Einst predigte Va-Bene Fiatsi das Evangelium. Heute geht sie auf die Strassen, um für die Rechte von LGBTI*-Personen zu kämpfen, die von der Kirche in Ghana angegriffen werden. © Mulugeta, via rE-gen-er-at[e], Pro Helvetia
Einst predigte Va-Bene Fiatsi das Evangelium. Heute geht sie auf die Strassen, um für die Rechte von LGBTI*-Personen zu kämpfen, die von der Kirche in Ghana angegriffen werden. © Mulugeta, via rE-gen-er-at[e], Pro Helvetia

MAGAZIN AMNESTY Amnesty-Magazin März 2023: Ghana Ihr Kampf gegen die Kriminalisierung

Von Natalie Wenger. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom März 2023.
Ghanas Regierung geht immer stärker gegen LGBTI*-Personen vor. Die Künstlerin und trans Aktivistin Va-Bene Fiatsi wehrt sich. Sie will lieber sterben, als aufzugeben.

Sonntag ist der Tag der Kirche in Ghana. Christliche Predigten und Gesänge ertönen schon am frühen Morgen in den verschlafenen Strassen und rufen zum Gottesdienst. In Massen strömen die Leute in den Dörfern und Städten in die Kirchen – teils sind dies schmucke Kathedralen, teils nur spärlich eingerichtete Steinhütten. In Ghana, wo rund 70 Prozent der Bevölkerung sich zum christlichen Glauben bekennen, wird die Teilnahme am Gottesdienst erwartet, schliesslich gelten Kirchen wie die Church of Pentecost oder die Assemblies of God als wichtige Gemeinschaften. Wer sich dem entzieht, gilt als Aussenseiter*in oder gar als Abtrünnige*r.

Zu diesen Abtrünnigen zählt Va-Bene Fiatsi, die heute als Künstlerin und trans Aktivistin für Aufmerksamkeit sorgt. Dabei predigte die 41-Jährige einst selbst für die Freikirche Assemblies of God, ging von Dorf zu Dorf und lehrte das Evangelium, betete für die Kranken und Armen, spendete Trost. Doch das war vor ihrer Transition und bevor sie den Hass zu spüren bekam, der von konservativen und christlichen Kreisen auf queere Personen in Ghana abzielt.

Kriminalisierung von LGBTI*

Der Eifer vieler Kirchen beschränkt sich längst nicht mehr auf geistliche Angelegenheiten. Immer stärker mischen die Kirchen in der Politik mit, verlangen die Rückkehr zu traditionellen Familienwerten. LGBTI* wird in konservativen Kreisen oft als «Lifestyle» diskreditiert oder als westlicher «Import» beschimpft. In Ghana sind Puritanismus und Konservatismus weit verbreitet: In Schulen sind die Geschlechter oft getrennt, über Sexualität wird geschwiegen, Alkohol ist vielerorts verboten. «Die Kirchen sind stolz darauf, Teil der Lobbyarbeit gegen Queerness zu sein», sagt Va-Bene. «Das führt dazu, dass viele Ghanaer*innen das Gefühl haben, sie kämpfen für Gott, wenn sie queeren Personen gegenüber ausfällig werden.»

Verschiedene Kirchen sind an der Ausarbeitung und Durchsetzung einer besorgniserregenden Gesetzesvorlage beteiligt: dem «Gesetz zur Förderung ordentlicher menschlicher Sexualrechte und ghanaischer Familienwerte». Das Gesetz kriminalisiert sämtliche Formen von Genderidentitäten und sexuellen Orientierungen, die von Cis-Geschlechtlichkeit und Heterosexualität abweichen. Doch nicht nur LGBTI*-Personen werden kriminalisiert, auch für das blosse Engagement für deren Rechte drohen künftig Haftstrafen. Wer etwa ein Haus an eine LGBTI*-Person vermietet, macht sich der Komplizenschaft schuldig. Konversionstherapien und die Denunzierung von LGBTI*-Personen sollten dagegen zur Pflicht werden.

Va-Bene weiss: Tritt das Gesetz in Kraft, ist sie eine der Ersten, die verhaftet wird.

Der Gesetzesentwurf wird derzeit vom Parlament geprüft; wann das Gesetz in Kraft tritt, ist unklar. «Sollte das Gesetz in der jetzigen Form verabschiedet werden, droht uns ernsthafte Gefahr», sagt Va-Bene, die sich offen gegen die Vorlage ausspricht. Obwohl das Gesetz noch nicht in Kraft ist, haben sich die Angriffe auf LGBTI*-Personen verschärft: Die Büros von ghanaischen LGBTI*-Organisationen wurden von der Polizei durchsucht und geschlossen. Va-Bene weiss: Tritt das Gesetz in Kraft, ist sie eine der Ersten, die verhaftet wird.

Das Gesetz werde von Einzelpersonen instrumentalisiert, um an die Macht zu kommen, sagt Va-Bene. «Es geht nicht darum, der ghanaischen Gesellschaft etwas Gutes zu tun, auch wenn der Name des Gesetzes andeutet, dass damit Familienwerte gefördert werden. Welcher Familienwert besteht darin, Eltern ins Gefängnis zu stecken, weil sie ein Kind haben, das schwul ist? Welche Werte wollen wir festigen, wenn wir Kinder von ihren Familien trennen, nur weil sie im falschen Körper geboren wurden?»

Von der homo- und transphoben Politik profitieren auch christlich-konservative Organisationen, die in und ausserhalb von Ghana tätig sind. Besonders Organisationen aus den USA wie Family Watch International – eine mittlerweile als Hassgruppe eingestufte Organisation, die Abtreibung als Mord klassifizieren wollte − versuchen seit Jahrzehnten,die Sexualpolitik afrikanischer Länder zu beeinflussen. Mit Erfolg, wie das Beispiel in Ghana zeigt.

Ihre Transition zur Frau ist eines der prägenden Elemente von Va-Bene Fiatsis Kunst. Die Künstlerin spielt gerne mit den unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten. © Francis Kokoroko/Reuters

Aktivismus statt Gott

Va-Bene hatte dem Christentum bereits vor über 10 Jahren abgeschworen – noch bevor das Gesetz erarbeitet wurde. Während ihres Kunststudiums an der Universität in Kumasi begann sie, sich mit dem Verhältnis zu ihrem Körper, ihrer Sexualität und ihrem Geschlecht zu beschäftigen. «Die Kunstschule hat mir erlaubt, Dinge zu hinterfragen und Grenzen zu überschreiten. » Sie begann, auch Gott infrage zu stellen. Auf den sozialen Medien verkündete sie eines Tages: Gott ist tot. «Solche Aussagen führten zu Problemen mit meinem Umfeld. Doch für mich war klar, dass der Gott, an den ich glauben wollte, nicht existierte.» Stattdessen wandte sie sich dem Aktivismus zu. Und ersetzte Gott durch Kunst.

Ihre Transition erlebte Va-Bene als schmerzhaften Prozess. Immer wieder stiess sie auf Ablehnung. Halt fand sie in der Performancekunst.

Ihre Transition erlebte Va-Bene als schmerzhaften Prozess. Immer wieder stiess sie auf Ablehnung. Halt fand sie in der Performancekunst, mit der sie ihr Publikum auf teils rohe, eindringliche Weise aufrütteln will. «Meine Kunst ist aus meinem Aktivismus heraus entstanden, inspiriert vom Leben und der Liebe», sagt Va-Bene, die als Künstlerin unter dem Namen crazinisT artisT arbeitet. Die Kunst habe ihr geholfen, ihren Körper besser kennenzulernen und Menschen offen mit ihrer trans Identität zu konfrontieren. In ihrer Performance «Rituals of Becoming» (Deutsch: Rituale des Werdens) thematisiert sie ihre Transition zur Frau, überschreitet die binären Geschlechtervorstellungen, indem sie in einem roten Kleid mit Blumenmuster vor der Kamera steht und sich langsam die sichtbaren Bartstoppeln abrasiert. Sie frisiert sich die langen Haare, legt Lippenstift auf. Dabei redet sie über Politik, über Gott, über ihre Existenz. Sie will den Menschen Wissen vermitteln – und Empathie wecken.

Strassenkunst statt Galerien

Bei ihrem Besuch in der Schweiz im vergangenen Jahr zeigte Va-Bene ihre Kunst in den Berner Strassen. Mit Performances wie «Meine Farbe ist das Verbrechen, meine Genitalien sind das Tabu» wollte sie sehen, wie ihre Arbeit von einer mehrheitlich weissen Bevölkerung wahrgenommen wird.

An Ausstellungen in Galerien sei sie nicht interessiert, sagt Va-Bene. Viel lieber stelle sie ihre Arbeiten im öffentlichen Raum aus: in den Strassen von Ghana, Uganda oder Brasilien – oder eben Bern. Ihre Auftritte erfolgen meist unangekündigt, auch weil ihr die spontane Reaktion des Publikums wichtig ist. «Wenn meine Performance sie aufwühlt, berührt oder zum Nachdenken bringt, dann setzt sie etwas in Gang – und kann die Menschen bestenfalls zum Handeln bewegen.»

«In Galerien wird meine Arbeit als exotisch angesehen. Aber was passiert auf der Strasse? Indem ich die Leute mit meiner Kunst konfrontiere, durchbreche ich ihre Vorstellung von Schwarzer Kunst», sagt Va-Bene. Ihre Kunst kam gut an, doch Va-Bene hat die Schweiz nicht nur in positiver Erinnerung. 2016 wurde sie am Flughafen Zürich mehrere Stunden lang festgehalten und durchsucht. «Weil ich trans und Schwarz bin, wirke ich verdächtig », sagt sie. Einmal wurde sie auf den Kapverden drei Tage lang festgehalten. «Ich musste mich am Flughafen nackt ausziehen und den Spott von drei Männern über mich ergehen lassen – erst dann liessen sie mich gehen.»

In Ghana wird Va-Bene fast täglich angegriffen: Sie wird beschimpft, verflucht, verteufelt. «Viele Menschen begehen Selbstmord, weil sie diese psychische Gewalt nicht aushalten», sagt sie. Sie sieht es als ihre Aufgabe, ihre Gemeinschaft zu beschützen.

Kämpfen für die Zukunft

2018 hat Va-Bene eine Residenz für Künstler*innen gegründet, die perfocra- Ze International Artist Residency. Diese dient als Gemeinschaftsraum, in dem sich Künstler*innen neu erfinden und Werke schaffen, die die Gesellschaft aufrütteln. Jeden Monat besuchen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen den Kunstraum, auch aus der Schweiz oder den USA. «Die Residenz dient dazu, die Existenz von queeren Personen zu normalisieren», sagt Va- Bene.

Nicht alle sind von der Residenz begeistert. Eine Person postete nach einem Besuch auf den sozialen Medien, dies sei ein antichristlicher und gottesfeindlicher Ort. «Die Person hatte wahrscheinlich mit der eigenen Homophobie zu kämpfen », sagt Va-Bene.

Die Residenz bezahlt Va-Bene aus der eigenen Tasche. Sie will die Räumlichkeiten nun kaufen. «Sollte das neue Gesetz verabschiedet werden, werden wir rausgeworfen. Die Vermieter*innen können nicht riskieren, wegen uns ins Gefängnis zu kommen.» Daher sammelt sie Spenden für den Kauf eines Gebäudes, das als Zufluchtsort für alle dienen kann, die hier Schutz suchen.

«Viele Leute wollen mich, Va-Bene, retten. Dabei wäre es viel wichtiger, Ghana zu retten.»
Va-Bene Fiatsi, Aktivistin und Künstlerin

Dass sie riskiert, wegen ihres Engagements im Gefängnis zu landen, sieht Va- Bene gelassen. «Viele Leute wollen mich, Va-Bene, retten. Dabei wäre es viel wichtiger, Ghana zu retten», sagt sie. «Ich will kein Asyl, ich will in Ghana bleiben. Ich bin bereit, für die Gemeinschaft zu kämpfen und sogar zu sterben.» Sie könne sich nicht vorstellen, aufzugeben. «Was ich heute mache, mache ich nicht für mich oder meine Generation. Ich kämpfe für diejenigen, die noch nicht geboren sind. Damit sie in hundert Jahren nicht mehr den Kampf führen müssen, den wir heute führen. Darin liegt meine Hoffnung.»