30 Äpfel muss der kleine Mahdi in die Klasse mitbringen. Das trägt die nicht unfreundliche, aber leider bestechliche Lehrerin dem eben eingeschulten Buben auf, als sie erfährt, dass Mahdis Vater Morteza Apfelverkäufer ist. «Machbar », denkt man sich im Kino, schliesslich liegen gerade haufenweise frisch geerntete Äpfel auf Mortezas Kleintransporter. Doch dann wird der Pick-up in den chaotischen Strassen Teherans gestohlen. Zur Rettung der Familienehre unternimmt Mahdis gewitzter älterer Bruder Saeed alles, um 30 Äpfel aufzutreiben. Er bettelt, arbeitet, stibitzt, doch immer wieder erlebt er Rückschläge.
Derweil taumelt Vater Morteza nach dem verheerenden Diebstahl zwischen Panik, Depression und Wahnsinn – eindrücklich in Szene gesetzt von Kameramann Ali Ehsani. Zuhause hält Mutter Mahboubeh, eine Wäscherin, die Familie zusammen. Sie, die stärkste Figur des Films, kommt besser mit den Tricksereien im Grossstadtleben zurecht als ihr Ehemann, der den heimatlichen Bergen nachtrauert. Mahboubeh schmiedet Investitionspläne mit geliehenem Geld, nimmt an einem Lottobetrug teil und will Altkleider mit aufgenähten Labels «aufpeppen». Und dann ist da noch Mortezas Bruder Daryoush, der die Familie in ihrer Notlage unterstützt – aber nicht ohne Hintergedanken.
Der 1976 geborene Regisseur Ghaffari erzählt die kleine Geschichte um Landflucht, Kinderarbeit und Prekariat im Moloch Teheran unprätentiös, mit sorgfältig komponierten Bildern. Dass die Prioritäten des iranischen Regimes nicht in der Armutsbekämpfung liegen, veranschaulicht die Szene, in der der Plakatkleber Daryoush ein lächerlich grosses Bild mit dem Konterfei des religiösen Führers Ali Chamenei montiert. Zugleich spielt eine verarmte Kinderschar im Staub um vergilbte Panini-Bilder.
Zunehmende Zensur
«A wie Apfel» wurde im Februar an der Berlinale gezeigt. In einem Interview mit dem Filmportal «testkammer» kündigte Ghaffari an, sein nächstes Projekt wohl im Ausland zu drehen, da die Zensur im Iran unabhängiges Filmschaffen zunehmend verunmögliche. Wie gefährlich es ist, sich als Kulturschaffender in der Islamischen Republik zu äussern, hat jüngst die Festnahme von Mohammed Rasoulof gezeigt, dem Gewinner des Goldenen Bären 2020. Der Regisseur hatte gegen Polizeigewalt protestiert, nachdem es wegen des Einsturzes eines Hochhauses mit Dutzenden Toten zu Demonstrationen gekommen war.
Es hätte ein Hochhaus aus Ghaffaris Werk sein können. Neben den Äpfeln zieht sich die Wohnbauarchitektur als Leitmotiv durch den Film. Eine absurde, sterile Hochhaussiedlung am Stadtrand steht den chaotischen Höfen und Fassaden im Wohnquartier der Familie und den nur auf den ersten Blick romantischen Landhäusern in den Bergen gegenüber. Sie demaskieren die regelmässig von der Regierung verkündeten Pläne, die Landflucht aufzuhalten, als Makulatur.