«Wer versucht, dem Mutterland zu schaden, wird ausserhalb des Landes sterben wie der letzte Hund.» Diese Worte stammen vom russischen Abgeordneten Andrej Lugowoi und richten sich gegen alle kremlkritischen Stimmen und ganz besonders gegen russische Exil- Journalist*innen.
Seit dem Angriff auf die Ukraine 2022 mussten zahlreiche Journalist*innen Russland verlassen, weil sie durch ihre Arbeit in Gefahr gerieten. Aus dem Exil heraus versuchen sie seither, ihre Stimme gegen den Krieg zu erheben und der staatlichen Propaganda und Zensur etwas entgegenzusetzen.
Im Februar 2024 unterzeichnete Wladimir Putin ein neues Gesetz, welches die Beschlagnahme des Eigentums von Personen ermöglicht, die «Falsch-Informationen über die russische Armee» verbreiten oder «durch Aufrufe die nationale Sicherheit Russlands gefährden».
Doch der Kreml führt die Verfolgung von unabhängigen Medienschaffenden mit harten Mitteln weiter – sowohl in Russland als auch im Ausland. Auch die Infrastruktur von Medien wird immer wieder angegriffen.
Im Februar 2024 unterzeichnete Wladimir Putin ein neues Gesetz, welches die Beschlagnahme des Eigentums von Personen ermöglicht, die «Falsch-Informationen über die russische Armee» verbreiten oder «durch Aufrufe die nationale Sicherheit Russlands gefährden». Im März trat dann ein weiteres Gesetz in Kraft, das es Unternehmen verbietet, Werbung auf Webseiten, in sozialen Medien oder auf anderen digitalen Plattformen zu platzieren, die von «ausländischen Agenten» betrieben werden. Diese Regelung wird weitere unabhängige russische Medien und Blogger*innen ins Exil zwingen, oder sie werden ihre Aktivitäten einstellen müssen. Wer gegen das Gesetz verstösst, muss mit Geldstrafen von bis zu 500 Euro für Einzelpersonen und 3000 Euro für Unternehmen rechnen, in einigen Fällen drohen sogar Haftstrafen. Die Auswirkungen des Gesetzes sind bereits spürbar. Ende Februar erklärte eine der renommiertesten kritischen Journalistinnen des Landes, Katerina Gordeeva, dass sie aufgrund der Vorschriften gezwungen sei, ihren beliebten Youtube-Kanal mit 1,66 Millionen Abonnent*innen einzustellen. Bereits kurz nach Beginn der Invasion in der Ukraine wurde sie als «ausländischer Agent» eingestuft.
Exil-Medien in Not
Die Finanzierung stellt eine der grössten Herausforderungen für alle Medien im Exil dar: Sie sind stark auf internationale Hilfe angewiesen, um ihre Arbeit fortzusetzen und unabhängige Berichterstattung zu gewährleisten. In Berlin wurde im April 2022 eine internationale Schnittstelle geschaffen: Der JX Fund hat seit seiner Gründung 55 Medien mit Journalist*innen in 25 Ländern beim Wiederaufbau ihrer Redaktionsstrukturen im Exil unterstützt. Insgesamt konnten so bislang mehr als 1600 Journalist*innen, darunter 1070 aus Russland, ihre Arbeit fortsetzen.
«Die russischen Exilmedien beschäftigen sich sehr intensiv damit, wie sie ihre Zielgruppen im Heimatland weiter erreichen können – trotz aggressiver Kreml-Propaganda, blockierten Websites und starker Nachrichtenmeidung in der Bevölkerung», sagt Polina Stretter, Leiterin der Programmentwicklung des JX Fund. «Gleich zeitig suchen sie permanent nach Strategien, um ihre Finanzierung aufrechtzuerhalten und ihre Teams weiterhin bezahlen zu können. Dabei müssen sie auch mit der emotionalen Erschöpfung der Kol leg*innen und leider selbst im Exil mit Bedrohungen umgehen.»
In der Zeit zwischen April 2022 und Dezember 2023 habe der JX Fund Exilmedien aus Russland, Belarus und der Ukraine mit 6,5 Millionen Euro unterstützt, direkt durch Grants wie auch in Form von Beratung, Weiterbildung, Vernetzung und Infrastruktur. «Die russische Exil-Medienszene hat grosse Anerkennung verdient», sagt Polina Stretter. «Die Medien sind sehr professionell und kreativ und finden Lösungen für die meisten Herausforderungen. Das ist allerdings ein sehr harter Kampf.»
Umgehung der Zensur
Nur wenige Monate nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine im Jahr 2022 öffnete der lettische Media Hub in Riga seine Türen für geflüchtete russische Journalist*innen und ihre Familien, für die diese Institution zu einer der wichtigsten Anlaufstellen wurde. Zugang zu den Ressourcen des Medienzentrums haben sowohl grosse russische Exilmedien wie die Onlineplattform «Meduza», der TV-Sender Doschd und die Zeitung «Novaya Gazeta Europa» als auch kleine regionale Online-Medien.
«Meduza» ist das grösste Oppositionsmedium im Exil. Mit der Meduza Mobile App können die Sperren der russischen Behörden umgangen werden. Mehr als eine Million Follower*innen folgen «Meduza» auf Instagram und Telegram. Nach eigenen Angaben lesen 5'802'000 Menschen das Medium online und in der App.
Um die Exilmedien konsumieren zu können, installieren die Leser*innen in Russland VPN – verschlüsselte und anonymisierte Verbindungen –, um auf die Webseiten der in Russland blockierten Medien zu gelangen. Oder sie verwenden mobile Apps wie diejenige von «Meduza». Ausserdem verschicken oppositionelle Medienschaffende Nachrichten per E-Mail. Telegram und Youtube sind im Gegensatz zu Instagram in Russland weiterhin zugänglich und werden von vielen Exilmedien und Blogger*innen genutzt.
Die Verifizierung des Wahrheitsgehalts von Informationen ist ein anspruchsvoller und zeitaufwendiger Teil der Arbeit.
Im Exil entstehen aber auch neue Medien. So haben sich freie Journalist*innen aus unterschiedlichen Regionen Russlands zusammengeschlossen und «Novaja Wkladka» gegründet, wo unter anderem über das russische Leben im Baltikum berichtet wird. Andere neu gegründete russische Medien berichten über die und aus den russischen Regionen, und tschetschenische Journalist*innen schreiben im Online-Magazin «New Dosh» mit einem Fokus auf die kaukasischen Republiken der Russischen Föderation.
Genaue Überprüfungen
Eine sehr wichtige Aufgabe für alle Exilmedien besteht darin, für die Leser*innen in Russland relevant und glaubwürdig zu bleiben. Die Verifizierung des Wahrheitsgehalts von Informationen ist ein anspruchsvoller und zeitaufwendiger Teil der Arbeit. «Wir müssen Informationen viel sorgfältiger und akribischer über prüfen», sagt Ivan Kolpakov, der Chefredaktor von «Meduza». «Wir sind aber daran gewöhnt: Die Propagandamaschinerie wird seit zwei Jahrzehnten ausgebaut und verfestigt. So lassen sich zum Beispiel auch aus offiziellen Quellen viele wertvolle Daten gewinnen, wenn man sie nur ständig beobachtet und vergleicht.»
So ist denn auch der Datenjournalismus ein Schwerpunkt von «Meduza». «Es gibt eine Menge offener Daten, die wir untersuchen, ebenso wie Statistiken und Social-Media-Inhalte», sagt Kolpakov. «Wir haben Quellen in praktisch allen russischen Behörden und auf allen Regierungsebenen, von Gemeinden bis hin zur Präsidialverwaltung. Ausserdem führen wir ständig Realitätschecks durch, indem wir sowohl mit unseren Leser*innen als auch mit unabhängigen Expert*innen, die noch in Russland leben, darüber sprechen, wie und worüber wir berichten.»
Das Team von «Meduza» stütze sich auf ein grosses Netzwerk sogenannter Guerilla-Reporter* in nen – eine Form des partizipativen Journalismus oder Bürgerjournalismus, bei dem die Zivilgesellschaft aktiv in den Prozess der Recherche und der Berichterstattung einbezogen wird. «Es gibt freie Mitarbei ter*innen und mitwirkende Personen, die in Russland völlig anonym und unter sehr hohen persönlichen Risiken arbeiten. Deshalb werden ihre Namen streng geschützt. Jede Person könnte ins Gefängnis kommen, wenn sie mit ‹Meduza› zusammenarbeitet.»