Seit 2004 ein Strassenfeger: Schauspieler*innen nehmen eine beliebte Seifenoper auf, die zur Förderung von Frieden und Versöhnung in Ruanda eingesetzt wird. © Ayoze O'Shanahan / AFP
Seit 2004 ein Strassenfeger: Schauspieler*innen nehmen eine beliebte Seifenoper auf, die zur Förderung von Frieden und Versöhnung in Ruanda eingesetzt wird. © Ayoze O'Shanahan / AFP

MAGAZIN AMNESTY AMNESTY-Magazin Juni 2024 – Medien im Konflikt Wenn Medien zu Hass anstacheln

Von Natalie Wenger. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Juni 2024.
Eigentlich haben die Medien die Pflicht, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und Rechenschaft zu fordern. Doch immer wieder kommt es vor, dass sie selbst die Menschen aufwiegeln und gar zu Gewalttaten auffordern. Hass in den Medien ist weit verbreitet. Doch es gibt auch positive Entwicklungen.

«Ni Izihe Ntwaro Tuzakoresha Kugira Ngo Dutsinde Inyenzi Burundu?» Welche Waffen sollen benutzt werden, um die «Inyenzi» ein für alle Mal zu besiegen, fragt die Überschrift auf der Frontseite der 26. Ausgabe des ruandischen «Kangura»-Magazins und ruft damit offen zu Hass und Gewalt gegen die Tutsi auf. Diese werden hier als Inyenzi bezeichnet, was so viel bedeutet wie Kakerlaken.

Das war 1994 kein Einzelfall: Auch im ruandischen Radiosender Radio Télévision Libre des Mille Collines (RTLM) riefen die Moderator*innen gezielt dazu auf, Tutsi und moderate Hutu zu ermorden, und veröffentlichten gar Listen mit Namen von Personen, die getötet werden sollten. Dies hatte schreckliche Folgen: In der Zeit von Anfang April bis Mitte Juli 1994 wurden bis zu einer Million Menschen getötet, zumeist Angehörige der Tutsi-Minderheit.

«Hassmedien spielten eine Schlüsselrolle bei der Anstiftung zum Völkermord in Ruanda.» Mathias Ruzindana, ehem. Mitglied des internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (ICTR)

«Hassmedien spielten eine Schlüsselrolle bei der Anstiftung zum Völkermord in Ruanda», schrieb Mathias Ruzindana, der für den im November 1994 von der Uno eingerichteten internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) arbeitete, in einem 2012 veröffentlichten Buch zum Genozid in Ruanda. «Im Fall des Völkermords in Ruanda war die Wirkung der Sprache tödlich», sagte Ruzindana. Diesem Urteil schloss sich auch der ICTR an.

2003 wurden der Verantwortliche des Senders RTLM, Ferdinand Nahimana, dessen Geschäftsführer Jean-Bosco Barayagwiza und der Gründer und Herausgeber von «Kangura», Hassan Ngeze, wegen Völkermordes, Anstiftung zum Völkermord und Verfolgung verurteilt. Die Verurteilung wegen Völkermordes wurde in der Berufung aufgehoben, das ursprüngliche Urteil wurde jedoch weitgehend beibehalten. Der Medienprozess war ein Präzedenzfall: Zum ersten Mal wurden Medienverantwortliche wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch einen internationalen Strafgerichtshof verurteilt.

Das Beispiel aus Ruanda zeigt ein Muster: In Hassreden werden die anvisierten Personengruppen immer stärker entmenschlicht. Damit sinkt die Hemmung gegenüber Gewalt und Einschüchterung. Es müssen aber nicht direkte Aufforderungen zur Gewalt sein, auch Falschmeldungen und Lügen können schon Wirkung zeigen: So haben Lügen in Medienprodukten während der Balkankriege 1991 bis 2001 zur Eskalation des Konfliktes beigetragen. Mehrere der für das Massaker von Vukovar Verantwortlichen, bei dem 1991 mehr als 250 kroatische Zivilpersonen und Kriegsgefangene getötet worden waren, sagten vor Gericht aus, dass bestimmte Medienberichte sie zu den Straftaten angestiftet hätten. Tatsächlich verbreitete der serbische Rundfunk nur wenige Tage davor die Nachricht, dass kroatische Streitkräfte 41 serbische Kinder im Alter von vier bis sieben Jahren ermordet hätten. In einem abendfüllenden Programm kamen mehrere Zeug*innen zu Wort, die berichteten, die Leichen der Kinder gesehen zu haben. Die Geschichte entpuppte sich später als falsch.

Stereotype werden verstärkt

Eigentlich verpflichten sich Nachrichtenmedien, Regeln zur journalistischen Ethik und zu journalistischen Standards einzuhalten. Die Berufsregeln verpflichten Journalist*innen, die Wahrheit zu suchen, Schaden zu minimieren, unabhängig zu handeln und rechenschaftspflichtig und transparent zu sein.

Der ehemalige Fox-News-Moderator Tucker Carlson ist bekannt dafür, sich über Menschenrechtsverletzungen lustig zu machen. Im Gespräch mit Wladimir Putin kritisierte er die westliche Unterstützung der Ukraine. © Gavriil Grigorov Kremlin Pool / IMAGO

Nicht alle Journalist*innen halten sich jedoch an diese Regeln. Der ehemalige Fox-News-Moderator Tucker Carlson etwa nutzte seine Primetime-Show, um Millionen von Zuschauer*innen in den USA mit antisemitischen, rassistischen und queerfeindlichen Aussagen zu überschütten und sich gegen Menschenrechte auszusprechen. Als entschiedener Gegner der Black-Lives-Matter-Bewegung argumentierte er oft mit rassistischen Vorurteilen, um Gewalt und Diskriminierung gegen Schwarze Amerikaner*innen zu rechtfertigen. Carlson wurde zu einer führenden Stimme des rechten Amerikas – und hat immer wieder die Stimmen von weissen Nationalist*innen verstärkt.

Indem sich die Medien oft an Mehrheiten orientieren, tragen sie dazu bei, stereotype und diskriminierende Bilder von Minderheiten zu festigen – etwa von Asylsuchenden oder Menschen, die mit einer Behinderung leben. Eine Analyse der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) aus dem Jahr 2022 zeigt, dass es immer wieder zu Diskriminierungseffekten in der Berichterstattung der Schweizer Medien kommt. Gerade bei der Berichterstattung über religiöse, nationale und ethnische Minderheiten liege der Fokus tendenziell auf Kriminalität sowie auf Verhaltensweisen oder Kulturpraktiken, die als abweichend gelten. Dieses Framing (re)produziert und bestärkt laut der EKR negative Stereotype, was zu Stigmatisierung führen kann.

«Auch im Bereich der sexualisierten Gewalt neigen die Medien dazu, Vergewaltigungsmythen zu verbreiten und die Glaubwürdigkeit der Betroffenen infrage zu stellen. Immer wieder kommt es vor, dass die Folgen für die mutmasslichen Täter*innen besprochen werden, etwa, dass es ihrer Karriere schaden, ihr Leben zerstören könnte», sagt Cyrielle Huguenot, Frauenrechtsexpertin bei Amnesty Schweiz. «Die Folgen von sexualisierter Gewalt für die Betroffenen werden hingegen kaum thematisiert.»

Tatsächlich zeigen mehrere Analysen, dass diskriminierende Medienberichte Menschenrechtsverletzungen begünstigen und dazu führen können, dass Hassreden plötzlich salonfähig werden. So kamen Forscher*innen der Universitäten in Harvard und Chicago zum Schluss, dass Tucker Carlson einen starken Einfluss auf die Bereitschaft der Zuschauer*innen hatte, minderheitenfeindliche Ansichten zu teilen. «Carlson ist sehr gut darin, Menschen Ausreden zu liefern, um Überzeugungen zu äussern, mit denen sie sich sonst unwohl fühlen würden», sagte Aakaash Rao, Co-Autor der Studie, gegenüber dem «Time-Magazin». «Er kann Ansichten legitimieren, die zuvor als extrem galten, und sie in den Mainstream bringen.»

Während des Prozesses der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) in den 1990er-Jahren entschuldigten sich 127 Journalist* innen für die Rolle, die sie während der Apartheidjahre gespielt hatten.

Verantwortliche Medien schaffen

Doch es gibt auch Medienschaffende, die sich ihrer menschenrechtlichen Verantwortung bewusst werden. In Südafrika stellten viele Journalist*innen ihre Arbeit während der Apartheid in den Dienst der herrschenden Eliten. Nur wenige bezogen Stellung gegen die Unterdrückung der Schwarzen Bevölkerung, die sich vor ihren Augen abspielte. Doch im Gegensatz zu Journalisten wie Tucker Carlson, die mit ihren Hassreden regelrecht angeben, zeigten mehrere weisse Journalist*innen Reue und bekannten sich mitverantwortlich, ein System der Unterdrückung aufrechterhalten zu haben. Während des Prozesses der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) in den 1990er-Jahren entschuldigten sich 127 Journalist* innen für die Rolle, die sie während der Apartheidjahre gespielt hatten.

Mittlerweile gibt es verschiedenste Initiativen, die dem Hass in den Medien begegnen wollen. Die Kampagne #MediaAgainstHate der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF), die von 2016 bis 2018 lief, hatte das Ziel, Hassreden und Diskriminierung in den Medien zu bekämpfen und gleichzeitig die Meinungsfreiheit zu wahren. Mehrere grosse Medienhäuser beteiligten sich an der Kampagne und verpflichteten sich dazu, ihre Berichterstattung über Migrant*innen, Geflüchtete und religiöse Minderheiten zu verbessern und diskriminierende Publikationen zu unterbinden.

In der Schweiz bietet das Institut Décadrée seit 2018 Weiterbildungen zur medialen Darstellung sexualisierter Gewalt an und veröffentlicht Leitfäden mit dem Ziel, eine Berichterstattung zu fördern, die Betroffene respektvoll behandelt.

Und auch in Ruanda tut sich einiges: So werden heute Medien nicht mehr genutzt, um zu Gewalt anzustacheln, sondern vielmehr, um diese zu unterbinden. Sogenannte Friedensradios sind auf dem Vormarsch. International Alert Rwanda sendet jeden Donnerstag eine Folge des Radiodramas «Shirimpumu» (Deutsch: Entlastung für das Herz und den Geist), das versucht, den Genozid aufzuarbeiten und gleichzeitig einen Weg zur Heilung und Versöhnung aufzuzeigen.