AMNESTY: Rachel M’Bon, wie kam es zu diesem Film?
Rachel M’Bon: Ich hatte bereits Porträts von Schwarzen Frauen veröffentlicht, als ich 2017 die Instagram-Seite «@n_o_i_r_e_s» startete und Frauen auf der Strasse zum Thema Identität und Rassismus in der Schweiz befragte. Aber ich hatte Lust weiterzugehen: Anhand von Gesprächen mit Schwarzen Frauen aller Generationen und aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen wollte ich aufzeigen, dass die Hautfarbe auch bei einem privilegierten sozialen Status das gesamte Leben bestimmen kann.
Wie zeigt sich der systemische Rassismus in der Schweiz?
Es gibt Diskriminierung bei der Jobsuche, in der Schulbildung, bei der Wohnungssuche. Im Gesundheitswesen weigern sich manche Patient*innen, von Schwarzem Personal behandelt zu werden. Die Behandlung von Schwarzen Patient*innen ist ebenfalls betroffen, ihre Beschwerden werden oft nicht ernst genommen, weil aufgrund rassistischer Vorurteile davon ausgegangen wird, dass sie Schmerzen übertreiben.
Man spricht oft von Mikroaggressionen – scheinbar kleinen rassistischen Verletzungen, die «nicht böse gemeint» seien.
Mit Mikroaggressionen werden Betroffene mit ihrem angeblichen «Anderssein » konfrontiert. So zum Beispiel, wenn man eine rassifizierte Person fragt, woher sie ursprünglich kommt, obwohl sie hier geboren ist und immer hier lebte. Ein anderes Beispiel: Ich wurde gefragt, ob ich adoptiert sei, weil ich so «weisse Manieren» habe. Solche Bemerkungen können das Selbstwertgefühl beeinträchtigen.
Im Film erzählt eine junge Frau, dass ein Teil ihrer weissen Familie sie nicht küsst...
Rassismus innerhalb der Familie ist ein grosses Tabu. Meine Mutter wurde von einem Teil ihrer Berner Familie ausgegrenzt. Unbekannte haben sie auf der Strasse als Prostituierte beschimpft, weil sie einen Schwarzen Mann geheiratet hatte. Es ist auch schwierig für Eltern, deren Kind ihnen «nicht ähnlich sieht». Wenn ich mich in der Öffentlichkeit als Tochter meiner weissen, blauäugigen Mutter vorstelle, gibt es immer zweifelnde Blicke.
Wie baut man in einem mehrheitlich weissen Land eine Schwarze Identität auf?
Indem aus den vielfältigen Zugehörigkeiten eine Stärke gemacht wird. Das fängt damit an, das kulturelle Erbe zu schätzen, ohne die Kultur des Landes, in dem man lebt, zu vernachlässigen. Ich selbst habe meine afrikanische Seite lange verleugnet. Schwarze Vorbilder zu haben und mich für afrikanische Kulturen zu interessieren, half mir, meine Identität zu akzeptieren. Auch die Gemeinschaft stärkt: Gesprächsräume für Betroffene, in denen man sich über Erfahrungen und Fragen austauschen kann. Auch wenn jeder Schwarze Mensch eine eigene Identität hat, lassen sich Ähnlichkeiten in den Lebensläufen finden.
Welche Auswirkungen erhoffen Sie sich von Ihrem Film?
Ich sehe ihn als ein Werkzeug für den Dialog und die Dekonstruktion des Selbst. Rassismus ist ein Problem der Weissen, wie die Autorin Reni Eddo- Lodge sagen würde. Der Kampf darf nicht nur von den Betroffenen geführt werden, sondern muss ein gemeinsamer sein. Solange sich weisse Menschen dessen nicht bewusst werden, kann rassistische Diskriminierung nicht beseitigt werden.