Ketsia Passou und Josué Aruna setzten sich trotz Widerständen und Gefahren für die Umwelt ein. © André Gottschalk
Ketsia Passou und Josué Aruna setzten sich trotz Widerständen und Gefahren für die Umwelt ein. © André Gottschalk

MAGAZIN AMNESTY AMNESTY-MAGAZIN JUNI 2023: RECHT AUF PROTEST Einsatz für die Umwelt – trotz allem

Von Olalla Piñeiro Trigo. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Juni 2023.
Die 18-jährige Ketsia Passou und der 43-jährige Josué Aruna repräsentieren zwei unterschiedliche Generationen von Aktivist*innen. Doch eines ist beiden gemeinsam: Allen Gefahren zum Trotz setzen sie sich unermüdlich für die Umwelt in der Demokratischen Republik Kongo ein.

Die Demokratische Republik Kongo (DRK) ist reich an Mineralien, Gas und Öl. Das Land ist zu einem grossen Teil von Regenwald bedeckt und verfügt über ein riesiges Süsswasserreservoir – wichtige Faktoren im Kampf gegen die globale Erwärmung. Die Naturschätze wecken die Begehrlichkeiten Hunderter bewaffneter Gruppen − sowohl einheimischer als auch ausländischer –, worunter vor allem die Zivilbevölkerung leidet. Laut der NGO Global Witness zählt die DRK zu den für Umweltschützer* innen gefährlichsten Ländern in Afrika. Doch Aktivist*innen wie Ketsia Passou aus Kinshasa und Josué Aruna aus Süd-Kivu weigern sich aufzugeben.

AMNESTY: Wie kamt ihr dazu, euch für die Umwelt zu engagieren?

Josué Aruna: Ich bin in einem Dorf aufgewachsen. Mein Vater nahm mich sehr oft auf die Jagd mit. Damals sah ich noch Elefanten durch unser Dorf ziehen. Die Tierwelt – darunter viele geschützte Arten – wurde durch die Präsenz bewaffneter Gruppen aber immer stärker gefährdet. Ich wollte mich für den Schutz der natürlichen Lebensräume einsetzen, die auch im Kampf gegen die Klimaerwärmung eine wichtige Rolle spielen. Schon an der Universität setzte ich mich für die Erhaltung von Arten und Schutzgebieten ein. Heute bin ich Präsident der Société Civile Environnementale et Agro-Rurale du Congo, dem nationalen Dachverband der Umweltorganisationen. Unsere Arbeit konzentriert sich auf Orte, die eine hohe Biodiversität aufweisen, insbesondere im Osten des Kongo. Ich bin ausserdem Gründer und Leiter einer Organisation, die sich für den Erhalt der biologischen Vielfalt im Kongobecken einsetzt, einem Waldgebiet, das für unseren Planeten von entscheidender Bedeutung ist.

Ketsia Passou: Mich brachte die Umweltverschmutzung zum Klimathema. Als meine Familie in einen Stadtteil von Kinshasa in der Nähe des Flusses zog, war ich empört über die Tonnen von Müll, die sich im Fluss ansammelten; es gab kein System zur Müllentsorgung. Ich war 12 Jahre alt, als ich anfing, als Unicef-Jugendreporterin über die Wasserverschmutzung zu schreiben, dann war ich Klimabotschafterin. In dieser Rolle vertrete ich die kongolesische Jugend. Ausserdem habe ich den Verein Fanya gegründet, in dem sich Jugendliche zusammengeschlossen haben, um gegen die Plastikproduktion und die Wasserverschmutzung zu kämpfen.

Wie engagieren Sie sich konkret?

Ketsia Passou: Mein Kampf zielt auf die Jugend ab, da sie am stärksten vom Klimawandel betroffen sein wird. In der DRK sind fast 60 Prozent der Bevölkerung unter 20 Jahre alt. Wir arbeiten in Schulen, um das Umweltbewusstsein zu schärfen, denn es gibt einen echten Mangel an Wissen zu diesem Thema. So haben wir zum Beispiel in einem Gymnasium Plastikverpackungen durch solche aus Karton ersetzt. Wir organisieren auch Aktionen im öffentlichen Raum, beispielsweise einen Klimamarsch in Kinshasa vor der COP27.

Josué Aruna: Ich kämpfe vor allem gegen die Ausbeutung von Schutzgebieten durch multinationale Konzerne. Im Osten des Landes organisierten wir friedliche Demonstrationen, um Bergbauprojekte im Naturschutzgebiet Itombwe zu verhindern. Wir engagieren uns auch gegen die Ölförderung in den Nationalparks Virunga und Kahuzi-Biega, in denen Gorillas leben. Die Konzerne vor Ort halten sich weder an die Regeln für Umweltverträglichkeitsprüfungen noch an die Menschenrechte. Ich unterstütze auch die indigene Bevölkerung dabei, alternative wirtschaftliche Aktivitäten aufzubauen. So haben wir die Bevölkerung am Ufer des Kivu-Sees dafür sensibilisiert, wie wichtig es ist, die Flusspferde zu schützen, die zuvor mit Unterstützung der Einheimischen gewildert wurden. Das Ergebnis: Die Gemeinde richtete ein Schutzgebiet ein und Besucher*innen zahlen für den Besuch.

Mit welchen Hindernissen sind Umweltschützer*innen in der DRK konfrontiert?

Josué Aruna: Es ist schwierig, öffentliche Aktionen zu organisieren: An genehmigten Demonstrationen nehmen meist nur eine Handvoll Menschen teil. Meistens werden sie eh verboten, weil sie die Interessen der Behörden bedrohen. In diesem Sinne hält sich die Regierung nicht an internationale Übereinkommen, die das Recht auf Protest verteidigen. Wir wehren uns gegen das Verbot von Protesten, doch es ist riskant – besonders wenn wir gegen die Aktivitäten grosser multinationaler Konzerne demonstrieren. Es stehen viele Interessen auf dem Spiel und die Geschäftsleute sind zu allem bereit. Aktivist*innen werden unter Druck gesetzt, als Unruhestifter* innen bezeichnet und mit anonymen Anrufen eingeschüchtert. Wir werden sogar mit dem Tod bedroht, ich selbst wurde bereits Opfer eines Mordanschlags. Als ich 2019 den Abbau von Mineralien in einem geschützten Park anprangerte, drangen bewaffnete Männer in mein Haus ein und griffen meine Frau an. Das war traumatisierend, vor allem für meine Kinder.

Hat dieser Angriff ihr Engagement beeinflusst?

Josué Aruna: Ja, ich halte mich seither bedeckter. Wir haben unsere Arbeitsmethoden angepasst und sind doppelt vorsichtig. Ausserdem haben wir ein landesweites Netzwerk aufgebaut: Wenn es in einer Region ein Umweltproblem gibt, organisieren wir öffentliche Aktionen an anderen Orten, um das Bedrohungsniveau zu senken. Viele Menschen haben Angst, sich öffentlich zu äussern. Doch ich habe mich dafür entschieden, ungeachtet der Bedrohungen weiterzumachen.

Wie sieht der Protest in Kinshasa aus?

Ketsia Passou: Es ist schwierig, die Menschen in Kinshasa zu motivieren, da sie mit anderen Problemen konfrontiert sind wie prekären Lebensverhältnissen, Gewalt und einer hohen Arbeitslosigkeit. Da hat der Umweltschutz keine Priorität. Auch die Angst vor Einschüchterungen und Polizeigewalt hält Menschen davon ab, auf die Strasse zu gehen. Ich versuche jedoch, den Jugendlichen klarzumachen, dass der Kampf für die Umwelt von entscheidender Bedeutung ist.

Josué Aruna: Ich setze Hoffnung in die junge Generation. Als ich an Sit-ins mit Aktivist*innen in Kinshasa teilnahm, begegnete ich umweltbewussten Jugendlichen, die etwas unternehmen wollen. Umweltaktivist*innen werden aber immer noch als unglaubwürdig dargestellt und sind nicht ausreichend geschützt. Wir sollten mehr lokale und internationale Hilfe erhalten.

Was müsste sich ändern?

Josué Aruna: Die Demokratische Republik Kongo verfügt über ein unglaubliches Potenzial an Wald und Bodenschätzen und über zahlreiche Wasserressourcen – alle wollen diese natürlichen Reichtümer an sich reissen. Die Regierung schützt die Ressourcen nicht, im Gegenteil. In Süd-Kivu zum Beispiel beuten Milizen die natürlichen Ressourcen aus und holzen die Wälder ab. Die indigenen Gemeinschaften, die unter Gewalt leiden, profitieren nicht von den Reichtümern in ihrem Gebiet, ihre Armut wird verstärkt. Wir wollen erreichen, dass ein Rechtsstaat geschaffen wird, der die Rechte der Bevölkerung und die Biodiversität schützt. Denn die Folgen der Ausbeutung gefährden den ganzen Planeten.