Die Umstände, unter denen Alaa Abdel Fattah sein Buch geschrieben hat, sprechen Bände: Manche Essays schrieb er mit Bleistift auf Papier in seiner Zelle im Tora-Gefängnis bei Kairo. Andere verfasste er im Polizeirevier, wo er selbst während seiner wenigen Monate in «Freiheit» die Nächte verbringen musste. Ein Essay entstand aus Gedanken, die er und ein anderer politischer Gefangener sich im Gefängnishof zuriefen. Weitere diktierte er seinen Anwälten im Gerichtssaal während der Anhörungen zur Verlängerung seiner Haft.
Alaa Abdel Fattah ist Ägyptens bekanntester politischer Gefangener – und einer der langjährigsten. Das Jahrzehnt seit Beginn der ägyptischen Revolution 2011 hat er fast vollständig im Gefängnis verbracht, viel davon in Isolationshaft. In unfairen Gerichtsverfahren wurde er für regierungskritische Äusserungen und die Teilnahme an Protesten verurteilt. Im November 2022 erhielt sein Fall erneut internationale Aufmerksamkeit, als er anlässlich des Weltklimagipfels in Ägypten in einen Hungerstreik trat und sogar auf Wasser verzichtete. Obwohl ihn das beinahe das Leben gekostet hätte und obwohl Politiker*innen und Aktivist*innen weltweit seine Freilassung forderten, ist Alaa Abdel Fattah noch immer im Gefängnis.
Von dort aus hat der 41-Jährige über die Lage Ägyptens geschrieben, das unter Präsident Abdel Fattah Al-Sisi, einem Ex-Militär, ein nie dagewesenes Ausmass an Repression erlebt. Seine Familie hat diese Schriften in einem Buch zusammengefasst, das nun in deutscher Übersetzung erschienen ist.
Ein Essay handelt von den Zehntausenden politischen Gefangenen im Land, von denen jeder wisse. Dennoch behaupte der Staat weiterhin, in Ägypten gäbe es keine politischen Gefangenen, keine Folter, keine willkürlichen Festnahmen und keine Unterdrückung. Ein anderes Kapitel erinnert an den Militärputsch 2013 und das Massaker der Armee an Tausenden Mitgliedern der Muslimbruderschaft, die gegen die Absetzung des demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi protestiert hatten. «Die heute auf die Muslimbruderschaft gerichteten Waffen werden das nächste Mal auf jemand anderes gerichtet sein», mahnt Abdel Fattah. «Das Militär ist keine säkulare Instanz, die den Islamismus bekämpft – das Militär ist das alte Regime, das den Wandel bekämpft.»
Die Worte des Bloggers schwanken zwischen Kampfgeist und Verzweiflung. Aus der Enge seiner Zelle appelliert er an alle, die «im Gegensatz zu mir noch nicht besiegt» sind: Sie sollen ihre Freiheit nutzen, um Widerstand zu leisten. Die internationale Gemeinschaft fordert er auf: «Repariert eure eigene Demokratie.» Das sei der wirksamste Weg, etwas zu verändern. Seine Mitbürger*innen ermutigt er, auf die Strasse zu gehen und die ägyptische Regierung herauszufordern. «Hoffnung zu vermitteln, ist eure Aufgabe.»
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