MAGAZIN AMNESTY AMNESTY-Magazin Juni 2023: Recht auf Protest Menschenrechte einfordern: Tipps für sicheres Demonstrieren

Von Natalie Wenger. Illustrationen: Kathrin Frank. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Juni 2023.
Protest ist eines der wichtigsten Mittel, um die Einhaltung von Menschenrechten einzufordern. Doch wer auf die Strasse geht, um die Stimme zu erheben, geht immer auch ein Risiko ein. Ein Überblick über die Rechte von Demonstrierenden und die wichtigsten Tipps für erfolgreiches Demonstrieren. Und mehr über das Recht auf Protest in der Schweiz.

Das Jahr 2022 endete, wie dieses Jahr begann: mit Protesten. Im Iran setzten sich die Menschen weiterhin für mehr Rechte und gegen die Unterdrückung ein, in Frankreich gingen die Bürger*innen aus Protest gegen die geplante Rentenreform auf die Strasse, in Nigeria wurde aufgrund der Wahlen demonstriert, in Südafrika wegen der andauernden Stromausfälle, in Peru wegen einer politischen Krise, die in der Verhaftung von Ex-Präsident Castillo kulminierte. Auf die Strasse zu gehen, seine Meinung zu äussern und Missstände anzuprangern, ist ein fundamentales Menschenrecht. Das Recht auf Protest leitet sich hauptsächlich aus dem Recht auf friedliche Versammlung und dem Recht auf freie Meinungsäusserung ab, die in mehreren Menschenrechtstexten verankert sind. Doch obwohl Proteste durch das Völkerrecht geschützt sind, kommt es weltweit immer mehr zu Einschränkungen, Repression und Gewalt gegen Menschen, die dieses Recht ausüben – auch in der Schweiz. Amnesty International will dies ändern und hat daher die Kampagne «Protect the Protest» lanciert – damit Proteste weltweit geschützt werden!

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Wer in der Schweiz an einer Demonstration teilnehmen möchte, findet im Booklet «Kenne deine Rechte - dein Demo-Guide» ausführliche Informationen zu den entsprechenden Rechten sowie Tipps und Empfehlungen, was beim Demonstrieren zu beachten ist.

www.amnesty.ch/demo-guide

 

 

 

Das Recht auf Protest in der Schweiz

Das Recht auf Protest als solches ist in der schweizerischen Bundesverfassung nicht als Grundrecht aufgeführt. Demonstrationen und Kundgebungen auf öffentlichem Grund geniessen in der Schweiz jedoch den verfassungsrechtlichen Schutz sowohl der Meinungs- als auch der Versammlungsfreiheit. Diese Rechte sind in mehreren Menschenrechtstexten verankert: dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Uno-Pakt II), der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und der Uno-Erklärung über Menschenrechtsverteidiger* innen.

Das Recht auf friedliche Versammlung schützt jede absichtliche, vorübergehende und friedliche Zusammenkunft von Personen im privaten oder öffentlichen Raum, die mit dem Ziel abgehalten wird, eine gemeinsame Meinung zu äussern. Das Recht auf freie Meinungsäusserung garantiert jeder Person die Möglichkeit, ihre Anliegen auf ihre Art und Weise, verbal oder nonverbal und ohne Einmischung durch Behörden oder Dritte zu äussern. Es schützt die Fähigkeit sozialer Gruppen, ihre Meinungen kollektiv kundzutun. Beide Rechte zusammengenommen schützen verschiedene Arten von Versammlungen wie politische Demonstrationen, Streiks, Sit-ins, Strassenblockaden, kulturelle oder religiöse Feiern. Der Rechtsschutz erstreckt sich jedoch nicht auf gewalttätige Demonstrationen oder auf Versammlungen, die zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt anstacheln.

Einschränkungen von Demonstrationen sind zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, verhältnismässig sind und das öffentliche Interesse oder die Grundrechte Dritter schützen. In der Schweiz müssen Demonstrationen grundsätzlich von den Behörden genehmigt werden. In der Regel müssen Datum, Uhrzeit, Dauer, Ort und/oder die geplante Route im Falle eines Umzugs, die ungefähre Anzahl der erwarteten Personen und die Kontaktdaten der Organisator*innen der Demonstration angegeben werden. Von der Bewilligungspflicht sind lediglich Spontankundgebungen ausgenommen. Die Bewilligungspflicht steht im Widerspruch zum Völkerrecht, das diese als unverhältnismässige Einschränkung taxiert. Damit die Behörden dennoch ihre Pflicht auf Schutz und Ermöglichung von Protesten wahrnehmen können, wird eine reine Notifikationspflicht durch die Organisator* innen als verhältnismässig erachtet.

In der Schweiz sind die Praxis der Behörden und die bestehenden Rechtsgrundlagen oft nicht mit dem völkerrechtlich geschützten Recht auf Protest vereinbar. Nebst dem oben er-wähnten Beispiel der Bewilligungspflicht sind auch der unrechtmässige Einsatz von Polizeigewalt und spezifische Hürden für einzelne oder mehrere Personen, namentlich diskriminierungsbetroffene, Indizien für Missstände.