Zurück in die Vergangenheit: Autoritäre Regierungen und konservative Gruppierungen wollen, dass Frauen wieder traditionelle Rollen einnehmen. © Keystone/Interfoto/TV-Yesterday
Zurück in die Vergangenheit: Autoritäre Regierungen und konservative Gruppierungen wollen, dass Frauen wieder traditionelle Rollen einnehmen. © Keystone/Interfoto/TV-Yesterday

MAGAZIN AMNESTY AMNESTY-Magazin März 2025 – Herrschaft über Frauenkörper Der grosse Rückschritt

Von Natalie Wenger. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom März 2025.
Wir erleben zurzeit einen grossen Rückschritt, was Frauenrechte betrifft: Das Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren Körper wird wieder vermehrt angegriffen. Der neue Autoritarismus in manchen Ländern befeuert diese Tendenz.

Ein verurteilter Sexualstraftäter ist jetzt Präsident der USA. Donald Trump machte sich auch schon mal lustig über Opfer sexualisierter Gewalt, ja bluffte gar damit, dass er Frauen überall berühren dürfe. Damit stösst er auf Anklang, insbesondere in einer Zeit, in der in den sozialen Medien eine Gegenbewegung zu Feminismus und #MeToo stattfindet. So trendete nach Donald Trumps Wahlsieg vergangenen November der Hashtag #YourBodyMyChoice (dein Körper, meine Wahl) auf der Social-Media-Plattform Tiktok, lanciert vom rechtsextremen Influencer Nick Fuentes, der mit diesen Worten das Recht der Männer, über Frauenkörper zu bestimmen, manifestierte.

Doch nicht nur in den USA erleben wir diesen Rückschritt, was die Rechte der Frauen über ihre Körper betrifft. In Argentinien sieht Präsident Javier Milei im Feminismus das grosse Feindbild. Er schaffte das Frauenministerium ab, schloss die Antidiskriminierungsbehörde und kürzte Gelder zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt. Und nach dem Vorbild der USA unter Donald Trump soll auch hier das Recht auf sichere Schwangerschaftsabbrüche verboten werden, selbst im Fall einer Vergewaltigung.

Und dann ist da noch Afghanistan, wo die Taliban seit der Machtübernahme 2021 alles daransetzen, die Rechte der Frauen zu erodieren. Erst vor kurzem haben die Taliban neue Laster- und Tugendgesetze erlassen. Das Ziel: die völlige Unsichtbarmachung der Frau. Der Zugang zu Bildung wird für Frauen und Mädchen immer schwieriger, ihnen werden strikte Kleidervorschriften auferlegt, und nun wird ihnen sogar verboten, in der Öffentlichkeit zu sprechen.

Autoritäre Regierungen sind sich bewusst, dass die politische Beteiligung der Frauen eine Gefahr für sie darstellt.

Dies sind nur drei Beispiele einer besorgniserregenden Entwicklung: Laut dem Women, Peace and Security Index 2023/2024 droht der Aufstieg autoritärer Kräfte die Fortschritte im Bereich der Frauenrechte zunichtezumachen. «Es sieht im Moment sehr düster aus», sagt Susanne Kaiser, Journalistin und Autorin des Buches «Backlash», das beschreibt, warum die antifeministische Bewegung erstarkt. «Die Verteidigung der Männlichkeit ist zu einer Art Identitätspolitik geworden, deren oberstes Ziel es ist, die Errungenschaften des Feminismus rückgängig zu machen, wozu in erster Linie das Recht auf Selbstbestimmung gehört. Um ihre Macht zu sichern, instrumentalisieren autoritäre Regierungen, aber auch antidemokratische, rechtsextreme Bewegungen die Kontrolle über den weiblichen Körper.»

Autoritäre Regierungen sind sich bewusst, dass die politische Beteiligung der Frauen eine Gefahr für sie darstellt: Oppositionelle Bewegungen, an denen Frauen beteiligt sind, haben laut zahlreichen Studien eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit und führen mit grösserer Wahrscheinlichkeit zu einer egalitären Demokratie. Deshalb müssen Frauen daran gehindert werden, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Sie sollen von politischen Ämtern ausgeschlossen und zurück «ins Heim», in ihre traditionelle Rolle als Ehefrau und Mutter gedrängt werden. Auch deshalb werden Schwangerschaftsabbrüche verboten – vielerorts selbst dann, wenn grosse Risiken für das Leben der Schwangeren bestehen.

Den Männern wird so die Kontrolle über die Körper der Frauen zurückgegeben: Sie entscheiden nicht nur über die Schwangerschaft, sondern durch Propagierung «traditioneller Werte» auch, wie Frauen sich kleiden, wo und wann sie ausgehen dürfen und mit wem – oft gar mit dem Argument, die Frauen damit zu schützen. Männer, die selbst auch unter den autoritären Strukturen und nicht erreichbaren Männlichkeitsvorbildern leiden, erhalten so zumindest ein Minimum an Macht – was ihre Unterstützung der Regierung oder Partei steigert und das Patriarchat weiter festigt.

Während radikal-islamistische Bewegungen wie in Afghanistan die Verdrängung aller Frauen aus dem öffentlichen Leben anstreben, führen autoritäre Regierungen wie in Argentinien, Russland oder China sogenannte Anti- Gender- Kampagnen durch, die auf die Rechte von Frauen und queeren Menschen abzielen. Sie richten sich gegen Sexualerziehung, gleichgeschlechtliche Ehen, Abtreibung und die Wahl der Geschlechtsidentität, während sie gleichzeitig traditionelle Rollen fördern – teils mittels Einschüchterungen und Drohungen.

Der Anti-Feminismus

Auch in demokratisch-liberalen Staaten verfolgen konservative Politiker*innen oder Parteien eine Politik, die die Unterstützung für eine Gleichstellung der Geschlechter verringert. So versprach etwa Trumps Kampagne, den Männern ihre Vormachtstellung zurückzugeben. Feministinnen hätten den Männern ihre Rechte «weggenommen» und Frauen seien nun bevorteilt. «Dass Männer die Geschlechterhierarchie weiterhin dominieren und die Gleichberechtigung auf rechtlicher, aber auch auf sozialer Ebene noch lange nicht erreicht ist, wird dabei meist übersehen», sagt Susanne Kaiser.

Bei den Männern stiess hingegen vor allem Donald Trumps pompöse Zurschaustellung von Männlichkeit – etwa durch aggressive Handschläge, sexistische Kommentare oder angeberische Protzereien – auf Anklang.

Donald Trump gelang es, mit seiner Politik auch konservative, mehrheitlich weisse Frauen anzusprechen. Frauen haben ihn gewählt, selbst wenn sie gegen ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen sind. «Es gibt leider auch viele Frauen, die vom Patriarchat profitieren oder sich von misogynen und rassistischen Überlegungen leiten lassen», sagt Susanne Kaiser. Bei den Männern stiess hingegen vor allem Donald Trumps pompöse Zurschaustellung von Männlichkeit – etwa durch aggressive Handschläge, sexistische Kommentare oder angeberische Protzereien – auf Anklang. Dass der Slogan «Your body, my choice» zum Siegesspruch vieler Trump-Unterstützer wurde, kommt daher nicht von ungefähr. Die höhnische Umkehrung des Schlagwortes «Mein Körper, meine Wahl», das für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren Körper steht, zieht die Anliegen von Frauen ins Lächerliche. Der Hashtag wurde vor allem von Mitgliedern der Gen Z, aber auch von älteren gebildeten, erfolgreichen Männern verwendet. «Es ist so, dass alle Frauen Opfer von Gewalt und Sexismus sein können, und Männer aus allen Alters- und Gesellschaftsgruppen diese Gewalt ausüben. Studien zeigen, dass frauenfeindliche Ressentiments vor allem in akademischen Kreisen weit verbreitet sind – und dass auch die jüngeren Generationen nicht davor gefeit sind», sagt Susanne Kaiser. Einen Grund dafür sieht sie in den sozialen Medien, deren Algorithmen radikale Inhalte mit frauen- oder queerfeindlichen Aussagen pushen und Inhalte, die dem widersprechen, praktisch unsichtbar machen.

In «Your body, my choice» steckt aber auch eine Vergewaltigungsdrohung. Sex wird als Waffe zur Bestrafung, Demütigung und Beherrschung von Frauen gefeiert. In den Tagen nach Nick Fuentesʼ Veröffentlichung des Hashtags, verbreiteten sich als Reaktion auf den Post Vergewaltigungsfantasien. Zahlreiche Frauen und Mädchen berichten, dass ihnen gar sexualisierte Gewalt angedroht worden sei. Dass mit Donald Trump selbst ein verurteilter Sexualstraftäter an der Spitze dieser Bewegung steht, ist daher passend. Seine Verurteilung wird längst nicht mehr überall als Nachteil gewertet – sein Verhalten gilt in gewissen Kreisen sogar als Ideal.

Vernetzung ist nötig

Für Susanne Kaiser ist klar: Der Backlash ist nur so gross, weil der Feminismus so erfolgreich war. «Der Feminismus hat es geschafft, mit friedlichen Mitteln in kurzer Zeit sehr viel zu erreichen», sagt sie. «Kurzfristig besteht die Gefahr, dass reaktionäre Bewegungen grossen Schaden anrichten und hart erkämpfte Errungenschaften des Feminismus zunichtemachen. Doch langfristig bin ich mir sicher, dass der Feminismus sich durchsetzen wird. Bewegungen wie Women Life Freedom, #MeToo, One Billion Rising oder Ni una menos haben ein kollektives Bewusstsein für die Gewalt an Frauen geschaffen, das so einfach nicht rückgängig gemacht werden kann. Diese Sichtbarkeit ist unsere grösste Waffe.»

Um weiterhin effektiv zu sein, müssen sich Frauenbewegungen weltweit vernetzen – und Männer einbeziehen. «Auch die Männer würden profitieren, wenn das Patriarchat endlich überwunden würde», sagt Susanne Kaiser. «Denn dieses drängt sie in ein starres Alphamännchen-Korsett und verwehrt ihnen die Möglichkeit, sich frei zu entfalten. Und wer hat da bitte Bock drauf?»