«Mit uns reden – statt über uns» – ganz unter dieser Devise steht das Buch «Jenische – Sinti – Roma. Zu wenig bekannte Minderheiten in der Schweiz», das 2023 als Begleitpubli kation eines Lehrmittelprojekts erschienen ist.
«Mein Vater hat mir immer gesagt: ‹Wir sind Sinti. Und du darfst nie sagen, du seist keiner. Du musst stolz sein darauf.›» Jakub, 17 Jahre alt
Die Porträts von Jenischen, Sinti und Roma unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Hintergrunds geben einen sehr persönlichen und detailreichen Einblick in ihr Leben, ihre Gedanken und Geschichten. Im zweiten Teil finden sich Fakten über ihre Sprache und deren Verbreitung, über kulturelle Praktiken, die Verfolgung im 20. Jahrhundert und den ihnen entgegengebrachten Rassismus. Wir erfahren auch, wie unterschiedlich sie damit umzugehen gelernt haben – von der Verleugnung der Herkunft bis zum Stolz auf die eigene Identität. So lesen wir von einem RomaMädchen, das immer erzählte, sie sei Türkin, damit sie nicht geplagt wurde. Von Marco, der nie offen sagte, dass er Rom ist: «Das hätten die meisten sowieso nicht verstanden. In mir ist halt tief drinnen noch eine gewisse Angst, dass man negativ auf meine Herkunft reagieren könnte.» Jakub hingegen wurde etwas anderes beigebracht: «In der Familie sprechen wir unsere Sprache, die wir Sintikes nennen. Mein Vater hat mir immer gesagt: ‹Wir sind Sinti. Und du darfst nie sagen, du seist keiner. Du musst stolz sein darauf.›»
Spätestens in der zweiten Hälfte des Buchs wird deutlich, wie eng die Lebensrealitäten von Jenischen, Sinti und Roma mit den Menschenrechten verknüpft sind. Das Recht auf Gleichheit, auf Wohnen, auf Asyl, aufs Ausleben der eigenen Kultur, auf den Schutz vor Diskriminierung wie auch die Kinderrechte – all dies sind für Angehörige dieser Min derheitsgesellschaften weit mehr als reine Pa ragrafen, vielmehr entsprechen sie alltagsrelevanten Grundrechten, die ihnen allzu oft nicht zugestanden werden.
Getreu dem Anspruch der Menschenrechtsbildung, gleichzeitig Stoff für Kopf, Hand und Herz anzubieten, regt das Buch auf verschiedenen Ebenen zur Reflexion an. Man hinterfragt unweigerlich die eigenen Einstellungen, wenn Amela, eine Romni, beispielsweise anmerkt: «Es ist krass, dass wir Menschen Gruppierungen machen und meinen, die Gruppe, zu der man gehört, sei die Beste. » Die Bilder, Zitate und Leerseiten sowie die sprachlich einfach gehaltenen Erzählungen unterstreichen den fokussierten und doch persönlichen Charakter des Buches. Es fühlt sich fast an, als würde die Leserin einer Sintiza oder einem Rom gegenübersitzen. So beginnt man sich Gedanken darüber zu machen, wie die Lebenswelten dieser Minderheiten besser ge schützt werden könnten.
«Die Menschen müssen mehr wissen über uns», heisst es im Buch. Wissen über die drei Bevölkerungsgruppen zu vermitteln, gelingt diesem sehr gut. Das Buch schafft es, dass die Leserin aus der Mehrheitsgesellschaft beim Lesen mit Jenischen, Sinti und Roma eine emotionale Bindung aufbaut.