Die Frauen in Afghanistan werden zum Schweigen gebracht. Doch ich werde nicht verstummen und erhebe weiterhin meine Stimme. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Welt und besonders die Schweiz den afghanischen Frauen zuhört und aktiv wird. Während der 16 Tage gegen Gewalt erneuere ich mein Versprechen, mich für ihre Rechte einzusetzen und rufe die Schweiz, ein Land, das für Menschlichkeit und Gerechtigkeit steht, dazu auf, Massnahmen zu ergreifen, um afghanische Frauen zu schützen.
Als Frauenrechtsaktivistin bin ich den Frauen in Afghanistan nach wie vor sehr verbunden. Aus der Praxis weiss ich, dass die Realität weitaus schlimmer ist, als in den Medien und internationalen Berichten dargestellt wird. Seit ihrer Rückkehr an die Macht haben die Taliban fast 190 Gesetze erlassen, von denen 113 speziell auf die Einschränkung der Rechte von Frauen abzielen.
Diese Gesetze haben jeden Lebensbereich der Frauen eingeschränkt. An ihrem zweiten Tag an der Macht haben die Taliban das Ministerium für Frauenangelegenheiten geschlossen. Innerhalb von zwei Wochen haben sie NGOs geschlossen, die Frauen unterstützt haben, ohne ihre Programme und Ziele überhaupt zu bewerten. Lediglich das Wort «Frau» im Namen der Organisation war genug für eine Schliessung.
Auch die Bildung wurde massiv eingeschränkt. Reine Mädchenschulen und Gymnasien wurden geschlossen, und nachdem zunächst strikte Geschlechtertrennung in Universitäten eingeführt wurde, wurde Frauen der Zutritt schliesslich vollständig verboten.
Die meisten der Frauen haben ihre Arbeitsstellen verloren, mit Ausnahmen von einigen im Gesundheits- oder Bildungsbereich Tätigen, die extremer Überwachung ausgesetzt sind. Weibliche Angestellte müssen eine Vollburka, Handschuhe und Gesichtsbedeckung tragen. Ein Verstoss gegen diese Vorschriften führt zur sofortigen Entlassung.
Frauen ist es zudem untersagt, ein Geschäft zu besitzen, oder auf der Strasse Handel zu betreiben. Schönheitssalons, Fitnessstudios, Parks und kulturelle Veranstaltungen wie das Neujahrs- und Frühlingsfest Nowruz und der Internationale Frauentag sind verboten.
Auch die Bewegungsfreiheit der Frauen ist stark eingeschränkt. Frauen können ihr Zuhause nicht ohne einen männlichen Verwandten verlassen und dürfen ohne Begleitung keine Taxis nutzen oder zum Arzt gehen. Frauen wird zudem kein Führerschein mehr ausgestellt, was ihre Unabhängigkeit weiter einschränkt.
Die so genannte «Tugend- und Sittenpolitik» der Taliban ermächtigt die religiöse Polizei, Frauen willkürlich zu bestrafen. In vielen Gebieten werden Frauen ohne Gerichtsverfahren öffentlich ausgepeitscht, weil sie vermeintliche Verbrechen begangen haben, wie das Tragen von Jeans unter ihren langen Mänteln oder die Flucht aus missbräuchlichen Haushalten. Witwen werden unter dem Vorwand, dass Frauen nicht allein leben können, zur Heirat mit Taliban-Soldaten gezwungen. In der Zwischenzeit wird die Polygamie aktiv gefördert, und Zweit- oder Dritthochzeiten von Taliban-Mitgliedern werden in den sozialen Medien zur Schau gestellt.
Wie kann die Schweiz afghanische Frauen unterstützen?
Dies ist geschlechterspezifische Apartheid in ihrer brutalsten Form. Die afghanischen Frauen werden aus der Gesellschaft ausgeschlossen, ihre Rechte werden unter dem Deckmantel des religiösen Rechts mit Füssen getreten.
Die Schweiz setzt sich seit langem für die Menschenrechte ein. Die afghanischen Frauen brauchen diese Solidarität jetzt mehr denn je. Ich fordere die Schweiz dazu auf:
- humanitäre Visa an Aktivist*innen und Frauen in erheblicher Gefahr durch die Taliban zu vergeben.
- afghanische Männer und Jungen in der Schweiz durch Familienzusammenführung zu unterstützen und ihren weiblichen Angehörigen zu ermöglichen, der Verfolgung zu entkommen.
- die Behandlung von Frauen durch die Taliban als geschlechtsspezifische Apartheid anzuerkennen und Rechenschaft vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu fordern.
- den diplomatischen Druck auf die Taliban zu erhöhen, damit sie die grundlegenden Menschenrechte, insbesondere die Rechte der Frauen, achten.
- finanzielle Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die afghanischen Frauen rechtliche, soziale und psychologische Hilfe anbieten, zu gewährleisten.
- Stipendien für afghanische Studentinnen zu erlassen, die dazu gezwungen waren, ihre Ausbildung zu unterbrechen, sodass sie ihr Studium fortsetzen und ihre Zukunft neu gestalten können.
Afghanische Frauen erwarten keine Almosen – sie fordern Gerechtigkeit und Solidarität. Ich träume von einer Welt ohne Gewalt, in der afghanische Frauen ihre Stimme ohne Angst erheben können.