Versalzung und Grundwasserverseuchung durch den Zirkonabbau bedrohen die Lebensgrundlagen der Fischer*innen. © Muhamadou Bittaye / afp / Keystone
Versalzung und Grundwasserverseuchung durch den Zirkonabbau bedrohen die Lebensgrundlagen der Fischer*innen. © Muhamadou Bittaye / afp / Keystone

MAGAZIN AMNESTY AMNESTY-Magazin Juni 2024 – Senegal Ein Ökosystem in Gefahr

Von Baptiste Fellay. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Juni 2024.
In der Casamance im Süden Senegals wehrten sich die Menschen recht erfolgreich gegen ein Bergbauprojekt an ihrer Küste. Doch das jetzt für das Projekt verantwortliche Unternehmen hat sie ausmanövriert. Die neue Regierung bringt nun etwas Hoffnung.

«Am Tag nach der Einigung mit dem Bergbauunternehmen erhielt der Bürgermeister von Abéné ein für senegalesische Verhältnisse sehr teures Auto sowie einen Umschlag mit umgerechnet rund 5000 Franken Bargeld. Abéné ist eines der betroffenen Dörfer, bei denen Zirkon abgebaut werden soll», sagt Pape Sané. Der senegalesische Enthüllungsjournalist recherchiert zu den Projekten und Aktivitäten des Bergbauunternehmens G-Sand in den Dörfern Niafrang, Abéné und Kabadjo an der Küste der Casamance.

Seine Aussage wird von Moustapha Faty bestätigt. Der Aktivist, der für das Komitee gegen das Zirkon-Abbauprojekt die Aussenbeziehungen pflegt, sagt: «Die Behörden von Abéné wurden mithilfe von Korruption ‹überzeugt›. Sie sprechen sich nun für den Beginn der Arbeiten auf ihrem Gemeindegebiet aus.» Bis dahin hatten die drei betroffenen Dörfer geschlossen gegen die Rohstoffausbeutung an ihrer Küste gestanden. Doch dann sollen Schecks im Wert von rund 300 Schweizer Franken an diejenigen Familien verteilt worden sein, die die politische Macht in den Dörfern innehaben.

Seit 2006 organisierten sich die Bewohner*innen der Dörfer in der Nähe der Niafrang-Düne gegen das Projekt zum Abbau von Zirkon, einem Metall, das in verschiedenen Industriezweigen wie etwa der Nuklearindustrie oder zur Herstellung von Pumpen, Ventilen, Rohren sowie von medizintechnischen Instrumenten verwendet wird. Die Bohrungen würden die Dünen angreifen, die die Felder und Häuser vom Ozean trennen. Damit würde nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch die Lebensgrundlage von Zehntausenden Menschen gefährdet.

Informationskrieg, Bestechungsversuche, Todesdrohungen – die Aktivist*innen in der Casamance haben schon viel erlebt. Doch das Komitee gegen das Zirkonabbauprojekt hat nie aufgegeben. Seine Mitglieder demonstrierten wiederholt gegen den australischen Konzern Astron, der die Konzession für den Abbau hatte. Doch im vergangenen November wurde Astron die Konzession entzogen, weil das australische Unternehmen es nicht schaffte, die Widerstände gegen das Projekt zu überwinden und mit dem Abbau zu beginnen.

Seither sieht sich das Komitee, das gegen das Ausbeutungsprojekt kämpft, mit einem neuen Gegner konfrontiert: G-Sand, ein Bergbauunternehmen aus dem benachbarten Gambia, hat bereits seine Maschinen auf den Dünen aufgestellt. In wenigen Monaten bereits will G-Sand mit dem Bohren beginnen; dieses Unternehmen kann seine Pläne damit viel schneller umsetzen als Astron, das trotz seiner grösseren Finanzkraft 18 Jahre in Verhandlungen investieren musste.

Neuer Gegner

Die Menschen und insbesondere die Unabhängigkeitsbewegung in der Casamance haben seit jeher ein angespanntes Verhältnis zur zentralen Regierung in Dakar, der sie eine koloniale Ausbeutung der Ressourcen vorwerfen. Der senegalesische Präsident Macky Sall hatte 2019 zwar noch verlangt, dass vor Beginn der Bauarbeiten ein Konsens mit der betroffenen Bevölkerung gefunden wird. Doch dann trat das Unternehmen G-Sand auf die Bühne. Die Firma handelte zunächst im Auftrag von Astron. Mit Aboubacar Diaby, dem Leiter des gambischen Unternehmens, übernahm ein gebürtiger Senegalese die Verhandlungen. «Er ist ein Mandinka wie wir und somit gefährlich, denn er kennt unsere Bräuche und Vorgehensweisen », sagt der Aktivist Moustapha Faty.

Der Journalist Pape Sané fand heraus, dass Aboubacar Diaby im Laufe der Verhandlungen beschloss, den australischen Riesen loszuwerden. Offenbar überzeugte er die Behörden davon, ihm das Projekt direkt anzuvertrauen: «Die Führungskräfte von Astron erfuhren am Telefon, dass die am stärksten betroffene Gemeinde Abéné den Bohrungen zustimmte unter der Bedingung, dass diese nicht von Astron ausgeführt würden. Von einem Tag auf den anderen war Astron kaltgestellt.» Diaby hatte bereits einen Nachfolger in petto. «Er arbeitet mit Investor*innen aus China zusammen, wie er es schon in Gambia tat», sagt Pape Sané.

Gefährdetes Ökosystem

In der von Meereserosion betroffenen Region dienen die Dünen als Schutzwall gegen den Atlantik. 2004 war das Grundstück, auf dem derzeit die Maschinen von G-Sand stehen, vom senegalesischen Staat zu einem Meeresschutzgebiet erklärt worden, in welchem jeglicher Abbau verboten ist. Umso überraschter waren die Dorfbewohner*innen, als 2006 das erste Bergbauunternehmen auftauchte.

Ebenfalls 2006 wurde von der senegalesischen NGO Oceanium ein Projekt zur Wiederaufforstung von Mangrovenwäldern gestartet – ein Projekt im Rahmen einer nachhaltigeren Bewirtschaftung des Gebiets. Die Bemühungen um die Regeneration des fragilen Ökosystems tragen erste Früchte und er möglichen die Weiterentwicklung traditioneller Landwirtschaftsformen wie der Fisch, Austern- und Bienenzucht. Eine Genossenschaft, die nach ökologischen und solidarischen Prinzipien arbeitet, entstand: «Wir wirtschaften nun nachhaltig», erklärt der Aktivist Moustapha Faty. «Dies hat uns ein friedliches Leben ermöglicht, denn das Projekt entspricht auch unserer animistischen, spirituellen Lebensweise: Für uns ist die Natur heilig und muss bewahrt werden. Vor allem darf sie nicht zu kommerziellen Zwecken ausgebeutet werden. » Ein Gleichgewicht, das durch den Zirkon-Abbau massiv gefährdet würde: «Es besteht die Gefahr, dass das Grundwasser verseucht und das Wasser versalzen wird. Zu viel Salzwasser würde die Mangrovenwälder zum Verschwinden bringen. Dies würde wiederum die Küste erodieren und somit unsere Lebensgrundlage gefährden. Wir haben in Gambia gesehen, wie das geschieht.»

Der Unternehmer Aboubacar Diaby hat bereits im Nachbarland Gambia, wo sich die Dünenkette der Casamance fortsetzt, Zirkon abgebaut. Dies hat eine Umweltkatastrophe ausgelöst. In der gesamten Casamance sind insgesamt 44 Dörfer vom gleichen Schicksal bedroht: «Alles, was wir hier befürchten, ist in Gambia bereits passiert. Diaby wurde vom damaligen gambischen Präsidenten Yahya Jammeh schliesslich vertrieben», sagt Pape Sané.

Korrupte Behörden

Im Laufe der Jahre konnten Moustapha Faty und seine Kolleg*innen auf immer mehr Unterstützung zählen. 2017 rief ein Kollektiv von Wissenschaftler*innen, die in der Casamance ansässig sind, den «Appel de la dune» (Appell der Düne) ins Leben. Die Wissenschaftler*innen befürchten eine Umsiedlung eines Grossteils der Bevölkerung, wenn das Projekt realisiert wird. Die Petition wird von zahlreichen internationalen Kollektiven und NGOs sowie von prominenten Wissenschaftler*innen und Politiker*innen im In- und Ausland unterstützt.

Doch seit das Unternehmen G-Sand auf den Plan getreten ist, schränkt sich der Aktionsradius der Aktivist*innen ein. «Jedes Mal, wenn wir eine Genehmigung für eine Versammlung, ob öffentlich oder privat, beantragen, wird sie abgelehnt. Als Begründung wird die Gefahr einer Konfrontation mit den Befürworter*innen angeführt. Sie aber haben im Gegensatz zu uns das Recht, Veranstaltungen zu organisieren», sagt Moustapha Faty. «Die regionalen Behörden sind korrupt. Laut der senegalesischen Verfassung haben Oppositionelle das Recht, sich zu versammeln. Sie müssen dafür keine Genehmigung einholen», ereifert sich auch Pape Sané.

Die Spannungen zwischen Gegner*innen und Befürworter*innen haben einen Höhepunkt erreicht. So ist der soziale Druck im Dorf Abéné zurzeit sehr gross. Laut Moustapha Faty ist ein Grossteil der Einwohner*innen weiterhin gegen die Bohrungen: «Es sind die Alten, die ihre Zustimmung gegeben haben, nicht die Jungen, nicht die Frauen und auch nicht diejenigen Personen, die nicht aus dem Dorf stammen. Viele Frauen trauen sich nicht, ihre Meinung zu sagen.» Dabei sind sie es, die in erster Linie die Reisfelder anlegen und Tiere züchten und somit besonders von den ökologischen Folgen betroffen wären. Ein grosser Teil der Gegnerschaft würde aber aus Angst vor Repressalien nicht mehr wagen, sich zu äussern, so Faty.

Wechsel des Regimes

Der senegalesische Präsident Macky Sall baute seinen nationalen Entwicklungsplan «Plan Sénégal émergent» auf dem Abbau von natürlichen Ressourcen auf. Doch im März dieses Jahres musste seine Partei die Macht an die linksgerichtete panafrikanische Opposition abgeben, Bassirou Diomaye Faye wurde mit überraschend deutlicher Mehrheit zum senegalesischen Präsidenten gewählt. Der beliebte Anführer der Opposition wurde neuer Premierminister: Ousmane Sonko stammt aus der Casamance und ist Unterzeichner des «Appel de la dune». Auf nationaler Ebene verspricht er, alle Verträge zu überprüfen, die zu sozialen oder ökologischen Spannungen führen würden. Seine Partei erhielt in der Casamance 85 Prozent der Stimmen.

«Es war nicht einfach nur eine Wahl für einen Machtwechsel, sondern auch ein Referendum gegen die Ausbeutungspläne», sagt Moustapha Faty. Der Kampf an der Küste der Casamance geht weiter, mit viel Hoffnung in die neue Regierung.