MAGAZIN AMNESTY AMNESTY-Magazin März 2025 – Carte blannche VERANTWORTUNGSETHIK STATT GESINNUNGSMORAL

Von Barbara Haering. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom März 2025.

Zwei Weltkriege, Auschwitz, Kalter Krieg, Fall der Berliner Mauer, Ukraine: Brennpunkte zu Krieg und Frieden lagen und liegen in Europa. Sie verpflichten uns und involvieren die ganze Welt. Aus den Kriegen der Vergangenheit entstand das humanitäre Völkerrecht, das Auswirkungen bewaffneter Konflikte begrenzen soll. Dazu gehören die Unparteilichkeit und die Vertraulichkeit humanitärer Arbeit. Ebenso einigten sich die Staaten auf das Internationale Völkerrecht, das den Angriffskrieg verbietet. Bei einem Angriff vereint sich die Staatengemeinschaft unter der Uno gegen den Aggressor; Neutralität ist dann kein Thema. Und schliesslich garantieren die Prinzipien der OSCE-Schlussakte von Helsinki (1975) und der Charta von Paris (1990) staatliche Souveränität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.

Die Verpflichtungen der Uno-Charta haben für mich Vorrang vor einer Neutralitätsrhetorik, die eine solidarische Politik für Frieden und Sicherheit behindert.

Wie können wir dazu beitragen, dass diese internationalen Grundsätze wegleitend bleiben? Trotz akuter Mängel des Systems kollektiver Sicherheit? Trotz völkerrechtswidriger Angriffskriege, Warlords und terroristischer Organisationen? Zentral sind klare Positionsbezüge und humanitäre Hilfe: Verantwortungsethik statt Gesinnungsmoral.

Humanitäre Hilfe ist zunehmend mit komplexen, instabilen Einsatzfeldern konfrontiert; Einsätze finden während Kriegssituationen statt und werden selbst zur Zielscheibe hybrider Kriegsführung. Das Geneva International Center for Humanitarian Demining (GICHD) unterstützt die Ukraine bezüglich Minenräumung; die International Commission on Missing People (ICMP) hilft bei der Suche vermisster Personen und entführter Kinder. Werden wir mit diesen Engagements Partei? In der aktuellen Weltlage helfen weder die Leitlinien zur kollektiven Sicherheit noch jene zur Neutralität weiter. Wie also fällen wir Entscheidungen?

Mein Kompass ist klar: Menschen im Zentrum. Wir haben eine humanitäre Verantwortung gegenüber Menschen in Not. Unsere Unterstützung gilt ihrer Sicherheit, Unversehrtheit, Nahrung, Bildung, Meinungsfreiheit, ihren Menschenrechten – unabhängig davon, wer die Macht innehat. So werden wir mit dem GICHD die Arbeiten zur Entminung in Afghanistan wieder aufnehmen. Gleichzeitig bleibt das System kollektiver Sicherheit ein enormer zivilisatorischer Fortschritt; internationales Recht gilt ohne Wenn und Aber. Deshalb haben für mich die Verpflichtungen der Uno-Charta Vorrang vor einer Neutralitätsrhetorik, die eine solidarische Politik für Frieden und Sicherheit behindert.