Wenn das Zuhause zum Ort der Angst wird: Femizide werden zumeist von Angehörigen, Partnern oder Freunden begangen. © Linda Käsbohrer
Wenn das Zuhause zum Ort der Angst wird: Femizide werden zumeist von Angehörigen, Partnern oder Freunden begangen. © Linda Käsbohrer

AMNESTY-Magazin März 2025 – Herrschaft über Frauenkörper Ignorierte Hilferufe

Von Linda Käsbohrer. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom März 2025.
Femizide sind in Venezuela keine Einzelfälle, sondern Ausdruck eines Systems, das Frauen im Stich lässt. Alle 34 Stunden stirbt in dem Land eine Frau durch geschlechtsspezifische Gewalt. Die Geschichten von Carla Ríos und Klaribel zeigen, wie gefährlich das Leben für Frauen in einem Land geprägt von Machismus, Korruption und staatlicher Gleichgültigkeit ist.
Carla Rios − vefolgt, vergewaltigt, ermordet
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Mehrfach zeigte Carla Ríos ihren gewalttätigen Expartner bei den Behörden an. Doch diese ignorierten die Hilferufe der zweifachen Mutter und Unternehmerin. Die Gewalt spitzte sich immer weiter zu: Ihr Expartner verfolgte und bedrohte Carla weiterhin. Einmal entführte er sie und vergewaltigte sie in einem Hotel. Auch danach blieben mehrere Schutzanordnungen der Behörden wirkungslos. Am 31. Juli 2020 wurde Carla in ihrem eigenen Haus ermordet – ein Schuss in die Brust, ein weiterer in den Kopf. Carla verlor ihr Leben, weil ihr Expartner nicht akzeptieren konnte, dass sie ein unabhängiges Leben ohne ihn führen wollte. Für ihn war Carla sein Besitz.

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«Die Behörden wussten, dass er gefährlich ist. Trotzdem durfte er frei herumlaufen – bis er CArla tötete. Während die Täter ungestraft davonkommen, geraten die Opfer in Vergessenheit.» Carmen Rodríguez

Für Carlas Familie war der Femizid ein Schock. «Anfangs hatte er Carla immer gut behandelt. Er nannte mich sogar ‹Mum›», erzählt Carlas Mutter Carmen Rodríguez. Doch mit dem beruflichen Erfolg und der wachsenden Unabhängigkeit ihrer Tochter habe sich alles geändert. Der Ex wurde zunehmend eifersüchtig und kontrollierte Carla. Er reagierte mit Gewalt, wenn sie nicht schnell genug auf seine Nachrichten reagierte. Die Mutter findet kaum Worte für das, was ihrer Tochter widerfahren ist.

 

 

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Carlas gewaltsamer Tod hat ihrer Schwester deutlich gemacht, wie wenig Schutz Frauen in Venezuela erhalten: «In diesem Land bedeutet eine Anzeige nichts. Frauen wie meine Schwester verlieren ihr Leben, während das System untätig bleibt.» 2023 zählte das Centro de Justicia y Paz 253 Femizide und 134 versuchte Tötungen. Die Dunkelziffer liegt vermutlich um einiges höher, da viele Fälle aus Angst oder wegen des Vertrauensmangels in das Justizsystem nicht gemeldet werden.  

Klaribel −mit der Angst leben

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«Er nahm eine Gasflasche, öffnete sie und drohte, uns alle zu töten.» Klaribel

Auch Klaribel fühlt sich von den Behörden in Venezuela im Stich gelassen. 2020 trennte sie sich von ihrem damaligen Partner, der sie schlug und krankhaft eifersüchtig ist. Er begann, sie zu stalken und bedroht sie jedes Mal mit dem Tod, wenn er ihr begegnet. «Um meiner Kinder willen habe ich viel zu lange geschwiegen», sagt Klaribel. Sie verlässt das Haus nur noch in Begleitung, selbst in den eigenen vier Wänden fühlt sie sich nicht sicher. Die traumatischen Erlebnisse haben sowohl bei ihr als auch bei ihren Kindern tiefe Spuren hinterlassen. Drei erlassene Schutzanordnungen sind bis heute wirkungslos, die Behörden liessen ihn immer wieder gehen.

Verharmlosung, Korruption und Gleichgültigkeit

Hinter den bunten Fassaden der venezolanischen Häuserzeilen verbirgt sich oft eine düstere Realität: Für Frauen wie Carla und Klaribel wird das Zuhause zum Ort der Angst. 2007 wurde in Venezuela zwar ein Gesetz zur Prävention von Gewalt gegen Frauen erlassen. Es gilt als richtungsweisend und sieht Schutzmassnahmen vor. Bis heute wurde dieses Gesetz jedoch nie durch spezifische Vorschriften oder Verordnungen umgesetzt. Polizei und Justiz wissen oft nicht, wie sie in entsprechenden Fällen vorgehen sollen. Die Gewalt wird verharmlost, Opfer werden systematisch abgewiesen. Hinzu kommt die Korruption: Kontakt- und Annäherungsverbote werden ignoriert, Täter in Untersuchungshaft erkaufen sich gegen Zahlung eines Geldbetrags ihre Freiheit.

Lissette González: Engagement für die Opfer

Lissette González arbeitet für die NGO Provea, die sich für soziale Rechte und Menschenrechte einsetzt. «Femizide sind oft das tragische Ende einer Gewaltspirale, die durch fehlenden staatlichen Schutz begünstigt wird», sagt die Sozialwissenschaftlerin. Man schicke die Opfer von einer Behörde zur nächsten. Weder Frauenhäuser noch finanzielle Hilfen stünden in ausreichendem Masse zur Verfügung. González sieht die wirtschaftliche Abhängigkeit vieler Frauen als zentrales Hindernis, um aus toxischen und gewalttätigen Beziehungen auszubrechen. «Ohne eigenes Einkommen bleiben viele Frauen gefangen », sagt sie. Die Aktivistin fordert bessere Bildung. Gleichzeitig brauche es dringend Reformen und Schutzmassnahmen.

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Pseudo-Engagement für Frauenrechte

In den vergangenen Jahren hat die Regierung sogenannte Mujer Cafés (Frauen-Cafés) eingerichtet. Sie werden von Frauen geführt, die im Rahmen eines staatlichen Programms dafür ausgebildet werden. Ziel ist es, den Frauen ein Erwerbseinkommen zu ermöglichen. Kritiker* innen bemängeln jedoch, die Cafés der Regierung dienten eher dazu, Wählerinnen zu gewinnen und die Programme als Erfolg darzustellen, als tatsächlich Frauen zu unterstützen.

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