Bis zum Morgen des 15. April 2023 verlief unser Leben im Sudan trotz der laufenden Revolution fast so, als hätte es den Putsch ein Jahr zuvor nicht gegeben. Als Teil der sudanesischen Bürgerbewegung beteiligte ich mich an den zahlreichen leidenschaftlichen Debatten über die Zukunft des Landes, an Protesten und Kampagnen, die allesamt friedlich verliefen. Niemand von uns ahnte, dass sich unser Schicksal kurz darauf unwiderruflich ändern würde.
In der Hitze der intensiven Diskussionen überhörten wir die Warnungen vor einem drohenden Krieg. Wir ignorierten die Truppen, die in unsere Städte einmarschierten, und die Anzeichen einer zunehmenden Militarisierung. Unser Optimismus in Bezug auf einen neuen Sudan war gross und verdeckte die Bedrohungen. Doch unsere Hoffnungen zerschlugen sich mit den ersten Schüssen an diesem Morgen des 15. April 2023. Sie bedeuteten das Ende all dessen, was wir in den fünf Jahren seit der Entmachtung des ehemaligen Präsidenten Omar al-Bashir aufgebaut hatten.
Der Konflikt begann mit einem Machtkampf zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF), die erbittert um die Kontrolle über die Hauptstadt Khartum und Städte in der Region Darfur kämpften. Der wahllose Einsatz schwerer Waffen in städtischen Gebieten führte zu zahlreichen Toten und Verletzten. Frauen und Mädchen sind seither sexualisierter Gewalt durch alle Konfliktparteien ausgesetzt. Kämpfer*innen, vor allem der RSF und verbündeter Milizen, plündern Häuser, Geschäfte und öffentliche Einrichtungen, darunter auch Krankenhäuser und Lager von humanitären Organisationen. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit finden im Sudan derzeit ungestraft statt.
In den kommenden Monaten könnten Hunderte von Menschen verhungern. Und die Welt schaut zu.
Nach Angaben der Uno wurden bisher mehr als 16 000 Zivilist*innen getötet. Es gibt über 11 Millionen Binnenvertriebene, mehr als in jedem anderen Land. Mehr als zwei Millionen Menschen sind aus ihrer Heimat nach Tschad, Ägypten, in den Südsudan, nach Äthiopien und Libyen geflohen, die meisten leben unter katastrophalen Bedingungen. Anfang August hat die Uno in Teilen der Region Darfur eine Hungersnot ausgerufen, in den kommenden Monaten könnten Hunderte von Menschen verhungern. Und die Welt schaut zu.
Wie viele andere Menschenrechtsverteidiger* innen, die infolge des Konflikts vertrieben wurden, fand ich mich in Kenia wieder. Ich gehöre zu den Glücklichen, die es geschafft haben. Im März dieses Jahres begann ich als Kampagnenleiterin für den Sudan und den Südsudan bei Amnesty International zu arbeiten. Derzeit bereite ich eine Kampagne vor, die den Fluss von Waffen und Munition zu unterbrechen versucht. Denn wie ein Bericht von Amnesty dokumentiert, liefern Russland, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, Serbien, China und andere Länder weiterhin Waffen an die Kriegsparteien. Sie verstossen damit gegen das Waffenembargo des Uno-Sicherheitsrats für Darfur.
Ich setze mich dafür ein, dass der Sicherheitsrat dieses Waffenembargo auf den gesamten Sudan ausweitet und seine Umsetzung sicherstellt. Doch dies kann nicht von Amnesty allein erreicht werden. Es erfordert die gemeinsame Anstrengung vieler Staaten, Organisationen und Menschen auf der ganzen Welt.