LGBTI*-Demonstrant*innen werden – wie hier 2013 in St. Petersburg – von der Polizei hart angefasst. © Keystone / Anatoly Maltsev
LGBTI*-Demonstrant*innen werden – wie hier 2013 in St. Petersburg – von der Polizei hart angefasst. © Keystone / Anatoly Maltsev

MAGAZIN AMNESTY AMNESTY-MAGAZIN DEZEMBER 2022: RIGHT TO LOVE Liebe unter Propagandaverdacht

Von Tigran Petrosyan. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Dezember 2022.
In der Sowjetunion wurde Homosexualität bestraft. Auch im heutigen Russland sind LGBTI*-Organisationen zahlreichen Repressionen ausgesetzt. Das war nicht immer so.

In der sowjetischen Gesellschaft war Sex ein Tabu, Homosexualität sogar ein Verbrechen. Ab 1934 wurden gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern mit bis zu acht Jahren Haft bestraft. Homosexuelle Frauen landeten oft in der Psychiatrie. Man stufte sie als psychisch krank ein, verabreichte ihnen Psychopharmaka und zwang sie zu Untersuchungen und Therapien.

Doch trotz dieser Repressionen gab es in der UdSSR homosexuelle Vereinigungen. So schlossen sich 1984 in Leningrad 30 junge Leute zu einer schwul-lesbischen Gemeinschaft zusammen, dem Gay Labor. Es gelang ihnen, Kontakte nach Finnland zu knüpfen und mit dieser Unterstützung ein Präventionsprogramm gegen Aids zu starten. Unter dem Druck des Geheimdienstes KGB musste sich die Gruppe jedoch bald auflösen.

Kurze Besserung

Im Jahr 1993, zwei Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion, hob das Parlament die Strafbarkeit von Homosexualität auf. Ende der 1990er- und Anfang der 2000er- Jahre wurden in den Städten Russlands schwul-lesbische Gemeinschaften sichtbar: Sie gingen für ihre Rechte auf die Strasse, gründeten Vereine, Zeitschriften und Filmfestivals.

Doch auf die Freiheit folgte Repression. Seit gut zwölf Jahren muss die LGBTI*-Bewegung harte Schläge einstecken. Denn Präsident Wladimir Putin lehnt gleichgeschlechtliche Liebe rigoros ab. In den vergangenen Jahren griffen Neonazis immer wieder queere Menschen an, Polizist*innen nahmen sie ohne Angabe von Gründen fest, misshandelten und folterten sie, Gerichte verurteilten Aktivisten*innen zu Haftstrafen. Im Jahr 2017 kam es in der zu Russland gehörenden autonomen Republik Tschetschenien zu «Säuberungen»: Hunderte queere Menschen wurden inhaftiert und gefoltert, einige starben in Haft.

Weitere Verschärfung

Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine gehen neue Repressalien gegen die LGBTI*- Community einher. Im April 2022 löste ein Gericht die Organisation Sphere wegen «Untergrabung der moralischen Grundlagen der russischen Gesellschaft» auf, nachdem die Behörden Sphere bereits 2016 als «ausländischen Agenten» eingestuft hatten. Die gemeinnützige Stiftung finanzierte seit 2011 mehrere Organisationen, darunter auch die Dachorganisation LGBT-Network. Dieses Netzwerk ist die bedeutendste queere Organisation Russlands und gilt seit 2021 ebenfalls als «ausländischer Agent».

Derzeit stehen zahlreiche Mitglieder von LGBTI*-Organisationen vor Gericht, andere haben das Land verlassen. Die Organisation Wychod musste im April 2022 ihr Büro in St. Petersburg schliessen, arbeitet jedoch im Exil online weiter und bietet queeren Menschen in Russland, auf der Flucht oder im Ausland psychologische und juristische Unterstützung an.

Im Juni 2022 wurde ein Gesetzesentwurf in die Duma eingebracht, der «Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen » unter Erwachsenen und Minderjährigen verbietet und damit ein Gesetz aus dem Jahr 2013 verschärft. Die Verbreitung von Informationen über die LGBTI*-Community wäre damit künftig strafbar und könnte für Privatpersonen Geldstrafen in fünfstelliger Höhe nach sich ziehen. Organisationen und andere juristische Personen müssten mit Strafen von bis 162 000 Euro oder einem Betätigungsverbot für 90 Tage rechnen. Weil die Definition von «Propaganda» absichtlich vage gehalten ist, könnten die Behörden jede von LGBTI*-Gruppen verbreitete Information als Propaganda einstufen.