Arbeitsmigrant*innen sind von den Abschiebungen besonders betroffen. Im März protestierten mehr als 5000 Menschen in Kalifornien für ihre Rechte. © Arndt Peltner
Arbeitsmigrant*innen sind von den Abschiebungen besonders betroffen. Im März protestierten mehr als 5000 Menschen in Kalifornien für ihre Rechte. © Arndt Peltner

AMNESTY-Magazin Juni 2025 – USA Wie Städte gegen Unrecht rebellieren

Von Arndt Peltner. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Juni 2025.
Die sogenannten Sanctuary Cities in den USA pflegen einen menschlichen Umgang mit Migrant*innen – und sind somit ein Dorn im Auge der Trump-Regierung. Doch die Städte leisten Widerstand gegen die neue Politik aus Washington.

Täglich kommen neue präsidiale Anordnungen und Dekrete aus dem Oval Office. Dazu noch jede Menge neue Direktiven aus den Ministerien, die alles über den Haufen werfen, was vorher gegolten hatte. Das Tempo, mit dem Präsident Trumps Regierung vorgeht, sei beeindruckend, meint Chrissie Juliano, Executive Director der «Big Cities Health Coalition», eines Verbunds von 35 Metropolregionen in den USA, die im Bereich «Public Health» zusammenarbeiten. «Im öffentlichen Gesundheitswesen wussten wir, dass es politische Veränderungen, Finanzierungskürzungen und Entlassungen geben würde. Aber ich bin überrascht über die Geschwindigkeit und das Ausmass, mit dem all dies passiert.»

Sanctuary Cities sind ein rotes Tuch für Trump.

Sanctuary Cities sind ein rotes Tuch für Trump, der in seinem Wahlkampf diese Städte als Hort der Gewalt und des Chaos bezeichnete, wobei er auf wenige Gewalttaten von «undocumented immigrants» verwies. Dabei belegen die Statistiken, dass es in den Sanctuary Cities nicht mehr Gewalt gibt – im Gegenteil.

Finanziert wird die Koalition bislang auch durch Bundeszuschüsse in Höhe von einer halben Milliarde Dollar im Jahr. Dass die Beiträge für allgemeine Präventionsmassnahmen in der Gesundheitsvorsorge und für gezielte Programme für benachteiligte Bevölkerungsgruppen weiterhin fliessen werden, ist unwahrscheinlich. Denn die «Big Cities Health Coalition» arbeitet mit dem Begriff «health equity», Gerechtigkeit im Gesundheitswesen. Genau damit macht sich die überparteiliche Koalition in Trumps Amerika verdächtig, auch wenn – wie Chrissie Juliano betont – «equity» (Gerechtigkeit) hier etwas anderes bedeutet als in «DEI», dem bei der neuen Regierung verschrienen Begriff für Diversity, Equity, Inclusion. «Wir wissen aufgrund der Datenlage, dass es Gemeinden mit Menschen gibt, die einem höheren Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind. Gesundheitsgerechtigkeit ist somit eine Aufgabe des öffentlichen Gesundheitswesens, egal, wie man es nennt», sagt Chrissie Juliano.

Viele der Städte und Gemeinden, die in der «Big Cities Health Coalition» zusammenarbeiten, sind nicht nur wegen ihres Gleichheitsgrundsatzes im Gesundheitswesen Ziel der Trump-Administration geworden, sondern auch, weil sich einige als «Sanctuary Cities» verstehen – sogenannte Zufluchtsstädte, die für die Rechte all ihrer Einwohner*innen einstehen (siehe Kasten). Diese sind ein rotes Tuch für Trump, der in seinem Wahlkampf diese Städte als Hort der Gewalt und des Chaos bezeichnete, wobei er auf wenige Gewalttaten von «undocumented immigrants» verwies. Dabei belegen die Statistiken, dass es in den Sanctuary Cities nicht mehr Gewalt gibt – im Gegenteil. Das liege daran, dass Opfer von Verbrechen hier auch ohne legalen Aufenthaltsstatus zur Polizei gehen und kommunale Dienstleistungen, wie präventive Angebote in Anspruch nehmen könnten, ohne selbst Repression befürchten zu müssen, so eine Analyse des National Immigration Law Center.


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Sanctuary Cities (Zufluchtsstädte) bezeichnet Städte und Gemeinden, die illegalisierten Migrant*innen einen gewissen Schutz vor Verfolgung oder drohender Ausschaffung bieten. So werden zum Beispiel Anordnungen zum Festhalten von «undocumented immigrants» nicht umgesetzt und die Zusammenarbeit mit den bundesstaatlichen Einwanderungsbehörden zumindest eingeschränkt.
Jede Sanctuary City legt ihre eigenen Gesetze und Vorschriften fest, weshalb die Regelungen unterschiedlich sind. So werden in einigen Städten Dokumente zur Identifizierung herausgegeben, die unabhängig vom Besitz anderer offizieller Dokumente als Ausweispapier gelten. Seit 2013 können Migrant*innen in Kalifornien einen legalen Führerschein beantragen, wenn sie belegen können, dass sie im «Golden State» leben. In vielen Sanctuary Cities erhalten Bewohner*innen ohne Papiere Zugang zu lokalen Dienstleistungen wie Bildung und Lebensmittelbanken. Sanctuary Cities gibt es – teils unter anderen Namen wie «solidarische Städte» – auch in anderen Ländern. So folgen Barcelona, Glasgow oder Amsterdam diesem Konzept, das auch in Schweizer Städten diskutiert wird.



Ressourcen für statt gegen die Bevölkerung

«Das Konzept der Sanctuary City ist keineswegs illegal», sagt Libby Schaaf, die von 2015 bis 2023 Bürgermeisterin im kalifornischen Oakland war, einer Grossstadt gleich gegenüber von San Francisco. Die Stadtverwaltung in Oakland stellt sich seit 1986 schützend vor alle ihre Einwohner*innen, egal, welchen legalen Aufenthaltsstatus sie haben. Damals reagierte die Stadt auf die Gewalt in El Salvador, Guatemala, Haiti und Südafrika und hiess Migrant*innen willkommen. San Francisco folgte diesem Beispiel drei Jahre später. «Die Gemeinden entscheiden selbst über die Verwendung ihrer Ressourcen und nutzen sie nicht zur Durchsetzung der trumpschen Einwanderungsgesetze. Im Gegenteil: Sie setzen die eigenen Mittel gezielt für statt gegen die Einwohner*innen ein», sagt Libby Schaaf.

«Die Gemeinden setzen die eigenen Mittel gezielt für statt gegen die Einwohner*innen ein.» Libby Schaaf, ehemalige Bürgermeisterin von Oakland

Ganz Kalifornien wurde 2017 unter Gouverneur Jerry Brown ganz offiziell ein «Sanctuary State», da Donald Trump in seiner ersten Amtszeit drohte, die rund 1,8 Millionen Menschen abschieben zu wollen, die im Bundesstaat ohne legalen Status leben. Kalifornien ging damit ganz bewusst und gezielt auf Konfrontationskurs mit Donald Trump.

Libby Schaaf machte bereits im Februar 2018 ihre Erfahrungen mit ihm: «Ich stand auf seiner Feindesliste. Denn als ich Bürgermeisterin von Oakland war, hatte ich öffentlich vor einer bevorstehenden Razzia der Einwanderungsbehörde ICE, von der ich vorab erfahren hatte, gewarnt.» Donald Trump versuchte darauf, Libby Schaaf wegen Behinderung der Justiz zu verklagen, und behauptete, sie habe durch ihre Warnung Bundesgesetze verletzt. Dafür gab es aber keine rechtliche Grundlage.

Libby Schaaf weiss daher genau, was die nun angedrohten Kürzungen von staatlichen Bundesmitteln für eine Gemeinde wie Oakland bedeuten können. Donald Trump liess 2018 Gelder für die öffentliche Sicherheit und präventive Programme gegen  Jugendgewalt sperren, die erst nach weiteren Gerichtsklagen ausgezahlt wurden. «Alleine die kurzzeitige Aussetzung von Geldern kann grossen Schaden anrichten, selbst wenn die Gerichte das letztendlich stoppen würden. Und genau deshalb haben viele Bürgermeister*innen dieses Mal mehr Angst davor, sich zu wehren.»

Präsident Trump macht auch dieses Mal ernst: «No more Sanctuary Cities. Wir arbeiten an Anordnungen, um all diesen Städten und Staaten sämtliche Bundesmittel zu entziehen!», verbreitete er kürzlich auf seinem Truth-Netzwerk.

So kündigte das Justizministerium Ende April an, zwei Millionen Dollar für das erfolgreiche Gewaltpräventionsprogramm «Ceasefire» der Organisation Youth Alive in Oakland zu streichen. Und das, obwohl dieses Programm laut lokalen Expert*innen der Grund für den 40-prozentigen Rückgang der Mordzahlen in Oakland ist.

Schutz inmitten der Todeszone

Noch wehren sich Gemeinden, Bezirke und Bundesstaaten sowie einzelne Behördenmitglieder gegen diese Politik. Pima County, ein Grenzbezirk südlich der Grossstadt Tucson in Arizona, ist ein selbsternannter Sanctuary Bezirk. Hier gab es lange Zeit die meisten illegalen Grenzübertritte – obwohl das Gebiet im Herzen der Sonora-Wüste als einer der tödlichsten Bezirke für Migrant*innen galt. Denn zwischen dem Grenzzaun, der «Trump-Wall», und einem sicheren Ort liegen mehr als 30 Kilometer unwirtliche Wüste, in der es im Sommer mehr als 45 Grad heiss werden kann. Wer hier nicht genügend Wasser mit sich führt, stirbt elendig. Regelmässig werden menschliche Überreste gefunden.

Patrick Guerin ist Deputy Sheriff in Pima County. Der 27-Jährige ist seit drei Jahren im Einsatz. Er steuert den Geländewagen von der Kleinstadt Ajo raus in die Wüste. Die Kartelle im Norden Mexikos, die den Drogenschmuggel und die Fluchtrouten kontrollieren, verändern diese immer wieder geschickt. Die Wege nach Norden sind seit den 80er-Jahren noch gefährlicher geworden. Mit der Militarisierung der Grenze und dem Bau eines gesicherten Grenzzaunes wurde bereits unter Bill Clinton begonnen. Die «Coyotes», die Schmuggler, führen die Migrant*innen auf immer abgelegenere Routen über die Grenze, über Bergkuppen, wo der Zaun noch nicht fertiggestellt wurde, oder tief hinein in die Sonora Wüste. «Es ist schwierig vorherzusagen, welche Route genommen wird, denn die Kartelle bekriegen sich darum, wer Anspruch auf welche Route hat». sagt Patrick Guerin. Er fährt immer tiefer hinein in die Wüste, am Horizont ist die «Trump-Wall» wie eine dunkle Narbe zu sehen.

«Wir fragen die Einwanderer*innen höchstens: ‹Brauchen Sie Wasser? Können wir Ihnen helfen?›» Patrick Guerin, Deputy Sheriff in Pima County

«Als Angestellte des Bezirks setzen wir Deputies keine Bundesgesetze durch. Wir sind also keine Bundespolizei, sondern nur für die Strafverfolgung in Arizona zuständig. Illegale Einwanderung ist aber eine Bundesangelegenheit. Wir fragen die Einwanderer*innen höchstens: ‹Brauchen Sie Wasser? Können wir Ihnen helfen?›. Und wenn sie in Not sind, rufen wir einen Krankenwagen. Aber im Grossen und Ganzen alarmieren wir, ausser unter besonderen Umständen, nicht die Grenzpolizei, um sie über mögliche illegale Ausländer* innen zu informieren.»

Auf unserer Fahrt treffen wir mehrmals auf Einsatzkräfte der Border Patrol. Es sei ein kollegiales Zusammenarbeiten, meint Guerin. Darauf legt auch Sheriff Chris Nanos grossen Wert. Der Endsechziger ist in Pima County für die Rettung und Bergung der Menschen in der Wüste verantwortlich. Für ihn sei das Problem an der Grenze eine rein politische Frage. Man könne sie lösen, wenn man denn wolle. «Vielleicht sollten wir uns unsere Einwanderungspolitik genauer ansehen. Es gibt hier Menschen, die seit 30, 40, 50 oder mehr Jahren in diesem Land leben und die keine Kriminellen, keine schlechten Menschen sind. Sie sind unsere Nachbar*innen. Wie wäre es, wenn der Prozess, um legal ins Land zu kommen und die Staatsbürgerschaft zu erlangen, nicht 5 bis 10 Jahre, sondern 12 Monate dauern würde?»

Die Grenzen dicht machen und Migrant*innen um jeden Preis von den USA fernhalten. Das war schon während der ersten Präsidentschaft Donald Trumps Credo.  2020 besuchte Präsident Donald Trump mit dem Chef der US-Grenzschutzbehörde, Rodney Scott, die Grenzmauer in der Nähe von Yuma, Arizona. © Everett Collection/IMAGO

Die Angst geht um

Solche Worte würde man im kalifornischen Farmland gerne hören. Am Cesar Chavez Day, dem 31. März, kamen in Delano, dem Herzen der kalifornischen Landwirtschaftsregion, weit über 5000 Menschen zusammen, um gegen die Regierung Trump zu demonstrieren. «Stand with immigrant workers» war der gemeinsame und lautstarke Ruf der Farmarbeiter*innen und von Gewerkschaften, die ihre Solidarität mit der Gewerkschaft United Farm Workers of America Union (UFW) bekunden wollten.

Vorausgegangen waren erste Verhaftungen der Immigrationspolizei ICE in genau diesem Bezirk, Kern County. Man wolle Angst verbreiten, so Antonio De Loera-Brust, Sprecher der UFW. «In Kern County arbeiten wahrscheinlich fast hunderttausend Landarbeiter* innen, gut die Hälfte von ihnen Arbeitspapiere. Die Immigrationspolizei hat etwa 200 festgenommen, von denen wahrscheinlich 70 bis 80 abgeschoben wurden. Das ist ein sehr kleiner Prozentsatz der hiesigen Landarbeiter*innen – ich möchte damit den Schmerz, die Trauer und das Trauma, das diese Familien durchmachen mussten, keineswegs herunterspielen. Für die meisten anderen Farmarbeiter*innen hatte das vor allem Angst zur Folge.»

Angst hat auch Ronaldo aus Guatemala, der im Protestzug mitmarschiert, anfangs mit dem Reporter aber nicht reden will. Doch dann meint er, er sei seit 16 Jahren in den USA. Arbeite hart, habe sich hier ein Leben aufgebaut, eine Frau, zwei Kinder: «Wir alle haben Angst, dass wir nun verhaftet und abgeschoben werden. Aber ich muss ja arbeiten. Ich muss meine Miete zahlen, für meine Kinder sorgen.» Er habe lange überlegt, ob er an diesem Protestzug mitmarschieren solle. Aber verstecken bringe nichts, sagt er und lächelt.

«Diese Kultur der Angst verschlechtert in Wirklichkeit die Arbeitsbedingungen und Löhne nicht nur für Arbeiter*innen ohne Aufenthaltspapiere, sondern für alle Menschen in dieser Branche.» Antonio De Loera-Brust, Sprecher der United Farm Workers of America Union (UFW)

Antonio De Loera-Brust ergänzt: «Was uns Sorgen bereitet, ist, dass Arbeiter*innen aus Angst vor einer Abschiebung weniger bereit sind, über Lohndiebstahl, unsichere Arbeitsbedingungen und andere Verstösse gegen das Arbeitsrecht zu sprechen. Diese Kultur der Angst verschlechtert in Wirklichkeit die Arbeitsbedingungen und Löhne nicht nur für Arbeiter*innen ohne Aufenthaltspapiere, sondern für alle Menschen in dieser Branche.»

Auch der evangelische Pfarrer Ben Daniel, der der kleinen Montclair Presbyterian Church in Oakland vorsteht, kennt diese Angst in seiner Gemeinde. Diese mischt sich schon seit Jahren mutig ein und benennt soziales Unrecht. Schon zu Donald Trumps erster Amtszeit hatte die Gemeinde einer «undocumented family», einer Familie ohne Aufenthaltsstatus, Unterschlupf gewährt. Ein Akt der Nächstenhilfe, sagt der Pfarrer. Doch nun? «Die Angst ist real», sagt Ben Daniel. «Auch ich habe Angst, es ist nur eine Frage der Zeit, bis progressive Christ*innen ins Visier dieser Administration geraten. Und ich weiss nicht, was dann geschehen wird.»

Eine Frau grüsst am Muttertag Familienangehörige auf der anderen Seite der Mauer. Ihre Verwandten haben keine Möglichkeit, zu ihr in die USA zu gelangen. El Paso, Texas, USA, am 10. Mai 2025. © Eduard Ribas / Imago

Der Pastor sieht die Kirchen in Zeiten wie diesen in einer historischen Verantwortung: «Presbyterianer*innen wie ich und andere progressive Christ*innen wissen, dass die Geschichte über uns richten wird. So wie über die Rolle der Kirchen in Nazi-Deutschland oder im amerikanischen Süden während der Sklaverei geurteilt wird. Die Menschen werden uns dereinst fragen: ‚Was habt ihr getan?‘»

Er spricht das allwöchentlich in seinen Predigten an, wissend, dass er damit in Schwierigkeiten geraten kann. «Genau deshalb muss ich als Pastor weiterhin meine Stimme erheben. Andere werden gefeuert, verhaftet, inhaftiert und abgeschoben, alles ohne ordnungsgemässes Verfahren», sagt Daniel. «Diejenigen von uns, die noch dazu in der Lage sind, müssen ihre Kanzeln, ihre Publikationen, ihre sozialen Medien, ihre Blogs, ihre Autoaufkleber und was auch immer nutzen. Wir müssen unsere Stimme erheben, solange wir können, um ein gewisses Mass an Vernunft in unseren Gemeinden zu bewahren.»