«Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir so viel wie möglich tun, um zu helfen.» Die Gründerinnen des Vereins Zan Zendegui Azadi Suisse. © Amnesty International Schweiz
«Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir so viel wie möglich tun, um zu helfen.» Die Gründerinnen des Vereins Zan Zendegui Azadi Suisse. © Amnesty International Schweiz

MAGAZIN AMNESTY Amnesty-Magazin März 2023: Iran Zusammenstehen – hier wie dort

Von Jean-Marie Banderet. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom März 2023.
Ein Verein in der Westschweiz unterstützt die Proteste des iranischen Volkes von der Schweiz aus. Die Solidarität ist auch hierzulande nicht ganz ungefährlich.

Ein stilisiertes Frauenprofil auf der Vorderseite, auf der Rückseite ein Cartoon der iranisch-französischen Comiczeichnerin Marjane Satrapi, das wütende Demonstrantinnen zeigt: Das T-Shirt, das die Gäste im Genfer Büro von Amnesty International tragen, unterstreicht die Unterstützung für die iranischen Frauen. Die sechs Frauen sind mit einer Ausnahme iranischer Herkunft. «Wir waren schockiert über die Gewaltorgie der Revolutionsgarden», sagt Mercedes Novier im Gespräch über ihr Engagement. «Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, dass wir von der Schweiz aus so viel wie möglich tun, um zu helfen.» Im Oktober gründete sie mit fünf weiteren Frauen den Verein Zan Zendegui Azadi Suisse (Frau – Leben − Freiheit Schweiz), um den Kampf der Iranerinnen hierzulande sichtbar zu machen und zu unterstützen. Innerhalb weniger Monate haben sich Mercedes Novier, Leila Delarive, Patricia Bally, Tatiana Daneschwar Roux, Mitra Sohrabi und Isabelle Peillon einen Platz in den Radiosendern von RTS, in den Kolumnen von «Le Temps», dem «Blick» und sogar in der NZZ erobert.

Die feministische, unpolitische und nicht religiös gebundene Organisation zählt inzwischen rund 150 Mitglieder. Mit möglichst vielen Medienauftritten möchten die Aktivist*innen unter anderem Einfluss auf die Schweizer Aussenpolitik nehmen und erreichen, dass die Schweiz die Sanktionen der EU gegen den Iran mitträgt. Dank gewisser interner Regeln hat sich der Verein Glaubwürdigkeit aufgebaut: «Voraussetzung sind starke familiäre und kulturelle Bindungen unserer Mitglieder zum Iran. Wir wollen keine Egokämpfe. Und wir legen Wert auf eine sehr grosse Genauigkeit bei allen Aussagen, um nicht der Falschmeldungen bezichtigt werden zu können», sagt Patricia Bally.

Erschwerte Kommunikation

Nebst dem Lobbyieren und dem Organisieren gut besuchter Veranstaltungen ist Zan Zendegui Azadi Suisse in den sozialen Netzwerken sehr aktiv: einerseits um aktuelle Informationen aus dem Iran zu erhalten, andererseits um der Desinformation der iranischen Regierung etwas entgegenzusetzen. Es gibt nur noch wenige iranische Nachrichtenagenturen im Ausland, und es ist für diese sehr schwierig, die Fakten sorgfältig zu überprüfen. Zudem müssten die Quellen im Iran geschützt bleiben.

Die meisten Menschen im Iran würden ohnehin nicht wissen, was genau vor sich geht – es sei denn, es passiert direkt vor der Haustür: Die Regierung blockiert sämtliche offiziellen Medien. Die Menschen sind mangels unabhängiger Zeitungen, TV- und Radiokanäle auf die sozialen Medien angewiesen, um sich zu informieren und um Proteste zu organisieren. Zwar schränkt die Regierung in Teheran den Zugang zu Kanälen wie Instagram oder Whatsapp immer wieder ein, doch finden IT-affine Demonstrant*innen immer wieder Wege, die Zensur zu umgehen.

«Am Telefon traut man sich nicht, viel zu sagen, aus Angst, dass die Familienmitglieder Repressalien ausgesetzt werden.» Mercedes Novier

Regelmässige Internetabschaltungen, abgehörte Telefongespräche, überwachte Messenger: Der Kontakt zu Verwandten im Iran ist für die Menschen in der Schweiz sehr eingeschränkt. «Meine Mutter reiste nach dem 16. September in den Iran», erzählt die ehemalige Anwältin Leila Delarive. «Whatsapp funktionierte nur wenige Minuten am Tag. Sie können sich vorstellen, wie beängstigend es ist, von nahen Verwandten nichts zu hören.» Mercedes Novier, eine Rechtsanwältin aus dem Kanton Waadt, fügt hinzu: «Am Telefon traut man sich nicht, viel zu sagen, aus Angst, dass die Familienmitglieder Repressalien ausgesetzt werden.»

Was erfahren die Menschen im Iran über die Solidaritätskundgebungen, die auf der ganzen Welt stattfinden? Mercedes Novier erzählt von einer Nachricht, die sie von jungen Frauen erhalten hat: Diese hätten auf Instagram Bilder von der Demonstration gesehen, die auf der Place des Nations in Genf stattgefunden hatte. «Sie waren dankbar und überrascht über die grosse Menschenmenge, die gekommen war, um die Menschen im Iran zu unterstützen.»

Auch wenn sie lückenhaft seien, würden die Unterstützungsbotschaften aus der Diaspora zur Ausdauer der seit September 2022 andauernden Protestbewegung beitragen, davon sind die Frauen überzeugt. «Dies gilt insbesondere für die gut vernetzte iranische Jugend. Dabei ist diese mit dem Widerspruch konfrontiert zwischen dem, was sie im Alltag erlebt, und dem, was sie über die sozialen Netzwerke von der Aussenwelt erfährt», sagt Tatiana Daneschwar Roux.

Ein mächtiger Gegner – auch hierzulande

Ein äusserst mächtiger Akteur versucht jedoch, die Verbindungen zwischen den Iraner*innen und ihren Kontakten im Ausland zu zerschlagen: das Geheimdienstministerium. Der iranische Geheimdienst ist hoch entwickelt und überaus gut ausgerüstet. Vor allem aber kennt er keine Grenzen: Er ist direkt dem Obersten Revolutionsführer unterstellt und entzieht sich somit jeder gerichtlichen Kontrolle. Neben dem Abhören von Telefonen und der Überwachung der Online- Kommunikation greift der iranische Geheimdienst regelmässig auf Infiltration zurück.

Auch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) geht von Spitzeltätigkeiten des Iran in der Schweiz aus. Iranische Geheimdienste hätten hierzulande als Ziel hauptsächlich «die Kontrolle ihrer Diasporagemeinschaft und politischer Opponenten », schrieb der NDB schon 2020 in einem Sicherheitsbericht. Auf Anfrage von SRF Investigativ im Oktober 2022 antwortete der NDB, dass sich an dieser Einschätzung nichts geändert habe: «Der NDB verfügt über Erkenntnisse, die auf eine Intensivierung der nachrichtendienstlichen Aktivitäten des Iran in der Schweiz hindeuten», zitiert SRF News. Auch die vom Iran unterstützten Cyberaktivitäten hätten in den letzten Jahren zugenommen.

Der Geheimdienst schreckt auch im Ausland nicht von Drohungen gegenüber Personen zurück, die er als der iranischen Regierung gegenüber kritisch ansieht.

Viele Organisationen, die sich gegen die Islamische Republik stellen, haben dies im Iran und im Ausland zu spüren bekommen. Der Verein Zan Zendegui Azadi Suisse ist sich dieser Gefahr bewusst und rekrutiert daher die Mitglieder lieber aus dem Bekanntenkreis und auf lokaler Ebene. Die Mehrheit der Mitglieder sind Schweizer*innen. Doch der Geheimdienst schreckt auch im Ausland nicht von Drohungen gegenüber Personen zurück, die er als der iranischen Regierung gegenüber kritisch ansieht. Am 24. Januar berichtete der Westschweizer Sender RTS, dass die Einschüchterungen von Mitgliedern der iranischen Diaspora in der Schweiz stark zugenommen hätten.

Entschlossen, nicht locker zu lassen

Seit 1979 hat es in der Islamischen Republik mehrere Protestwellen gegeben, jedes Mal wurden sie mit äusserster Brutalität niedergeschlagen. Befürchten die Frauen von Zan Zendegui Azadi Suisse, dass die aktuellen Proteste das gleiche Schicksal erleiden werden? «Nein», antworten die Aktivistinnen. Unter anderem, weil die Jugend, die hinter der Bewegung stehe, zu allem bereit sei. Mitra Sohrabi sagt: «Anders als 2019, als es um die Wahl zwischen Konservativen und Moderaten ging, wird heute die Existenz der Islamischen Republik selbst in Frage gestellt.»

Was auch immer passiere, eines ist für die Frauen sicher: Sie werden nicht aufgeben. «Unser Kampf wird an dem Tag enden, an dem wir alle den Fall der Islamischen Republik auf dem Freiheitsplatz in Teheran feiern werden.»