Viele Newcastle-Fans sehen die Übernahme ihres Clubs durch Saudi-Arabien kritisch – doch es gibt auch diejenigen, die die neuen Eigner feiern.  © Jonathan Brady/ Imago
Viele Newcastle-Fans sehen die Übernahme ihres Clubs durch Saudi-Arabien kritisch – doch es gibt auch diejenigen, die die neuen Eigner feiern. © Jonathan Brady/ Imago

MAGAZIN AMNESTY AMNESTY-Magazin September 2024 – Saudi-Arabien Das Machtinstrument Sport

Von Natalie Wenger. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom September 2024.
Saudi-Arabien wird zu einem der wichtigsten Player in der Sportwelt – nicht zuletzt dank des Kaufs des englischen Fussball-Clubs Newcastle United. Der Golfstaat nutzt den Sport zur Imagepflege. Und um weltweit an Einfluss zu gewinnen.

Newcastle ist im Umbruch. Im Zentrum der nordenglischen Stadt spriessen neue Gebäude aus dem Boden, Hotels werden renoviert, Bürotürme aufgezogen. Der Stadtrat hat nach Jahren massiven Sparens Investitionen in der Höhe von 1,5 Milliarden Pfund (rund 1,6 Mrd. Franken) bewilligt – enorm viel für eine Ortschaft, die mit dem Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie langsam zu verfallen drohte.

Im Zentrum der Veränderungen steht der Fussballclub Newcastle United. Anfang 2021 bekannte sich noch kaum ein*e Einwohner*in offen dazu, Fan zu sein. Siege ihres Vereins waren selten. Doch dann übernahm im Oktober 2021 der saudische Public Investment Fund (PIF), dem der Kronprinz Mohammed bin Salman vorsteht, 80 Prozent des Clubs. Die Investitionen zahlten sich umgehend aus: Die für mehr als 400 Millionen Franken zugekauften Spieler sorgten dafür, dass Newcastle United in der englischen Liga rasant aufstieg. 2023 kam die Krönung: Der Club qualifizierte sich erstmals seit 20 Jahren wieder für die Champions League.

Der Club, dessen Stadion sich mitten im Stadtzentrum befindet, wurde zu einem Fixstern. «Ich war froh, als ich von der Übernahme hörte, ich wollte endlich wieder Erfolge sehen », sagt Yousef Hatem, ein grosser Fan des NUFC. «Dennoch bin ich skeptisch den saudischen Eignern gegenüber.» Laut Hatem sei vielen Fans die Menschenrechtsbilanz Saudi- Arabiens bewusst. Man diskutiere gar über die – eher unwahrscheinliche – Möglichkeit, dass die Fans einen Teil des Vereins kaufen. «Von uns Fans zu verlangen, dass wir die moralische Instanz sind, wird der Sache jedoch nicht gerecht», sagt Yousef Hatem. «Letztendlich sind wir nur kleine Figuren in diesem Machtspiel.»

Doch es gibt auch Fans, die die neuen Besitzer feiern. Die saudische Flagge ist an den Spielen keine Seltenheit, manche tragen auf ihren Shirts die Initialen des saudischen Kronprinzen MBS – statt den Namen ihres Lieblingsspielers.

Allgemein nimmt die Kritik langsam ab. Noch 2022 wurde Cheftrainer Eddie Howe mit Fragen betreffend die Menschenrechte gelöchert und für seine ausweichenden Bemerkungen kritisiert. Nach einem Spiel im März 2022 lehnte er es entschieden ab, die Hinrichtung von 81 Männern im Königreich am Vortag zu verurteilen. «Ich werde mich darauf beschränken, über Fussball zu reden, das ist alles, was mich interessiert», sagte er. Mittlerweile scheinen auch viele Medien diesen Standpunkt zu vertreten, Fragen zur Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien werden kaum mehr gestellt.

Newcastle United ist nur die Spitze des Eisbergs dieser «Sportwashing»-Strategie.

Saudi-Arabien scheut keine Mühe

Das Beispiel zeigt eindrücklich, wie es Saudi-Arabien gelingt, durch Investitionen in den Sport das eigene Image aufzupolieren – und die Debatte rund um die Menschenrechtsverletzungen zu verdrängen. Newcastle United ist nur die Spitze des Eisbergs dieser «Sportwashing»-Strategie. Laut einer Recherche der dänischen Sport-Initiative Play the Game hat Saudi-Arabien 2023 insgesamt 323 Aktivitäten im Sport finanziell unterstützt, 139 davon direkt durch den Public Investment Fund (PIF).

Die ersten grossen Investitionen erfolgten 2018, als das saudische Sportministerium für 100 Millionen US-Dollar pro Jahr einen Zehnjahresvertrag für die Ausrichtung von Veranstaltungen der World Wrestling Entertainment unterzeichnete. Nach dem Tod Khashoggis im Oktober 2018 versuchte Saudi-Arabien verzweifelt, sein angeschlagenes Image zu verbessern – es flossen Millionen in den Renn-, Pferde- und Golfsport. Die Ausrichtung des ersten Formel-1-Rennens in Dschidda im November 2021 gilt ebenso als Meilenstein wie die Fusion der von Saudi-Arabien gegründeten Golftour LIV mit der traditionellen PGA-Tour im Juni 2023. Auch in den Frauensport investiert das Land einiges: Die nächsten drei WTA-Tennisfinals werden in Riad stattfinden – der saudische Tennisverband winkt dieses Jahr mit Preisgeldern von 15,25 Millionen Dollar.

Innert kurzer Zeit wurde Saudi-Arabien zu einem grossen Player im Sport. Mit Cristiano Ronaldo, Karim Benzema und Neymar spielen einige der besten Fussballer der Welt für die saudische Liga – Cristiano Ronaldo agiert sogar als Markenbotschafter für Saudi-Arabien. Fast eine Milliarde Schweizer Franken wurden 2023 für Fussball-Transfers ausgegeben, insgesamt flossen knapp fünf Milliarden in den Sport. Fussball ist nicht nur ein besonders geeignetes Mittel, um das Land bekannter zu machen und die eigene Bevölkerung enger an die politische Führung zu binden. Die Saudis gelten als fussballbegeistertes Volk – das Engagement der Regierung wird daher vorwiegend positiv aufgenommen. Hinzu kommt, dass es immer weniger Investor*innen gibt, die sich die teuren Clubs der Premier League leisten können, und somit die «Konkurrenz» abnimmt.

Die Fifa scheint es nicht zu stören, dass eine WM in Saudi-Arabien kaum mit den Menschenrechtsrichtlinien des Weltfussballverbands zu vereinbaren seien wird.

Bisher geht der Plan auf: Die Fussball-WM 2034 wird voraussichtlich in Saudi-Arabien stattfinden, andere Bewerbungen gab es keine. Die Fifa scheint es nicht zu stören, dass eine WM in Saudi-Arabien kaum mit den Menschenrechtsrichtlinien des Weltfussballverbands zu vereinbaren seien wird.

Imagepflege und Produktivitätssteigerung

Die Regierung in Riad scheut keine Mühen, um solche Sportevents zu einem riesigen Spektakel zu machen – sie konnte sich das bisher problemlos leisten. Doch die Einnahmen durch Ölexporte drohen langsam zu versiegen. Deshalb dienen die Investitionen in Sport- und Kulturveranstaltungen nicht nur der Imagepflege, sie bieten auch eine Möglichkeit, neue Märkte zu erschliessen. Die Regierung erhofft sich davon ausserdem, die inländische Arbeitsbeschäftigung zu erhöhen. Auch soll die mehrheitlich junge Bevölkerung, in der viele an Fettleibigkeit leiden, fürs Sporttreiben begeistert und so das Gesundheitssystem entlastet werden.

Auch für andere Regierungen ist der Sport ein beliebtes Mittel, um sich in einem positiven Licht zu präsentieren. Saudi-Arabien liess sich von Ländern wie Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten inspirieren, die längst in den Sport investieren. So ist Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan von Abu Dhabi seit 2009 Hauptbesitzer des englischen Fussballclubs Manchester City. Katar investiert seit über 10 Jahren in den französischen Fussballclub Paris Saint-Germain und war 2022 Gastgeber der Fifa-Fussballweltmeisterschaft der Männer.

Es geht um mehr als Sport

Für Saudi-Arabien ist klar: Mit den Investitionen in die Sportindustrie sollen nicht nur neue Investor*innen angezogen werden, es soll auch der Einflussbereich im Ausland ausgeweitet werden. Vor diesem Hintergrund ist auch das Engagement beim Fussballclub Newcastle United zu sehen. «Die Investitionen in den Club öffneten das Tor zur ganzen Stadt und letztendlich zur ganzen Region», sagt Jacob Whitehead, Journalist bei der Sportpublikation «The Athletic» und Newcastle-Kenner. Es gebe Pläne für Direktflüge zwischen dem internationalen Flughafen von Newcastle und Saudi-Arabien, für Investitionen in den Energiesektor, in die Automobilindustrie, die Hafeninfrastruktur und sogar in Newcastles Universitäten. Die Saudis erhoffen sich dadurch einen Zugang zum Nordosten Englands, der von der englischen Regierung oft wenig Unterstützung erhält. «Die Politiker*innen und Wirtschaftsführer*innen der Region suchten verzweifelt nach Investor*innen, unabhängig davon, woher diese kamen. In ihren Augen ist Saudi- Arabien die Rettung», sagt Jacob Whitehead. «Dank der Investitionen aus dem PIF sollen Arbeitsplätze geschaffen, die Infrastruktur renoviert und ausgebaut und schlussendlich Wohlstand in eine Region gebracht werden, die so lange mit Armut kämpfte. Die meisten lokalen Politiker*innen äussern sich nicht negativ über Saudi-Arabien, da sie diese Investitionen nicht torpedieren wollen.»

Auch der Grossteil der Bevölkerung begrüsst die Investitionen, weil sich für sie bislang vor allem positive Entwicklungen bemerkbar machen – in der Stadt wie auf dem Fussballfeld. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren sind die Newcastle-Fans wirklich optimistisch, dass glorreiche Tage bevorstehen.