Der Film «Children of Peace» ist schon zwei Jahre alt – er wurde 2022 fertiggestellt –, ist aber aktueller denn je. Anhand von Gesprächen thematisiert er das friedliche und gleichberechtigte Zusammenleben von rund 300 Palästinenser* innen und jüdischen Menschen im Dorf Neve Shalom – Wahat al-Salam (Oase des Friedens) und verheimlicht nicht, wie schwierig das ist. Im Gegenteil. Die aktuelle Situation stellt das Zusammenleben der Gemeinschaft abermals vor grosse Herausforderungen.
Der Regisseur Maayan Schwartz ist ein Kind dieser «Oase». Er und seine im Film gezeigten Altersgenoss*innen sind die ersten, die im Dorf geboren wurden. Sie wuchsen miteinander auf, sprechen beide Sprachen, feierten zusammen die religiösen jüdischen, muslimischen und christlichen Feiertage, gingen gemeinsam in die Grundschule und verstanden als Kinder noch nicht, wie aussergewöhnlich ihr Leben war – in einer Region, in der sich zwei Seiten unversöhnlich gegenüberstehen.
Der Dokumentarfilm schildert das Aufwachsen dieser Generation vor dem Hintergrund der Geschichte des Dorfs und des Konflikts: Historische Videoausschnitte aus Dorf- und Familienarchiven dokumentieren die Entwicklung der Gemeinschaft seit ihrer Gründung. In den 1970er-Jahren startete der Dominikanerpater Bruno Hussar mit Gleichgesinnten das Experiment auf dem Grundstück eines katholischen Klosters in der Nähe von Jerusalem. Ausschnitte aus Filmmaterial von Medienschaffenden aus aller Welt, die das Dorf besuchten, betonen dessen Einzigartigkeit – darunter immer wieder die Kinder, die bereitwillig über ihren Alltag Auskunft geben.
«Wir in Neve Shalom sind nicht ausserhalb des Konflikts, wir leben nicht in einer Blase. Im Gegenteil.» Maayan Schwartz
Dem friedlichen Zusammenleben im Dorf werden im Film Szenen aus Nachrichtensendungen gegenübergestellt, die die gewaltvolle Realität in Israel und dem besetzten palästinensischen Gebiet zeigen. Auch die Gemeinschaft bleibt nicht von dem Konflikt verschont, der um sie herum tobt. Die Friedensschule des Dorfs wird angezündet, und rassistische, antiarabische Graffiti werden auf Mauern gesprüht. «Wir in Neve Shalom sind nicht ausserhalb des Konflikts, wir leben nicht in einer Blase. Im Gegenteil», betont Maayan Schwartz. «Durch unser Zusammenleben müssen wir Tag für Tag lernen, damit umzugehen – mehr als alle anderen. In rein arabischen oder rein jüdischen Gemeinschaften müssen sich die Menschen nicht mit der anderen Seite auseinandersetzen, wir schon.»
In den Gesprächen mit den heute erwachsenen Freund*innen aus seiner Kindheit geht Schwartz der Frage nach, wie sie sich ihrer Identität als Palästinenser*in oder Israeli bewusst wurden und welche Herausforderungen das für die Beziehungen und Freundschaften untereinander mit sich brachte. Mit zunehmendem Alter konnten sich die Kinder in Neve Shalom – Wahat al-Salam dem Konflikt immer weniger entziehen.
Das galt insbesondere ab dem Moment, als sie getrennt in weiterführende Schulen gehen mussten. Der Palästinenser Hilal erzählt, ihm sei erst dann bewusst geworden, wie anders das Leben ausserhalb des Dorfs war: «Plötzlich gehörte ich als Araber zu einer Minderheit.» Auch die jüdischen Kinder erfuhren, wie exotisch ihr Zusammenleben Menschen ausserhalb des Dorfs anmutete und wie viel Feindseligkeit dort herrschte. Auch sie wurden beleidigt und in ihren Schulen als Verräter*innen bezeichnet, weil sie «mit dem Feind» lebten.
Noch ist ihr Leben friedlich: Palästinensische und jüdische Kinder der ersten im Dorf geborenen Generation.
© Dafna Karta Schwartz
Belastungsprobe Militär
Dies sei die Zeit gewesen, als er sich vom Dorf und seinen Kamerad*innen zu entfremden begonnen habe, erzählt der Regisseur: «Wir hatten nun unterschiedliche Tagesabläufe, bewegten uns entweder in einer jüdischen oder einer arabischen Gesellschaft. Ich dachte, nach der Highschool sind wir dann alle wieder zusammen, wie zuvor. Doch dann kam der Militärdienst.»
Die Einberufung ins Militär, die nur die jüdischen 18-Jährigen betrifft – palästinensische Bürger*innen Israels sind vorgeblich aus «Sicherheitsgründen» davon ausgeschlossen –, stellte einen grossen Einschnitt im Leben der jungen Menschen dar, und zwar für beide Seiten. Die jüdischen Jugendlichen standen vor der schwierigen Frage «Militärdienst: ja oder nein», wobei Verweigerung zumeist Militärgericht und Gefängnis nach sich zieht. Die palästinensischen Jugendlichen konnten hingegen nur schwer verstehen, dass ihre Freund*innen zum Militär gingen. Sie assoziierten israelische Soldat*innen mit Besatzung und Gewalt, hatten Angst vor ihnen. So sagt der Palästinenser Omer im Film zu Maayan Schwartz, der Militärdienst leistete: «Du hättest es besser wissen müssen. Indem du dich für die Armee entschieden hast, hast du eine Seite gewählt. Ich denke, es ist falsch, eine Seite zu wählen.»
«Es ist die Stärke unseres Dorfs – und ich bin überzeugt, dass es genau deswegen überleben konnte –, dass wir uns diesen Fragen stellen. Und dass wir uns einig sind, dass wir uns nicht in allem einig sein müssen, weil wir trotz der Unterschiede eine Gemeinschaft bleiben wollen.» Maayan Schwartz
Zu einer grossen Belastungsprobe kam es, als Tom Kitain mit 21 Jahren bei einem Militäreinsatz im Libanon starb. Das ganze Dorf trauerte, alle hatten einen Sohn verloren. Eindrücklich ist die Szene nach Toms Tod, als sein palästinensischer Lehrer sagt, dass wohl noch nie ein israelischer Soldat von so vielen Palästinenser*innen betrauert worden sei. Doch als der Wunsch aufkam, für Tom Kitain ein Denkmal zu errichten, wandten sich einige dagegen: Einen israelischen Soldaten im Dorf sichtbar zu ehren, ging manchen zu weit. Die harten Diskussionen zeigten: Die unterschiedlichen Wahrnehmungen bilden Gräben in der Gemeinschaft, und diese können sehr tief gehen, Verletzungen und Unverständnis auslösen.
Das Thema Militärdienst, dem im Film viel Raum gegeben wird, verdeutlicht dies besser als manch ein Sachbuch. Und doch sagt Maayan Schwartz: «Es ist die Stärke unseres Dorfs – und ich bin überzeugt, dass es genau deswegen überleben konnte –, dass wir uns diesen Fragen stellen. Und dass wir uns einig sind, dass wir uns nicht in allem einig sein müssen, weil wir trotz der Unterschiede eine Gemeinschaft bleiben wollen.»
Die aktuelle Situation, die Haltung gegenüber dem, was am 7. Oktober 2023 und seither passiert ist und wie man damit umgehen kann, ist eine weitere Belastungsprobe für die Gemeinschaft. «Diese Themen zu diskutieren, ist sehr belastend, weil die beiden Bevölkerungsgruppen weiter voneinander entfernt sind denn je. Die Realität ist momentan chaotisch und schwer auszuhalten. Aber die Menschen in Neve Shalom sprechen weiterhin miteinander, sie teilen ihre Gefühle mit und akzeptieren, dass das Gegenüber vielleicht andere Gefühle hat», sagt Maayan Schwartz. «Wir können nur mit gegenseitigem Verständnis versuchen, die Gräben zu schliessen. Das braucht Zeit, aber wir versuchen es weiterhin.»