Seit April 2023 herrscht im Sudan Krieg, Millionen Menschen hungern, Hilfe kommt bei der Zivilbevölkerung kaum noch an. Sie leben inzwischen im Exil. Wann waren Sie letztmals im Sudan?
Wir hatten den Film im Frühling 2023 gerade abgedreht und starteten die Postproduktion. Als am 15. April der Krieg ausbrach, arbeitete ich am Sounddesign in Beirut. Das sollte eigentlich nur eine Woche dauern. Danach wollte ich in den Sudan zurück. Doch dazu kam es nicht.
Es war schlicht zu gefährlich. Einen Monat nach Kriegsbeginn hatte «Goodbye Julia» Premiere in Cannes. Daraufhin erhielten wir viele Anfragen von Festivals. Ich reiste herum, um den Film zu präsentieren, immer hoffend, dass der Krieg zu Ende geht und ich zurückgehen kann. Aber mittlerweile dauert der Krieg schon weit über ein Jahr, und ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht.
Wie geht es Ihren Freund*innen und Verwandten, die Sie im Sudan zurücklassen mussten?
Niemandem geht es gut im Sudan, auch nicht in Gebieten, die als sicher gelten. Die wirtschaftliche Lage ist furchtbar. Die Währung ist seit Kriegsausbruch total zusammengebrochen. Zum Glück konnte meine Familie – auch fast die gesamte entferntere Verwandtschaft – das Land verlassen. Aber einige Freund*innen und Bekannte sind noch dort, auch einige meiner Crew-Mitglieder. Sie dokumentieren das Leben im Sudan und was derzeit vor sich geht. Karthum Zentrum und Bahri sind mittlerweile praktisch Geisterstädte. Die Menschen haben wegen der Plünderungen und der Gewalt ihre Häuser verlassen oder wurden vertrieben. Es ist einfach entsetzlich, ein eigentlicher Dschungel.
Bereits vor dem Ausbruch des Krieges im April 2023 schwelte ein Konflikt innerhalb des Sicherheitsapparats im Sudan. Wie war es dennoch möglich, einen Film zu realisieren?
Hierzu muss zunächst gesagt werden: Der Sudan ist kein Filmland. Meist fehlt schlicht das Geld, um ein grösseres Projekt zu realisieren. Ich habe 2020 damit begonnen, «Goodbye Julia» zu schreiben. Damals drehte ich noch Kurzfilme, allerdings mehr als Hobby.
Während der Covid-Krise wurde mir bewusst, wie sehr ich meine Leidenschaft zum Beruf machen wollte. Ich zog zurück in den Sudan und gründete die Produktionsfirma Klozium Studios. Ich habe einen Grossteil meiner Ersparnisse in diese Firma gesteckt. Auch für die Infrastruktur mussten wir Lösungen finden: Kameras, Linsen und die Kamerabühne erhielten wir aus dem Ausland. Die Beleuchtung mieteten wir in Ägypten, aber Verschiffung, Versicherung und Verzollung verzögerten und verteuerten die Produktion. Auch mussten wir für genügend Sicherheit sorgen: Wir quartierten die gesamte Crew am selben Ort ein und fuhren jeweils alle gemeinsam zum Set.
Einmal drehten wir in der Nähe eines Polizeipostens, als es da zu Ausschreitungen kam. Das Tränengas zog zu uns herüber, und wir mussten die Dreharbeiten abbrechen. Es war viel Kreativität und Spontanität nötig: Immer wieder mussten wir den Drehplan aufgrund äusserer Umstände und Sicherheitsbedenken anpassen.
Dennoch gelang es, den Film fertigzustellen. Wie fanden Sie qualifiziertes Personal, um Ihr Projekt zu realisieren, wo das Filmemachen im Sudan doch kaum verbreitet ist?
Tatsächlich bildeten wir viele Crewmitglieder direkt bei Klozium Studios aus. Unser Ansatz war, begeisterungsfähige junge Filmstudent*innen anzuheuern und auszubilden. Innerhalb von drei Jahren wuchs das Team auf rund 40 Personen an. Wir drehten Dokumentationen, Reportagen und Spots, um Übung zu erhalten. Wir hatten mit ausländischen Geldgeber*innen von «Goodbye Julia» vereinbart, dass wir Personen ausbilden und unser Wissen weitergeben würden.
Ich bin sehr stolz darauf, was wir durch den Film und das Ausbildungsprogramm erreicht haben. Viele ehemalige Crewmitglieder haben dank ihrer neu erworbenen Qualifikationen einen Job gefunden, etwa in Kenia, Ägypten oder Saudi-Arabien. Der Film «Goodbye Julia» wird von Kritiker* innen weltweit gelobt. Ging dies auch mit kommerziellem Erfolg einher? Für einen sudanesischen Film war «Goodbye Julia» wirklich erfolgreich. Er wurde und wird in vielen arabischen und europäischen Ländern gezeigt, nicht nur in Arthouse-, sondern auch in Multiplex- Kinos. Die Kosten haben wir mittlerweile beinahe wieder eingespielt, bald könnte der Film profitabel werden. Ich hoffe, dass ich mich dadurch einige Zeit über Wasser halten kann. Reich werden wir nicht, aber die Leidenschaft fürs Filmemachen entschädigt mich dafür, dass ich weniger verdiene als in der Flugzeugbranche.
Der Film spielt in Khartum in den letzten Jahren des damals noch vereinigten Sudan und beleuchtet die komplizierten Beziehungen zwischen Nord- und Südsudanes* innen. 2011 wurde der Südsudan ja dann unabhängig. Wie sehen die Beziehungen zwischen den Ländern heute aus?
Wie für viele Angehörige einer relativ privilegierten arabisch-muslimischen Gesellschaft im Sudan war der Krieg im Südsudan für mich weit weg. Erst die 99 Prozent Ja-Stimmen zur Unabhängigkeit rüttelten mich auf. Wir haben in der Übergangsphase die Chance verpasst, mit den Südsudanes*innen eine Lösung zu finden. Rassismus und Klassendenken führen dazu, dass die Bevölkerung im Norden dem Leiden der südsudanesischen Zivilbevölkerung relativ gleichgültig gegenübersteht. Ich befürchte, dass es aufgrund dieser Gleichgültigkeit zu weiteren Sezessionen kommen könnte, etwa in Darfur, am Blauen Nil oder im Osten.
Zwar gab es vor Ausbruch des Krieges im Sudan 2023 einige Fortschritte, so wurde etwa die Sittenpolizei, die vielen Nicht-Muslim*innen das Leben schwer machte, abgeschafft. Auch wurde die Pressefreiheit gestärkt, wodurch mehr über Korruption berichtet wurde. Leider waren die eineinhalb Jahre bis zum Militärputsch 2021 aber zu kurz, um noch mehr Verbesserungen zustande zu bringen. Jetzt sind wir zurück im alten Fahrwasser.
Befürchten Sie weitere Rückschritte?
Wenn die sudanesische Armee den Krieg gegen die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) gewinnt, dann erwarte ich eine starke Präsenz der Muslimbrüder in der sudanesischen Regierung. Am Anfang würden sie die Scharia vielleicht nicht so streng durchsetzen, dennoch droht eine Phase der Islamisierung. Niemand will jedoch nochmals 30 Jahre Diktatur. Was wir brauchen, sind Gerechtigkeit und funktionierende Institutionen.