Der englischsprachige Bericht «‘What I Saw Is Death‘: War Crimes in Mozambique’s Forgotten Cape» dokumentiert die schwerwiegenden Verstösse aller drei Akteure gegen das humanitäre Völkerrecht. Die Menschenrechtsverletzungen sind so gravierend, dass in der Provinz Tod und Zerstörung allgegenwärtig sind. Als Folge dieser humanitären Krise mussten mehr als eine halbe Million Menschen fliehen.
«Die Bevölkerung von Cabo Delgado ist zwischen den mosambikanischen Sicherheitskräften, dem privaten Militärunternehmen DAG, das an Seite der Regierung kämpft, und der bewaffneten Oppositionsgruppe al-Shabaab gefangen. Alle drei Gruppierungen achten weder das Recht auf Leben noch das Kriegsrecht» , sagte Deprose Muchena, Regionaldirektor für das östliche und südliche Afrika bei Amnesty International.
«Alle drei Akteure haben Kriegsverbrechen begangen und sind für die Tötungen von Hunderten Zivilpersonen verantwortlich.» Deprose Muchena, Regionaldirektor für das östliche und südliche Afrika bei Amnesty International
«Alle drei Akteure haben Kriegsverbrechen begangen und sind für die Tötungen von Hunderten Zivilpersonen verantwortlich. Die internationale Gemeinschaft hat es versäumt, diese Krise rechtzeitig anzugehen. Währenddessen hat sie sich in den letzten drei Jahren zu einem ausgewachsenen bewaffneten Konflikt entwickelt.»
«Wir fordern alle Konfliktparteien auf, die Angriffe auf die Zivilbevölkerung umgehend einzustellen. Die mosambikanische Regierung muss ausserdem die von uns aufgedeckten Kriegsverbrechen dringend untersuchen.»
Der Bericht stützt sich auf Befragungen von 79 Binnenvertriebenen aus 15 Gemeinden. Er beleuchtet hauptsächlich die Gewalt in Cabo Delgado, die seit einem Grossßangriff von al-Shabaab im Distrikt Mocímboa da Praia im März 2020 massiv zugenommen hat.
Gräueltaten der al-Shabaab
Angehörige der mosambikanischen Gruppe al-Shabaab – die keine Verbindungen zu der gleichnamigen Gruppe in Somalia unterhält – töteten bei mehreren von Amnesty International dokumentierten Angriffen gezielt Zivilpersonen, brannten Dörfer und Städte nieder und verübten, mit Macheten bewaffnet, Gräueltaten. Sie enthaupteten zahlreiche Menschen und schändeten Leichen.
Ende März 2020 fiel al-Shabaab in die Stadt Quissanga ein und entführte im Zuge des Angriffs mehrere Jugendliche.
Viele der binnenvertriebenen Mädchen und jungen Frauen gaben an, wegen der unmittelbaren Gefahr einer Entführung, Inhaftierung, Vergewaltigung oder Zwangsheirat mit al-Shabaab-Kämpfern geflohen zu sein.
Eine der von Amnesty International befragten Frauen war im siebten Monat schwanger, als sie am 23. Juli 2020 bei einem Angriff auf einen Bus im Dorf Nguida angeschossen wurde. Die al-Shabaab-Kämpfer befahlen allen Fahrgästen auszusteigen und richteten sie anschliessend hin. Die Frau wurde liegengelassen und sollte dort verbluten. Sie überlebte jedoch und brachte zwei Monate später ihr Kind zur Welt. Ihr Ehemann wurde bei dem Angriff getötet.
Gewalt der Regierungskräfte
Im Zuge der Verfolgung von Personen, die verdächtigt wurden, mit al-Shabaab in Verbindung zu stehen, haben auch die Sicherheitskräfte der Regierung grausame Angriffe auf die Zivilbevölkerung verübt. Angehörige der mosambikanischen Armee und Polizei führten aussergerichtliche Hinrichtungen durch, folterten oder misshandelten Zivilpersonen. Auch sie verstümmelten Leichen.
Drei Tage nach dem ersten Angriff auf Quissanga nahmen die mosambikanischen Sicherheitskräfte mehrere Zivilpersonen fest, die sie für al-Shabaab-Unterstützer hielten. Die Sicherheitskräfte legten den Männern Augenbinden an und erschossen sie, ehe sie ihre Leichen in ein Massengrab warfen.
Im darauffolgenden Monat entführten die mosambikanischen Sicherheitskräfte mehrere Frauen, brachten sie zu einem nahegelegenen Militärstützpunkt und vergewaltigten sie. An diesem Ort wurden auch Männer festgehalten, geschlagen und hingerichtet.
Die mosambikanischen Regierungskräfte haben versagt, ihrer Verpflichtung zum Schutz der Zivilbevölkerung vor Angriffen, Tötungen, Entführungen und anderen Gräueltaten von al-Shabaab nachzukommen.
Die Dyck Advisory Group
Nachdem die Sicherheitskräfte der Regierung einige Niederlagen gegen al-Shabaab erlitten hatten, beauftragte die Regierung Mosambiks das private südafrikanische Militärunternehmen Dyck Advisory Group (DAG). Die Söldnertruppe sollte die Regierungskräfte mit ihren bewaffneten Helikoptern unterstützen.
Angehörige der DAG mit Maschinengewehren aus Helikoptern und warfen wahllos Handgranaten in Menschenmengen
Laut 53 der von Amnesty International befragten Zeug*innen feuerten Angehörige der DAG mit Maschinengewehren aus Helikoptern und warfen wahllos Handgranaten in Menschenmengen. Ausserdem nahmen sie wiederholt die zivile Infrastruktur unter Beschuss, so beispielsweise Spitäler, Schulen oder Wohnhäuser.
Während eines Angriffs auf die Stadt Mocímboa im Juni 2020 zerstörten Helikopter der DAG ein Spital, weil sich al-Shabaab-Kämpfer in der Einrichtung versteckt hielten.
«Die von Amnesty International gesammelten Zeugenaussagen offenbaren ein Muster von wiederholten rücksichtslosen Angriffen der Dyck Advisory Group», sagte Deprose Muchena.
«Die DAG hat klar gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen, indem sie wahllos in Menschenmengen gefeuert, zivile Infrastruktur zerstört und keinen Unterschied zwischen militärischen und zivilen Zielen gemacht hat.» Deprose Muchena, Direktor von Amnesty International für das östliche und südliche Afrika
Der Konflikt in Cabo Delgado
Die Provinz Cabo Delgado wird seit Jahren von der Regierung vernachlässigt. Dieses Problem hat sich durch Naturkatastrophen und mit der Ausbreitung von Covid-19 noch verschärft. Seit eines Angriffs von al-Shabaab im Oktober 2017 auf die nördliche Hafenstadt Mocímboa da Praia spitzen sich die Kämpfe immer weiter zu.
Die Nichtregierungsorganisation Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED) schätzt die Zahl der zivilen Todesopfer, die der Konflikt bisher gefordert hat, auf über 1300 Personen. Einer Schätzung der Vereinten Nationen zufolge sind mehr als 530'000 Menschen innerhalb von Cabo Delgado vertrieben worden – das ist ein Viertel der Gesamtbevölkerung der Provinz. Laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) sind rund 250'000 der Vertriebenen Kinder.