Die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit nimmt angesichts zunehmender autoritärer Tendenzen in vielen Staaten weltweit zu. Auch in der Türkei. So wurde im vergangenen November dem Parlament erneut ein Gesetzesentwurf vorgelegt, der als «Gesetz über ausländische Agenten» bekannt ist. Personen, die «im ausländischen Auftrag gegen die Interessen des Staates arbeiten», sollen verfolgt und mit langjähriger Haft bestraft werden können. Sollte das Gesetz in Kraft treten, könnten zivilgesellschaftliche Organisationen, Medienschaffende und Menschenrechtsverteidiger* innen juristisch belangt werden – durch ein Justizsystem notabene, das bereits jetzt willkürlich urteilt und ausserdem hochgradig ineffizient ist.
Gegen diesen ersten Entwurf vom Mai 2024 hatte sich massiver Widerstand aus der Zivilgesellschaft formiert, sodass die Vorlage zurückgezogen wurde. Ein grosser Erfolg für die Verteidiger* innen der Menschenrechte in der Türkei. Dennoch war klar: Der Vorschlag würde wieder auftauchen.
«Abweichende Stimmen sollen zum Schweigen gebracht werden.» Ruhat Sena Akşener
Im November wurde dem Justizausschuss des Parlaments denn auch ein neuer Entwurf vorgelegt. Für mich ist offensichtlich: Auch dieser Gesetzesentwurf ist eindeutig als Instrument zur Unterdrückung der Zivilgesellschaft und der Medien konzipiert. Abweichende Stimmen sollen zum Schweigen gebracht werden. Besorgniserregend ist insbesondere, dass nirgendwo klar beantwortet wird, welche Handlungen zu einer Beschuldigung als «ausländischer Agent» führen können. Dies öffnet der Willkür Tür und Tor.
Mit dieser Meinung war ich zum Glück nicht allein. Gemeinsam mit anderen Menschenrechtsorganisationen startete Amnesty Türkei eine Kampagne, die durch eine gemeinsame Erklärung von 93 zivilgesellschaftlichen NGOs unterstützt wurde. In den Tagen, in denen der Gesetzesentwurf auf der Tagesordnung des Parlaments stand, arbeiteten wir Tag und Nacht und leisteten intensive Lobbyarbeit. Wir sorgten unter anderem dafür, dass Vertreter*innen von Organisationen der Zivilgesellschaft an den Diskussionen des Ausschusses teilnehmen konnten.
Innerhalb weniger Tage gewann das Thema in den sozialen Medien und in der Presse erheblich an Bedeutung. Interviews, Artikel, Videos und Beiträge, in denen die Gefahren des Gesetzesvorschlags erläutert wurden, verstärkten unsere Stimmen. Nur dank dieses energischen Widerstands wurde der Vorschlag erneut ad acta gelegt.
Dies war zweifellos ein bedeutender Sieg für die Menschenrechtsverteidiger*innen in der Türkei, die trotz des schrumpfenden zivilen Raums und der zunehmenden Erstickung der Zivilgesellschaft ihre Arbeit unermüdlich fortsetzen. Unser Erfolg zeigt auf, wie mit kollektivem Handeln ein schwerwiegender politischer Fehler verhindert werden kann.
Es ist jedoch nicht schwer vorherzusagen, dass bald wieder ähnliche Gesetze – oder sogar dieser Gesetzesentwurf in leicht geänderter Form – auftauchen und von der parlamentarischen Mehrheit der Regierung verabschiedet werden könnten. Diese Möglichkeit schwebt wie ein Damoklesschwert über uns. Doch wir weigern uns, die Hoffnung zu verlieren, und werden weiterhin für die Demokratie einstehen.