«Sie haben gemeinsam gegen die Faschisten gekämpft, und sie sind gemeinsam gestorben. Serb*innen, Kroat*innen, Bosnier* innen. Heute erzählen uns die Politiker*innen, dass wir nicht zusammenleben können», sagt Adi Selman und schüttelt den Kopf. Adi steht in Vukosavci auf dem Gelände eines verfallenen Denkmals, das an die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Partisan* innen und Soldat*innen erinnert.
Seit dem Zerfall des Landes 1991 rottet dieser Platz vor sich hin. Denn in der Republika Srpska (RS), einem Teilstaat Bosnien-Herzegowinas, erinnert man sich nicht gerne an die multiethnische Geschichte des 1992 entstandenen Staats. In diesem Landesteil wurden unter Führung von Radovan Karadžić und General Ratko Mladić Zehntausende Bosnier*innen, Kroat*innen und Rom*nja ermordet. Der 32-jährige Adi hat den Jugoslawien-Krieg von 1991 bis 1995 nicht bewusst erlebt, die schrecklichen Geschichten aus dieser Zeit kennt er von seinen Eltern. Adi ist Bosniake. Wenn es nach dem Präsidenten der RS geht, dem extremen Nationalisten Milorad Dodik, hat jemand wie Adi hier nichts zu suchen. Seit mehr als 18 Jahren beherrscht Dodik die RS. Öffentlich behauptet er, Bosnier*innen und Serb*innen könnten nicht zusammenleben.
Heute besteht Bosnien und Herzegowina aus den beiden Entitäten Föderation Bosnien und Herzegowina (mehrheitlich von Bosnier*innen und bosnischen Kroat*innen bevölkert) und Republika Srpska (mehrheitlich von bosnischen Serb*innen bevölkert).
Gemeinsam gegen den Lithiumabbau
Adi beweist das Gegenteil: Er hat in der Nähe Freund*innen wie die serbische Aktivistin Andrijana Pekić in Lopare. Der Ort ist nur zwei Kilometer von Vukosavci entfernt und sorgt für Schlagzeilen. Denn im Herbst 2022 wurde bekannt, dass das Schweizer Bergbauunternehmen Arcore im angrenzenden Majevica-Gebirge bei geheimen Probebohrungen immense Vorkommen an Lithium entdeckte. Lithium ist ein wichtiger Rohstoff für den Übergang von der fossilen zur regenerativen Energiegewinnung.
Im November 2023 teilte Arcore mit, eine strategische Partnerschaft mit dem deutsch-kanadischen Unternehmen Rock Tech Lithium vereinbart zu haben. Rock Tech baut derzeit im brandenburgischen Guben ein Konverterwerk, in dem aus Lithiumkarbonat Lithiumhydroxid produziert werden soll, um jährlich 150 000 Batterien für die deutsche Autoindustrie herzustellen.
«Den Preis dafür bezahlen wir. Bei der Lithiumgewinnung wird sehr viel Wasser verbraucht, und sie sorgt für eine immense Umweltverschmutzung », sagt Andrijana. Gleich nachdem sie von den Plänen zum Lithiumabbau aus der Presse erfahren hatte, gründete sie den Verein Čuvari Majevice, Beschützer der Majevica.
Sie und Adi treffen sich an der Ortseinfahrt von Lopare, und sie zeigt ihm ein neues Plakat, das sie hier anbringen liess. Darauf steht: «Fremder Profit, unser Untergang?» Adi gratuliert ihr. Als Mitarbeiter der NGO Karton Revolucija, die gegen Korruption kämpft, weiss er, wie man Aufmerksamkeit erzielt. Und gerade jetzt ist das Thema virulent, denn es stehen Kommunalwahlen an. Andrijana war wegen ihres Engagements in Lopare oft in den Medien zu sehen und erhielt schon einige Male Drohanrufe von angeblichen Veteranen, die ihr antiserbische Politik vorwerfen.
Adrijana Peki und Adi Selman am Dorfeingang von Lopare vor einem Plakat gegen den Lithium-Abbau.
Adi erzählt, dass ihn der unabhängige Kandidat für das Amt des Bürgermeisters in Lopare, Milanko Tošić, zu einer gemeinsamen Veranstaltung eingeladen hat. Auf Tošićs Wahlplakaten steht: «Leben! Kein Lithium.» Adi hätte da über seine Erfahrungen in Serbien reden sollen, wo er an mehreren erfolgreichen Aktionen von NGOs gegen den Lithiumabbau teilgenommen hat. Aber serbische Nationalist*innen drohten Tošić Gewalt an, sollte er einen Bosniaken auf einer serbischen Versammlung auftreten lassen.
Wanderrouten für den Tourismus
Zahlreiche Aktive in Politik und Gesellschaft haben längst die ethnischen oder administrativen Grenzen überwunden, um den Lithiumabbau in Lopare gemeinsam zu stoppen. Mehrere Gemeinden wie die von Lopare und Čelić arbeiten mittlerweile zusammen. Admir Hrustanović ist der parteilose Gemeindevorsitzende von Čelić, das sich in der Föderation befindet. Er erlebte als Kind den Krieg und floh mit seiner Familie in die USA. Nach seiner Rückkehr engagierte er sich politisch in seinem Geburtsort. «Dieses Land kann nur gemeinsam vorankommen, ganz gleich welchen religiösen oder kulturellen Hintergrund jemand hat», sagt er. Vor Jahren riefen er und ein Kollege in Lopare das Projekt Via Majevica ins Leben. Drei Gemeinden der Föderation und zwei aus der RS beteiligen sich daran, das Mittelgebirge Majevica für den Tourismus zu erschliessen: mit Wanderrouten, Radwegen und einem bunten Kulturprogramm, bei dem man auch Moscheen, orthodoxe oder katholische Kirchen besichtigen kann. Doch der Lithiumabbau droht diese Pläne zu durchkreuzen.
«Die Menschen fürchten, dass beim Abbau der Rohstoffe giftige Substanzen in den Fluss Šibošnica gelangen und so die Wasserversorgung unserer Gemeinde gefährdet wird», sagt Hrustanović.
In Lopare sitzt Bürgermeister Rado Savić in seinem Büro. Er ist gleich alt wie Hrustanović und gehört der Serbischen Demokratischen Partei an, die Karadžić einst gründete. Lange her. Savić ist voll des Lobes über seinen Kollegen und «Freund in Čelić», wie er sagt. «Wir haben uns sofort gut verstanden und hatten beide die gleiche Vorstellung davon, wie wir unsere Region entwickeln sollten. Für Tourist*innen ist es doch viel spannender, wenn sie die Vielfalt unseres Landes erleben können», sagt er. Die Verwaltungsgrenzen spielten dabei keine Rolle. Beim Thema Lithium verfinstert sich sein Blick. «Wir wissen, dass wir den geplanten Abbau nur gemeinsam stoppen können», sagt Savić. Erst vor wenigen Tagen unterzeichneten die Vorsteher von acht Gemeinden aus beiden Landesteilen ein Memorandum zum gemeinsamen Kampf gegen Arcore und Dodiks Pläne, die Majevica zum Abbaugebiet zu machen.
Andrijana und Adi spazieren durch Lopare und bleiben unter einem Wahlplakat von Milanko Tošić stehen. «Er ist unsere Hoffnung, denn wir brauchen eine neue Generation von Politiker*innen. Bei den alten weiss man nie, ob sie nicht doch schmutzige Deals machen», sagt Andrijana und deutet in Richtung eines Plakats, auf dem Savićs Gesicht zu sehen ist. Adi lächelt. «Man munkelt, dass Savić sich längst mit Dodik verständigt hat. Sollte er gewinnen, dann wird er den Bau einer Mine nicht verhindern», sagt er.
Es sind mächtige Gegenspieler, die die beiden haben. Vergangenen Juli unterzeichnete der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem serbischen Präsidenten Alexander Vučić einen europäischen Plan zum Lithiumabbau im Jadar-Tal, das zu Serbien gehört. «Das ist die gleiche Ader wie im bosnischen Lopare. Sie ist nur knapp 40 Kilometer Luftlinie entfernt.»
Der serbische Präsident Alexander Vučić und der Präsident der RS, Milorad Dodik, sind enge Verbündete und teilen auch wirtschaftliche Interessen. In Serbien soll das britisch-australische Bergbauunternehmen Rio Tinto tätig werden. Die serbische Regierung leitet gerade entsprechende Genehmigungsverfahren und Gesetze in die Wege. Proteste sollen in Serbien bereits im Keim erstickt werden.
Es wird befürchtet, Dodik könnte sich ein Beispiel daran nehmen und alles daransetzen, den Bergbau in Lopare nach serbischem Vorbild voranzutreiben. Davon sind Adi und Andrijana überzeugt. Als Adi auf der kurvigen Strasse über die Majevica zurückfährt, bleibt er auf einer Anhöhe stehen, steigt aus und betrachtet die idyllische Hügellandschaft. «Und das soll alles zerstört werden, damit man mit sauberen Elektroautos fahren kann?», fragt Adi. «Die dürfen nicht gewinnen.»