Schon Kleinkinder können sich verlieben – laut Fachleuten genauso intensiv wie Erwachsene. Ich war in meiner Kindheit bestimmt zwei Dutzend Mal verliebt. Etwa zur Hälfte in Mädchen und Jungs. Das habe ich nie jemandem erzählt; technisch gesehen ist das hier also mein Coming-out.
Aber heute beschäftigt mich das kaum noch. Ich bin einfach ich und ganz zufrieden damit. Es fühlt sich gut an, endlich mit sich im Reinen zu sein, denn als Kind war ich es nicht. Das lag weniger an mangelndem Selbstbewusstsein als an fehlender Information. Ich wusste nicht, dass all meine Gefühle normal waren. Verliebte ich mich in Anja, entsprach das dem, was die Welt mir vorlebte. Schwärmte ich für Max, fühlte ich mich falsch. «Das darf nie jemand erfahren», dachte ich, und: «Ich bin der Einzige auf der Welt, dem es so geht.» Ich verzweifelte nur deshalb nicht an meiner Identität, weil ich mich immer mal wieder in eine Anja verliebte.
Dabei hätte mir lediglich jemand sagen müssen: «Hey, viele Jungs verlieben sich in Jungs.» Ich hätte ausserdem gerne gewusst, dass die geschlechtliche Identität einen gewissen Spielraum bietet. Zu oft fühlte ich mich auch da in eine unbequeme Rollenschub-lade gedrängt.
Doch meine Kindheit fiel nicht in die Hochblüte der sexuellen Aufklärung. Wie viele Millennials musste ich mir die entsprechenden Informationen selbst zusammenkratzen. Ich lernte die Basics aus einem Stapel Hochglanzmagazine, den ein paar ältere Schüler bei der jährlichen Papiersammlung aussortiert und auf meinem Schulweg versteckt hatten. Die Bilder waren eindeutig, aber eben auch einseitig. Heute ist die Vielfalt von Liebe und Identität sichtbarer, aber nach wie vor wird vor allem die Mehrheitsnorm zelebriert. Insbesondere junge trans Kinder leben jahrelang mit dem Gefühl, etwas stimme mit ihnen nicht, bevor endlich jemand sagt: «Du bist gut, so wie du bist!»
Lasst uns die Kinder besser aufklären. Früh und breit. Nicht nur über Bienchen und Blümchen, sondern unverblümt über die Vielfalt der Sexualität, die Vielfalt der gegenseitigen Anziehung und der geschlechtlichen Identität. Lasst uns denen die Stirn bieten, die behaupten, damit würden Kinder indoktriniert und verwirrt. Aufklärung ist Wissen. Sie ist Grundlage dafür, sich selbst zu finden. Sie gehört zum Recht aller Kinder auf eine freie Entfaltung. Gut aufgeklärte Kinder sind besser vor sexueller Gewalt geschützt und glücklicher. Nicht Aufklärung ist Indoktrination, Nichtaufklärung ist Indoktrination. Nicht Wissen verwirrt, sondern Einsamkeit.