Blick durch die Windschutzscheibe eines gepanzerten Mannschaftswagens während einer AMISOM-Routinepatrouille in der Stadt Qoryooley, Region Lower Shabelle, Somalia, am 29. April 2014. © Privat
Blick durch die Windschutzscheibe eines gepanzerten Mannschaftswagens während einer AMISOM-Routinepatrouille in der Stadt Qoryooley, Region Lower Shabelle, Somalia, am 29. April 2014. © Privat

Somalia Zivile Opfer und mögliche Kriegsverbrechen durch US-Drohnen- und Luftangriffe

Medienmitteilung 20. März 2019, London/Bern – Medienkontakt
Die US-Militärschläge gegen die islamistische al-Shabaab-Miliz in Somalia haben sich unter der Regierung Trump verdreifacht. Nun legen Recherchen von Amnesty International erstmals stichhaltige Beweise vor, dass die Luftangriffe zahlreiche zivile Opfer gefordert haben. Hinweise auf Verletzungen des humanitären Völkerrechts und mögliche Kriegsverbrechen verdichten sich.

Im Bericht «The Hidden US War in Somalia» untersuchte Amnesty International fünf der insgesamt mehr als 100 US-Drohnen- und Luftangriffe der letzten beiden Jahre. Allein bei diesen fünf Angriffen mit Reaper-Drohnen und bemannten Flugzeugen sind in der von der al-Shabaab kontrollierten Region Lower Shabelle ausserhalb der Hauptstadt Mogadischu 14 Zivilpersonen ums Leben gekommen.

Diese Luftangriffe haben mutmasslich gegen das humanitäre Völkerrecht verstossen und einige von ihnen können möglicherweise als Kriegsverbrechen eingestuft werden. Amnesty International legte der US-Kommandozentrale für Afrika (AFRICOM) ihre Rechercheergebnisse vor, woraufhin diese erneut abstritt, dass durch die Militäreinsätze in Somalia Zivilpersonen getötet worden seien.

«Die Tatsache, dass nach unseren Erkenntnissen in weniger als einem halben Dutzend Luftangriffen zahlreiche Zivilpersonen getötet wurden, deutet darauf hin, dass die Geheimhaltung der USA bezüglich ihrer Rolle im Somalia-Konflikt einem Klima der Straflosigkeit Vorschub leistet», so Brian Castner, Amnesty-Experte für Waffen und Militäreinsätze.

«Die Ergebnisse unserer Recherchen stehen im direkten Gegensatz zu den Angaben des US-Militärs, das steif und fest behauptet, es gäbe in Somalia keine zivilen Todesopfer.» Brian Castner, Amnesty-Experte für Waffen und Militäreinsätze. 

«Die Ergebnisse unserer Recherchen stehen im direkten Gegensatz zu den Angaben des US-Militärs, das steif und fest behauptet, es gäbe in Somalia keine zivilen Todesopfer. Diese Behauptungen erscheinen auch deshalb fragwürdig, da die USA seit 2016 die Zahl der Luftangriffe in Somalia verdreifacht hat – sie führen nun in Somalia mehr Militärschläge durch als in Libyen und im Jemen zusammen.»

Ein Rechercheteam von Amnesty International führte mehr als 150 Gespräche mit AugenzeugInnen, Familienangehörigen und Binnenvertriebenen in Somalia und befragte Expertinnen und Experten, darunter auch Angehörige des US-Militärs. Zudem analysierte die Organisation unterstützendes Beweismaterial wie zum Beispiel Satellitenbilder, Munitionsfragmente und fotografische Aufnahmen im Nachgang von Luftangriffen.

«Breit gefasster Tötungsauftrag»

Die Anzahl US-amerikanischer Militärschläge in Somalia ist in die Höhe geschnellt, nachdem Präsident Trump am 30. März 2017 ein Dekret unterzeichnete, das Somalia als «Gebiet aktiver Kampfhandlungen» ausweist.

Von April bis Dezember 2017 verübten US-Truppen in Somalia 34 Militärschläge – das sind mehr als im gesamten Zeitraum 2012-2016. Im Jahr 2018 stieg diese Zahl nochmals an, und zwar auf 47. Allein im Januar und Februar 2019 sind bereits 24 Militärschläge verübt worden.

Von April bis Dezember 2017 verübten US-Truppen mehr Militärschläge als im gesamten Zeitraum 2012-2016.

Laut Angaben eine ehemaligen Brigadegenerals, mit dem Amnesty International gesprochen hat, muss das US-Militär mit zunehmender Zahl der Luftangriffe weniger Anstrengungen unternehmen, um zu gewährleisten, dass keine Zivilpersonen getötet werden. Der General ist überdies der Ansicht, dass das Präsidentendekret von 2017 das Netz potenzieller Militärziele dahingehend ausgeweitet hat, dass es nun so gut wie alle erwachsenen Männer umfasst, die in der Nähe von bekannten Kämpfern gesichtet werden und in Dörfern wohnen, die Al-Shabaab nahestehen. Ein derart breit gefasster Tötungsauftrag würde gegen die Genfer Konventionen über den Schutz der Zivilbevölkerung in militärischen Konflikten verstossen.

US-Kommando streitet jegliche zivile Opfer ab

So verkündete AFRICOM beispielsweise nach einem Angriff auf das kleine Dorf Farah Waeys, dass «alle verletzten oder getöteten Personen Mitglieder oder Anhänger von al-Shabaab» gewesen seien. Amnesty International dokumentierte jedoch, dass zusätzlich zu der Tötung von Mitgliedern oder Anhängern von al-Shabaab auch noch zwei männliche Zivilpersonen getötet und fünf Frauen und Kinder verletzt wurden.

In einem anderen Fall wurden bei einem US-Militärschlag auf Ackerflächen in der Nähe des Dorfes Darusalaam am frühen Morgen des 12. November 2017 drei vor Ort lebende Bauern getötet. Die Männer ruhten sich gerade aus, nachdem sie bis spät in die Nacht Bewässerungskanäle ausgehoben hatten. Um etwa drei Uhr morgens wurden sie ohne Vorwarnung aus der Luft angegriffen. DorfbewohnerInnen, die im Morgengrauen die Leichen der getöteten Männer bargen, beschrieben deren entsetzlich verstümmelte Körper.

Amnesty International hat fotografische Aufnahmen der Leichen analysiert und festgestellt, dass diese sich mit den Zeugenaussagen decken. Zwei der Männer waren stark entstellt. Ein Geschützfragment war in die Stirn des ersten Mannes eingedrungen und hatte seinen Schädel verformt. Seine Unterarme waren nach hinten gerissen und bis auf einen dünnen Hautfetzen fast gänzlich abgetrennt worden. Der zweite Mann hatte zahlreiche Geschützfragmente im Gesicht, im Hals und in der Brust. Der dritte Mann wies eine grosse Wunde an der Seite des Körpers auf sowie eine kleine Wunde am Kopf, genau über dem rechten Auge.

«Die US-Regierung muss sicherstellen, dass alle glaubwürdigen Vorwürfe über zivile Opfer angemessen untersucht werden. Die für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen und die Opfer und Überlebenden entschädigt werden», fordert Ella Knight, Expertin für Militär-, Sicherheits- und Polizeithemen bei Amnesty International.