«Die Ankündigung des Anklägers des Internationalen Strafgerichtshofs IStGH gibt den verfolgten afghanischen Frauen, Mädchen und LGBTI* Personen Hoffnung. Es ist ein entscheidender Schritt, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die mutmasslich verantwortlich sind, dass Menschen wegen ihres Geschlechts die Grundrechte auf Bildung, Bewegungsfreiheit und freie Meinungsäusserung, auf Privat- und Familienleben, auf Versammlungsfreiheit sowie auf körperliche Unversehrtheit und Autonomie entzogen wird», sagte Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International.
Amnesty International fordert die internationale Gemeinschaft zudem dazu auf, die Geschlechterapartheid als Verbrechen nach internationalem Recht anzuerkennen. Damit könnte die systematische Unterdrückung und Herrschaft aufgrund des Geschlechts wirksamer bekämpft werden.
«Der Ankläger des IStGH hat eingeräumt, dass die Anklagepunkte nur einen Bruchteil der Gewalt umfassen, die die seit mehr als zwei Jahren inganz Afghanistan stattgefunden hat und einen Grossteil der Bevölkerung betrifft. Es ist Aufgabe des IStGH und der gesamten internationalen Gemeinschaft, die Bemühungen zur Bekämpfung der Verfolgung aufgrund des Geschlechts und anderer in Afghanistan begangener Verbrechen nach dem Völkerrecht dringend zu verstärken», so Agnès Callamard.
«Wir fordern den Ankläger des IStGH nachdrücklich auf, seine Ermittlungen in Afghanistan auch auf alle schweren Verstösse ab Mai 2003 auszudehnen, die als Völkerrechtsverbrechen gelten, darunter aussergerichtliche Tötungen, Folter und andere Misshandlungen, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, erzwungenes Verschwindenlassen, Massaker an Zivilist*innen und die anhaltenden systematischen und weit verbreiteten Angriffe des so genannten Islamischen Staates der Provinz Khorasan gegen die ethnische Gruppe der Hazara und andere religiöse Minderheiten.»
«Amnesty International fordert den Ankläger des IStGH ausserdem auf, seine Entscheidung aus dem Jahr 2021 zu überdenken, die Ermittlungen zu Kriegsverbrechen herunterzustufen, die mutmasslich vom US-Militär, CIA-Mitarbeiter*innen und anderen internationalen Streitkräften, die im Land präsent waren, sowie vom ehemaligen afghanischen Sicherheitsapparat begangen wurden. Diese Entscheidung birgt die Gefahr, dass der Eindruck eines selektiven Vorgehens der internationalen Justiz entsteht, bei dem die Interessen mächtiger Staaten und ihrer Verbündeten Vorrang vor dem Recht der Opfer auf Gerechtigkeit haben», sagte Agnès Callamard.
Hintergrund
Am 23. Januar gab die Anklagebehörde des IStGH in einer Erklärung bekannt, dass sie Haftanträge gegen Führer der Taliban in Afghanistan gestellt hat. Diese werden nun von Richter*innen der Vorverfahrenskammer des IStGH geprüft. Das Büro des Chefanklägers gab ausserdem bekannt, dass die Ermittlungen noch andauern. Dies bedeutet, dass weitere Anträge, sowohl für andere Personen als auch für andere mutmassliche Straftaten, folgen könnten.
Im Jahr 2023 veröffentlichte Amnesty International den Bericht «The Taliban's war on women» über das Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Verfolgung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts in Afghanistan. Der Bericht von 2022, «Death in Slow Motion: Women and Girls Under Taliban Rule», dokumentiert auch die weit verbreiteten, systematischen und vorsätzlichen Angriffe der Taliban auf die Rechte von Frauen, zusammen mit der Anwendung von Folter und anderen Misshandlungen und dem Verschwindenlassen von Personen. Die diskriminierenden Einschränkungen der Rechte von Frauen und Mädchen betreffen alle Bereiche ihres Lebens und sind durch die Politik, Entscheidungen und Gesetze der Taliban institutionalisiert.