Seit dem 7. Oktober dominieren Bilder aus Gaza die Medien weltweit, wir sehen flüchtende Palästinenser*innen, Menschen, die ihre Verwandten unter Schutthaufen ausgraben, Kinder, die nach Wasser und Nahrung suchen.
Doch diese Bilder sieht man in Israel kaum; die meisten Nachrichtenkanäle sprechen nicht über die getöteten Palästinenser* innen und darüber, dass es sich dabei meist um Kinder und Frauen handelt. Stattdessen werden immer neue brutale Details zum Angriff vom 7. Oktober, Testimonials von Überlebenden und Berichte von Soldat*innen veröffentlicht.
Dass israelische Medien über die Ereignisse in Gaza fast ausschliesslich im Kontext des 7. Oktober berichten, ist eine bewusste Entscheidung. Sie ist bis zu einem gewissen Grad auch sehr verständlich: Der Angriff der Hamas war vielleicht die grösste Katastrophe in der Geschichte Israels. Am tödlichsten Tag für das jüdische Volk seit 1945 wurden mehr als 1200 Israelis getötet und 243 als Geiseln nach Gaza verschleppt, die meisten von ihnen Zivilist*innen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Staates eroberte ein Feind vorübergehend israelisch kontrolliertes Gebiet. Die jüdischen Israelis haben dieses nationale Trauma noch nicht verarbeitet und müssen daher ihr Sicherheitsgefühl erst wiedererlangen. Die Nachrichtensender versorgen die Öffentlichkeit somit nicht nur mit einem bestimmten Narrativ, sondern spiegeln auch die öffentliche Stimmung.
Die israelischen Medien haben begonnen, sich als Verkörperung des israelischen Patriotismus zu positionieren.
Dennoch haben die israelischen Medien und insbesondere die Fernsehkanäle in den letzten Monaten viel mehr getan: Sie haben begonnen, sich als Verkörperung des israelischen Patriotismus zu positionieren. Sie definieren, was im öffentlichen Interesse liegt, und ziehen die Grenzen des politischen Diskurses. Dies dient sowohl ihren eigenen kommerziellen Interessen als auch den von der Regierung und dem Militär erklärten nationalen Zielen. Dabei bewegen sie sich auf einem schmalen Grat zwischen Propaganda und Journalismus.
Veränderte Medienlandschaft
Bis in die 2000er-Jahre wurden die Fernsehnachrichten in Israel vor allem durch öffentlich-rechtliche Sender verbreitet, die durch eine säkulare, liberale Elite kontrolliert wurden. Nur selten wurde die israelische Besatzung, die Siedlerbewegung oder Fehl verhalten der Sicherheitskräfte thematisiert. Ähnlich verhielten sich die Printmedien − mit Ausnahme der linken Zeitung «Haaretz», die aber im Inland nur etwa 5 Prozent der Zeitungs leser*innen erreicht.
In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die Medienszene jedoch komplett polarisiert: Der eine Pol ist offen rechtsgerichtet, der andere bezeichnet sich strikt als zentristisch, weil er fürchtet, als zu links wahrgenommen zu werden. Der allgemeine Rechtsrutsch in der Gesellschaft spiegelt sich vor allem in den Mainstream-Medien: Es finden sich immer mehr Journalist*innen mit einer rechtsgerichteten, religiösen Haltung in den Redaktionen, viele von ihnen sind Siedler*innen.
Oren Persico vom unabhängigen Magazin «The Seventh Eye» sagt: «Selbst auf den Mainstream-Kanälen werden jetzt aufrührerische Aussagen, die früher nur in Flugblättern religiöser zionistischer Synagogen zu lesen waren, von prominenten Redaktor*innen und Journalist*innen geäussert.» Der Trend zur Polarisierung ist sogar noch deutlicher auf Kanal 14 – einem durch das Kommunikationsministerium unter Benjamin Netanjahu umgewandelten TV-Sender, der nun an Fox News erinnert. Hier lässt man Korrespondent* innen ausführlich für eine Wiedererrichtung von Siedlungen in Gaza sprechen und verbreitet Netanjahus Positionen. In diesem nationalistischen Klima wird also kaum über die Verwüstungen im Gazastreifen berichtet. Einige Journalist*innen bezweifeln gar, dass solche Berichte richtig wären, da sie der nationalen Moral schaden könnten.
Die Armee als Quelle
Alle grossen Nachrichtensender stellen Israel als das ultimative Opfer dar − ein Status, der wenig bis gar keinen Raum für das Leiden der Palästinenser*innen in Gaza zulässt. Wenn, dann wird die Verantwortung grundsätzlich der Hamas zugeschoben. Es überrascht nicht, dass die enge Zusammenarbeit zwischen den israelischen Medien und dem Militär zu mehreren blinden Flecken bei der Berichterstattung führt.
Die meisten Auslandskorresponden*innen haben den Gazastreifen zu ihrer eigenen Sicherheit verlassen, das Bombardement und die zeitweiligen Strom- und Netzwerkausfälle behindern ausserdem die Berichterstattung lokaler palästinensischer Journalist*innen. Als die Bodenoffensive im Gazastreifen voranschritt, erlaubte die israelische Armee einigen Journalist*innen den Zugang zum Gazastreifen – aber nur in Begleitung. Das bedeutet, dass die Journalist*in nen Palästinenser*innen nicht selbst interviewen oder zerstörte Orte betreten konnten. Sie sahen nur das, was ihnen vorgesetzt wurde.
Der Einfluss des Militärs geht weit über die Kontrolle des Zugangs zu Informationen hinaus.
Doch der Einfluss des Militärs geht weit über die Kontrolle des Zugangs zu Informationen hinaus. In den ersten drei Monaten des Krieges hielt der Sprecher der israelischen Verteidigungskräfte (IDF), Daniel Hagari, täglich zur Hauptsendezeit Pressekonferenzen ab, die auf allen Kanälen live übertragen wurden. Diese Pressekonferenzen gaben der Armee die Kontrolle über die Berichterstattung. Darüber hinaus stützen sich Militärkorrespon dent*innen weitgehend auf die israelische Armee als Hauptquelle.
Dies ist kein neuer Trend. Schon vor dem Krieg wurden Erklärungen der IDF oft wörtlich veröffentlicht, ohne zu erwähnen, dass das Militär die einzige Informationsquelle war. Dies ist zum Teil auf den Werdegang vieler Journalist*in nen zurückzuführen: Sie erhielten während ihres Militärdienstes eine hoch geschätzte Ausbildung beim israelischen Armeeradio und nicht an Universitäten oder bei lokalen Zeitungen. Oren Persico betont die Bedeutung dieses Hintergrunds: «Generationen von Journalist*innen sind unter dieser militärischen Aufsicht beruflich herangereift und haben gelernt, dass gewisse Dinge nicht veröffentlicht werden können.» Dies hat im Laufe der Zeit die grundlegende Vorstellung von journalistischer Unabhängigkeit erschüttert.
Falsche Narrative
Die israelischen Medien tragen somit dazu bei, ein völlig falsches Bild des Krieges zu zeichnen. Besonders beunruhigend ist, dass sie eine aktive Rolle bei der Entmenschlichung der Palästinenser*innen übernehmen. Kanal 14 hat immer wieder abscheuliche Ansichten verbreitet − wie die Forderung nach der Vernichtung des Gazastreifens und die Bezeichnung aller seiner Bewohner*innen als Terrorist*innen und legitime Ziele. Diese Art von Äusserungen sind keine Ausnahmen, sondern kommen auch in den Hauptnachrichten vor. Über die Zahl der palästinensischen Opfer wird kaum berichtet, und zwar mit dem Argument, man könne den Zahlen des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums in Gaza nicht trauen – obwohl auch die israelische Armee selbst sie verwendet.
Während die israelischen Mainstream-Medien die Argumente der Regierung verstärken, konzentrieren sich die internationalen Medien derzeit viel stärker auf das Ausmass der Zerstörung im Gazastreifen und deren Zusammenhang mit der langfristigen Unterdrückung der Palästinenser*innen. Gleichzeitig wird weltweit stark bezweifelt, dass Israels Kriegsziele überhaupt realisierbar sind. In den Medien Israels gibt es diese Zweifel jedoch kaum.