Ausdruck des Gemischs der Religionen: Die grosse Moschee in Benins Hauptstadt Porto Novo, gebaut im Stil afro-brasilianischer Kirchen. © Le Figaro Magazine/laif
Ausdruck des Gemischs der Religionen: Die grosse Moschee in Benins Hauptstadt Porto Novo, gebaut im Stil afro-brasilianischer Kirchen. © Le Figaro Magazine/laif

MAGAZIN AMNESTY AMNESTY-Magazin März 2024 – Konflikte im Sahel Wachsendes Misstrauen

Von Katrin Gänsler, Cotonou. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom März 2024.
Lange galt Benin als Paradebeispiel für religiöse Toleranz. Doch der Dialog wird schwieriger. Dabei wäre er wichtig, um der Radikalisierung entgegenzuwirken.

Der Vorfall Mitte Dezember im Norden Benin machte deutlich: Die Gewalt islamistischer Bewegungen hat nun auch Benin erreicht. Bei einer Patrouille im Norden unweit der Grenze zum Nachbarland explodierte ein selbst gebauter Sprengsatz. Laut Militärquellen starben zwei Soldaten. Drei Wochen später töteten Sicherheitskräfte im Dorf Tissoua fünf Bewaffnete, wie lokale Medien berichteten.

Klar ist, der Extremismus breitet sich in Benin aus. Laut der NGO ACLED mit Sitz in den USA ist die Lage «turbulent». Das Land liegt auf Platz 43 des Konfliktindexes der Organisation und gehört damit zu den konfliktreichsten Ländern der Welt. Seit Ende 2021 sind extremistische Bewegungen wie die der al-Qaida nahestehenden Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime (JNIM) sowie der Islamische Staat in der Grösseren Sahara (EIGS) in Benin aktiv. Betroffen sind auch die nördlichen Regionen der Küstenstaaten Togo, Ghana und Elfenbeinküste.

Die Situation könnte sich negativ auf das Zusammenleben der Religionen auswirken. Dabei galt Benin lange als sicher und politisch stabil und vor allem beispielhaft für religiöse Toleranz und das interreligiöse Miteinander. Die Hälfte der Bevölkerung bekennt sich zum Christentum. Knapp 28 Prozent sind Muslim*innen, sie leben mehrheitlich im Norden. Rund zwölf Prozent bezeichnen sich offiziell als Anhänger*innen von Voodoo. Tatsächlich praktizieren viele mehr als nur eine Religion.

Die Wiederentdeckung des Voodoo

Doch die Verständigung unter den Religionen könnte schwieriger werden. Radji Saïbou ist für Benin Generalsekretär der internationalen nichtstaatlichen Organisation Religions for Peace und setzt sich für den interreligiösen Dialog ein. Ein Selbstläufer sei der Dialog nicht, man müsse daran arbeiten, sagt er. Bemerkenswert sei vor allem, wie sehr das Interesse an Voodoo steige. Vergangenes Jahr musste sich Jean-Michel Abimbola, Minister für Kultur und Tourismus, während einer Pressekonferenz sogar die Frage gefallen lassen, ob die Regierung Voodoo gegenüber den anderen Religionen bevorzuge. Die Regierung hatte rund um den 10. Januar – dem offiziellen Feiertag indigener Religionen – erstmals das Festival «Vodun Days» organisiert. Dabei ist Benin eigentlich ein laizistischer Staat.

Während die Wiederentdeckung der alten Religion, die lange als rückständig galt und verpönt war, ein grosses Gesprächsthema ist, wird es um das Zusammenleben zwischen Christ*innen und Muslim*innen stiller. Im Norden hat es stets Freundschaften von Vertreter*innen der beiden Weltreligionen gegeben. In Gogounou etwa hat sich der katholische Priester Denis Kocou regelmässig mit dem Imam in seiner Nachbarschaft, Ibrahim Guerra, getroffen – ein Zeichen für das bisher friedliche Zusammenleben.

Doch zu der Frage, wie es mittlerweile darum bestellt ist, will sich niemand äussern. Anfragen bleiben unbeantwortet. «Wir haben weniger Kontakt als bisher», sagt Djelil Yessoufou, der Imam der Zentralmoschee von Aïdjèdo, einem Stadtteil in der Wirtschafts- und Hafenmetropole Cotonou. Auch er setzt sich für interreligiöse Debatten und Treffen ein. Gründe für den Rückgang seien jedoch nicht Konflikte und Desinteresse. «Es fehlt uns an finanziellen Mitteln, um Treffen zu organisieren», behauptet er.

In den vergangenen Jahren sind die Menschen insbesondere im Norden vorsichtig geworden. Zur Sicherheitslage und zur Gefahr durch Terrormilizen äussert man sich lieber nicht. Das Misstrauen anderen gegenüber ist gross. Schweigen gilt als Selbstschutz.

Angst verhindert den Dialog

«Die Menschen haben Angst», sagt Djelil Yessoufou. Zwar sind hier, mehrere Hundert Kilometer weiter südlich, die Anschläge noch weit weg, und es gibt kaum Informationen über das, was im Norden passiert. Als Generalsekretär der islamischen Union Benins steht Yessoufou aber mit Imamen und Moschee-Vertretern aus dem ganzen Land in Kontakt und tauscht sich regelmässig mit ihnen aus. «Menschen sorgen sich, weil sich der Extremismus ausbreitet. Es kommt zu Entführungen und Überfällen», sagt er.

Zu einem besonders gewalttätigen Überfall kam es im Mai 2023 im nordwestlich gelegenen Departement Atacora. In den Dörfern Kaobagou und Guimbagou ermordeten Bewaffnete 20 Personen. Vier Monate später zählten die Vereinten Nationen dort knapp 10 000 Binnenvertriebene.

Sichtbar geworden sind die Extremist*innen längst. Zwischen April und September, so heisst es im aktuellen Bericht der niederländischen Denkfabrik Clingendael zur Entwicklung in Benins Norden, haben Augenzeug*innen zufolge Anhänger* innen der Gruppe JNIM Mitte Mai 2023 einer öffentlichen Schule gedroht und deren Schliessung gefordert. JNIM entstand 2017 nach dem Zusammenschluss mehrerer Milizen in Mali, wo ganze Dörfer unter ihrer Kontrolle stehen. Die Bewohner*innen werden dazu gezwungen, sich an eine besonders strikte Auslegung der islamischen Gesetzgebung Scharia zu halten. Generell üben gewaltbereite Islamist*innen in der Region massiven Druck auf Schulen aus.

Es mangelt an Perspektiven

Lange hiess es, dass die Gewalt von aussen ins Land schwappe. Der Clingendael- Bericht zeigt aber, dass es längst eine Überlappung gegeben hat. So haben sich beispielsweise Schmuggler*innen gewaltbereiten extremistischen Gruppen angeschlossen. Und es gibt lokale Konflikte, etwa um den Zugang zu Land.

Wer in Parakou unterwegs ist, hört von vielen, dass sich die Region abgehängt fühlt. Die Stadt liegt im Zentrum Benins, wird aber dem Norden zugerechnet. Seit dem Staatsstreich im Niger im Juli 2023 laufen die Geschäfte schlecht. Aufgrund der geschlossenen Grenzen können Waren nicht mehr ins Nachbarland transportiert werden. Darunter leiden Transportunternehmen, Fahrer, aber auch Frauen, die an den Überlandstrassen stehen und Essen verkaufen. Vor allem junge Menschen klagen, dass es ihnen an Perspektiven fehle. Nach Angaben des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) sind es weniger religiöse Ideologien, sondern mangelnde Jobs, die dafür sorgen, dass sich Menschen extremistischen Bewegungen anschliessen.

Imam Yessoufou setzt auf einen ganzheitlichen Ansatz. Wer über Extremismus spreche, müsse auch über die soziale Komponente reden. Neben Perspektiven für junge Menschen seien Präventionsmassnahmen wichtig. «Wir sind beispielsweise in der Verantwortung, wenn es um die Lehrpläne von Koranschulen geht», sagt er. «Radikale Ideen dürfen auch dort keinen Platz haben.»