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MAGAZIN AMNESTY Amnesty-Magazin März 2023: Iran Ein Zeichen gegen die Straflosigkeit

Von Natalie Wenger. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom März 2023.
Menschenrechtsverletzungen werden im Iran nur selten geahndet. Manche Täter*innen haben sogar wichtige Machtpositionen inne. Eine Untersuchungskommission der Uno weckt Hoffnung.

Das Bild der in Polizeigewahrsam zu Tode gekommenen Jina Mahsa Amini ging um die Welt. Die mutmasslich für ihren Tod Verantwortlichen – Mitglieder der iranischen «Sittenpolizei» − sind noch auf freiem Fuss. Eine Untersuchung der Todesumstände und der Verletzungen gab es nicht.

Die Straflosigkeit ist im Iran weit verbreitet und nichts Neues. «Oftmals sind hohe staatliche Akteure an den Menschenrechtsverletzungen beteiligt», sagt Nassim Papayianni, leitende Campaignerin im Iran-Team von Amnesty International. So arbeiteten Strafvollzugsbeamte im Jahr 1988 mit sogenannten «Todeskommissionen» zusammen. Diese liessen Tausende Dissident*innen verschwinden oder richteten sie aussergerichtlich hin. Mehr als 30 Jahre später warten die Hinterbliebenen noch immer auf Gerechtigkeit. Die iranischen Behörden haben wiederholt Forderungen der internationalen Gemeinschaft nach strafrechtlichen Ermittlungen ignoriert und versucht, Beweise für ihre Verbrechen zu vernichten.

Viele der damals Verantwortlichen haben weiterhin Machtpositionen inne. «Dies erleichtert die Wiederholung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit», sagt Nassim Papayianni. 2021 etwa wurde Ebrahim Raisi zum Präsidenten des Landes ernannt, statt dass gegen ihn im Zusammenhang mit den Massenhinrichtungen von 1988 ermittelt worden wäre.

Keine unabhängige Justiz

Die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Gewaltenteilung werden systematisch missachtet, was eine Rechenschaftspflicht verunmöglicht. «Der Justiz mangelt es an Unabhängigkeit, die Unabhängigkeit von Anwält*innen wird untergraben, und den Gefangenen wird der Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigert, bis ein Urteil gefällt wurde», sagt Nassim Papayianni. «Gerichte lassen routinemässig Geständnisse, die durch Folter erzwungen wurden, als Beweismittel zu.»

Die iranischen Behörden gehen oft gewaltsam gegen Menschen vor, die gegen Missstände protestieren.

Die iranischen Behörden gehen oft gewaltsam gegen Menschen vor, die gegen Missstände protestieren. Ende September 2022 wurde ein Dokument geleakt, aus dem hervorgeht, dass die Streitkräfte von hochrangigen Staatsbeamten angewiesen worden waren, ohne Nachsicht gegen Demonstrant* innen vorzugehen, auch wenn dies Menschenleben koste. Zwischen September 2022 und Februar 2023 wurden laut Menschenrechtsorganisationen 527 Demonstrant* innen getötet und mehr als 19 600 verhaftet.

Die Verantwortlichen wurden bisher nicht zur Rechenschaft gezogen. Die Regierung weist die Erkenntnisse von Uno-Expert*innen und Menschenrechtsorganisationen vehement zurück. Doch die internationale Gemeinschaft konnte nicht länger zusehen. Am 24. November hat der Uno-Menschenrechtsrat eine Resolution zur Einrichtung einer Untersuchungskommission verabschiedet – ein historischer Beschluss, der auch auf Druck von Amnesty zustande kam. Diese Kommission hat den Auftrag, die Menschenrechtsverletzungen im Iran im Zusammenhang mit den im September 2022 ausgebrochenen Protesten zu dokumentieren und Beweise für künftige Gerichtsverfahren zu sammeln und zu sichern.

Amnesty International forderte bereits 2018 einen unabhängigen, unparteiischen und effektiven internationalen Mechanismus, um gegen die Straflosigkeit vorzugehen. «Wir hoffen, dass die Einrichtung der Untersuchungskommission einen grundlegenden Wandel in der Herangehensweise der internationalen Gemeinschaft darstellt, um die Krise der systematischen Straflosigkeit im Iran zu bekämpfen», sagt Nassim Papyianni. Sie hofft, dass die Untersuchungskommission unverzüglich eingesetzt wird. «Wir dürfen die iranische Bevölkerung nicht länger allein lassen. Die Straflosigkeit muss jetzt ein Ende haben.»