Eine stille Form des Protests: Mahnwache der Women in Black in Jerusalem. © Debbie Hill/UPI/Alamy
Eine stille Form des Protests: Mahnwache der Women in Black in Jerusalem. © Debbie Hill/UPI/Alamy

MAGAZIN AMNESTY AMNESTY-Magazin Juni 2023: Recht auf Protest Nicht mit mir!

Von Manuela Reimann Graf. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Juni 2023.
Es gibt vielfältige Formen des Widerstands und des Protests – nicht nur auf der Strasse. Einige Aktivist*innen engagieren sich beharrlich für ihre Anliegen – zum Teil über Jahrzehnte hinweg. Drei Beispiele von «stillen» Aktionsformen, die die unterschiedlichen Facetten zivilen Widerstands aufzeigen.

Nicht mit meiner Stimme

Seit Januar 1988 versammeln sie sich jeden Freitag, schweigend stehen sie immer zur Mittagszeit in verschiedenen israelischen Städten: schwarz gekleidete Frauen mit schwarzen Transparenten, auf welchen sie «Stop the Occupation» fordern. Inspiriert von den Black Sash in Südafrika und den Müttern der Plaza de Mayo in Argentinien traf sich die anfangs kleine Gruppe von Women in Black erstmals nach dem Ausbruch der ersten palästinensischen Intifada, um gegen die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete und gegen die gegenseitige Gewalt zu protestieren. Dies war der Beginn einer langen Reihe von Demonstrationen, die bald eine internationale Dimension annehmen sollten.

Auf dem Höhepunkt der Anti-Besatzungs-Bewegung gab es in ganz Israel 30 Gruppen, die diese stillen Mahnwachen durchführten. «Heute, nach all den Jahren, gibt es immer noch drei Gruppen, die in Israel regelmässig Mahnwachen abhalten», erzählt Orly Nathan, die seit Jahren bei den Women in Black dabei ist. Oft werden die Frauen – zu denen sich immer wieder auch Männer gesellen – von Passant*innen bespuckt, sexistisch beschimpft, manchmal auch körperlich angegriffen.

Orly Nathan ist überzeugt, dass dieser Protest gegenwärtig wichtiger ist denn je, denn die Besatzung werde jeden Tag schlimmer. «Wir als Feministinnen, die die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Formen der Unterdrückung in der Gesellschaft sehen, verstehen, dass die andauernde Besatzung die Hauptursache für den Aufstieg der extremistischen rechten Kräfte in der Regierung ist. Wir sehen daher unsere Aufgabe darin, dagegen zu protestieren.»

In Solidarität mit den Frauen in Palästina und Israel wurde in den 1990er-Jahren bald auch in anderen Ländern in Schwarz und in Stille gegen Gewalt und Krieg protestiert. Mit dem Beginn des Krieges im ehemaligen Jugoslawien entstanden die Frauen in Schwarz von Belgrad, die in den 1990er Jahren gegen den Nationalismus und den Krieg protestierten. Bald nahmen die Gruppierungen auch andere soziale und politische Themen auf. So wehren sich die Women in Black in Indien gegen Hindu-Fundamentalismus und Gewalt an Frauen. In Italien protestieren die Frauen gegen Krieg und organisiertes Verbrechen. In Australien stehen sie gegen häusliche Gewalt schweigend auf der Strasse. Die verschiedenen Gruppierungen schlossen sich zu einer internationalen Organisation zusammen, die heute in vielen Ländern präsent ist, aber sehr informell agiert und vor allem den Austausch pflegt.
www.womeninblack.org

In der Schweiz gibt es keine Gruppierung. Jedoch stehen seit 11 Jahren in Solidarität mit den israelischen Women in Black jeden zweiten Freitag im Monat über die Mittagszeit Menschen vor der Heiliggeistkirche in Bern und demonstrieren für Frieden in Israel/Palästina. Gleichzeitig finden Mahnwachen auf dem Paradeplatz in Zürich statt. www.nahostinfo-bern.


kirin-beschnitten.jpg Der japanische Konzern Kirin musste sich aus Myanmar zurückziehen. © www.burmacampaign.org.uk

Nicht mein Bier

Myanmar Beer – diese Marke war mit einem Marktanteil von geschätzten 80 Prozent die beliebteste Biersorte in Myanmar. Doch dann übernahm 2021 das Militär die Macht; jegliche Opposition wird seither hart unterdrückt. Die Führungsspitzen des Militärs kontrollieren wichtige Wirtschaftszweige, vertreiben Reis, Milchpulver und andere Le-bensmittel. Das im Land beliebte Myanmar Beer wird von der Myanmar Brewery hergestellt; diese befand sich im gemeinsamen Besitz der japanischen Kirin Company und der Myanmar Economic Holdings Limited (MEHL), einem Firmen- Konglomerat im Besitz des Militärs.

Widerstand gegen die Regierung kann in Myanmar lange Haftstrafen, Folter oder gar den Tod bringen. Doch eine Form des zivilen Widerstands blieb der Bevölkerung: der Produkte-Boykott. Und so kauft ein grosser Teil der Menschen im Land kein Myanmar Beer mehr. Läden nahmen das Bier aus den Regalen, Transporte in die Regionen wurden von protestierenden Menschen gestoppt.

Die japanische Kirin Company kam zusehends stärker unter Druck, weltweit wurde sie dafür kritisiert, mit der myanmarischen Junta Geschäfte zu machen. Die Kritik verschärfte sich, als das Militär 2017 Gräueltaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beging, insbesondere an den Rohingya im Norden des Landes. Im Jahr 2018 erklärte eine Uno-Mission, die die Gräueltaten gegen die Rohingya in Myanmar untersuchte, dass Geschäfte mit MEHL ein «hohes Risiko» bergen, zu Menschenrechtsverletzungen beizutragen. Letztendlich musste sich der japanische Konzern aus Myanmar zurückziehen. Der Erfolg bestärkte die Bevölkerung Myanmars, die weiter macht mit dem Boykott der Produkte von Unternehmen, die in den Händen des Militärs sind.
www.burmacampaign.org.uk


Ed Hedemann am National Tax Day 2012. © Michael Fleshman / Wikimedia CC

Nicht mit meinem Geld

Die Weigerung, Steuern oder einen Teil davon zu zahlen, ist eine alte Form des zivilen Ungehorsams gegen die Regierung. Schon die britische Suffragetten-Bewegung führte Anfang des 20. Jahrhunderts eine Steuerverweigerungs-Kampagne durch, um gegen die Diskriminierung von Frauen zu protestieren. Auch Mahatma Gandhi nutzte diese Form des Protests, als er zur Verweigerung der hohen Salzsteuern der britischen Kolonialregierung aufrief. Antikriegs-Aktivist*innen weigern sich zumeist, diejenigen Steuern zu zahlen, die für den Krieg oder die Armee verwendet werden – sie lehnen nicht die Steuerpflicht als solche ab.

In den USA gibt es eine lange Tradition von Kriegssteuerverweigerung; sie hatte ihre Höhepunkte vor allem während des Vietnamkriegs und während der Amtszeit von Präsident Ronald Reagan, unter welchem die Militärausgaben massiv anstiegen. Nachdem die Zahl der Kriegssteuerverweiger*innen nach dem Ende des Kalten Kriegs zurückgegangen war, wuchs sie mit dem «Krieg gegen den Terror» nach dem 11. September wieder an.

Das National War Tax Resistance Coordinating Committee (NWTRCC) koordiniert in den USA ihre Aktivitäten. «In der Verweigerung der Kriegssteuer sehen wir eine grossartige Gelegenheit, einen Protest zu äussern, den die Regierung nicht ignorieren kann», erzählt Ed Hedemann, Mitbegründer von NWTRCC. «Wir sind aber auch mit Anti- Kriegs-Demonstrationen, Mahnwachen und anderen Aktionen aktiv.» Viele Aktivist*innen überwiesen den nicht gezahlten Steuerbetrag an soziale Institutionen oder Friedensorganisationen, erzählt Ed Hedemann weiter. Der Steuerboykott werde zwar selten strafrechtlich verfolgt oder gar mit Gefängnisstrafen geahndet, aber es gebe recht hohe Bussen, auch könne das Eigentum oder Einkommen gepfändet werden.
www.nwtrcc.org