*innen des staatlichen Lepelle Northern Water Board, das für die Umsetzung des Projekts zuständig war, Schmiergelder erhalten haben. Währenddessen steht Sarah Makhubela vor dem öffentlichen Wassertank in Khakala. Unerwartet sprudelt Wasser aus dem Hahn. Doch nach etwa einer Tasse wird der Strahl dünner, ehe er ganz versiegt. Das bedeutet heute wieder: Wasser zukaufen.

Ferrial Adam und der Aktivist Mduduzi Tshabalala prüfen die Wasserqualität des Vaals. Ferrial Adam und der Aktivist Mduduzi Tshabalala prüfen die Wasserqualität des Vaals. © Jasmin Sarwoko

Misstrauen der Bevölkerung

Wie so häufig, muss die ärmere Bevölkerung die Folgen der Korruption tragen. Obwohl das Recht auf sauberes Trinkwasser in der Verfassung verankert ist, fehlen den Menschen die Mittel, gegen  die Missachtung dieses Rechts vorzugehen.

2019 meldete die Regierung, dass 93 Prozent der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser und 76 Prozent Zugang zu Sanitärversorgung hätten. Gemeint ist, dass im Umkreis von 200 Metern der Haushalte Wasserleitungen bestehen. «Diese Art und Weise, ‹Zugang› zu definieren, ist nicht korrekt», schreibt die Anthropologin und Umweltaktivistin Ferrial Adam in einem Gastbeitrag für «Daily Maverick», «weniger als 50 Prozent der Südafrikaner*innen haben Zuleitungen bis zu ihrem Haus.»

Wir treffen Ferrial Adam am Vaal, einem der Hauptflüsse in Südafrika, der rund 19 Millionen Menschen mit Wasser versorgt. Sie hat eine kleine Kühltasche mitgebracht und holt Reagenzgläser und Pipetten aus ihrer Tasche. «Wir wollen den Menschen vor Ort beibringen, wie sie die Wasserqualität testen und interpretieren können. Damit haben sie eine Argumentationsgrundlage gegenüber den Behörden. Ihre Erfahrung, dass sie vom Leitungswasser krank werden, wird häufig als reines Hirngespinst abgetan.»

2018 häuften sich Berichte über Erkrankungen, totes Vieh und ausgerottete Fischarten durch Abwasser, das aus defekten Pumpen und Kläranlagen in den Fluss fliesst. Die Menschen protestierten, sodass sich die Südafrikanische Menschenrechtskommission einschaltete. Der Kommunalregierung wurde die Verantwortung für das weitere Management der Vaal-Region entzogen. Das Mandat liegt nun bei dem Nationalen Wasserministerium, das die staatliche Wasseragentur Rand Water mit dem Projekt beauftragte, welche nun regelmässig den Stand der Fortschritte kommuniziert.

Am Ufer des Vaals sieht man von der Verschmutzung wenig. Im Gegenteil, es sieht friedlich aus: Angler stellen ihre Ruten auf, eine Gruppe Jugendlicher sitzt am Wasser. Mittlerweile ist auch der Aktivist Mduduzi Tshabalala aus dem benachbartem Township Sebokeng an den Fluss gekommen. Er möchte die Wasserqualität testen und mit den staatlichen Qualitätstests vergleichen, die online publiziert werden. «Ich vertraue Rand Water nicht», sagt er.

Der 38-Jährige kniet sich ans Ufer und beginnt, ein Reagenzglas auszuspülen. Ferrial Adam setzt sich daneben und gibt Anweisungen: «Das hier ist ein e.Coli-Test. Wenn das Wasser positiv auf die Bakterien reagiert, ist das ein Indikator dafür, dass es Fäkalien enthält. Es bilden sich blaue Punkte, die man dann abzählt.» Mduduzi Tshabalala hält eine Petrischale in der Hand, auf die er einige Tropfen Flusswasser mit einer Pipette verteilt. Das Ergebnis wird nach rund 48 Stunden sichtbar sein.

Protestaktion von Klimaaktivist*innen in Rosebank, Johannesburg. © Jasmin Sarwoko

Regen und Dürre

Südafrika ist, geografisch gesehen, ein wasserarmes Land und erlebt die Folgen des Klimawandels bereits seit Jahren. Während in Dörfern wie Khakala die Hitzeund Trockenperioden immer länger werden, gehen aus dem Süden des Landes Bilder eines anderen Extrems um die Welt: Weggespülte Häuser, überflutete Strassen, unter Trümmern begrabene Opfer. Der Starkregen kostete mehr als 430 Menschen das Leben. Noch sehen viele den Klimawandel als ein abstraktes Umweltproblem, das lediglich die «first world countries » beschäftige. Massendemonstrationen wie die der Fridays for Future-Bewegung findet man in Südafrika kaum.

In Rosebank, einem gehobenen Stadtteil von Johannesburg, hält eines der unzähligen Minibus-Taxis vor einer Bankfiliale. Eine Handvoll Aktivist*innen steigt aus, darunter Mduduzi Tshabalala. Es ist Earth Day, ein internationaler Umwelt-Aktionstag. Einige Protestierende stehen bereits auf der Strasse und halten Schilder, die gegen fossile Energien und für saubere Wasser-Ressourcen plädieren.

«Wir müssen die Politik und die Unternehmen an ihre Verpflichtungen erinnern. Das ist manchmal frustrierend. Aber jemand muss für diese Belange eintreten», sagt Mduduzi. Er hat schlechte Nachrichten: Die Wasserproben, die er und Ferrial aus dem Vaal genommen haben, weisen tatsächlich e.Coli auf. Mduduzi wird die Ergebnisse auf jeden Fall den Behörden vorlegen.