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Im 160-seitigen Bericht mit dem Titel «Als wären wir Feinde im Krieg‘: Chinas Masseninternierung, Folter und Verfolgung von Muslim*innen in Xinjiang» beschreiben über 50 ehemalige Inhaftierte die extremen Massnahmen, mit denen seit 2017 die religiösen Traditionen, kulturellen Praktiken und lokalen Sprachen der muslimischen Minderheiten in der Region durch die chinesischen Behörden ausgemerzt werden.
Ehemalige Inhaftierte machen in dem Bericht neue und schockierende Angaben über umfangreiche Folter, Gehirnwäsche und Erniedrigung in Internierungslagern in Xinjiang. Amnesty International fordert die sofortige Schliessung dieser Lager und beruft sich auf mehr als 60 detaillierte Fälle von Personen, die dort gegenwärtig festgehalten werden.
Folter und andere Misshandlungen sind an der Tagesordnung und alle Aspekte des täglichen Lebens werden reglementiert.
Die chinesischen Behörden haben in Xinjiang ein ausgeklügeltes Überwachungssystem kreiert und ein grosses Netzwerk von Hunderten «Einrichtungen für Transformation durch Erziehung» geschaffen. Bei diesen «Umerziehungslagern» handelt es sich in Wirklichkeit um Internierungslager. Folter und andere Misshandlungen sind an der Tagesordnung und alle Aspekte des täglichen Lebens werden reglementiert, um durch Zwang eine säkulare, homogene «chinesische Nation» zu schaffen und die Ideale der kommunistischen Partei durchzusetzen, wie sie von Staatspräsident Xi Jinping propagiert werden. Unter dem Deckmantel der «Terrorismusbekämpfung» geraten Angehörige der uigurischen, kasachischen, hui-chinesischen, kirgisischen, usbekischen und tadschikischen Minderheiten ins Visier.
Satellitenbild der neuen Anlage westlich von Karamay mit einer äusseren und inneren Ummauerung. Im Süden befindet sich eine Hochsicherheitsanlage.
© 2021 Planet Labs, Inc.
«Dystopische Schreckensherrschaft»
«Die chinesischen Behörden haben in der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang eine dystopische Schreckensherrschaft etabliert», so Agnès Callamard, Internationale Generalsekretärin von Amnesty International.
«An Uigur*innen, Kasach*innen und andere muslimische Minderheiten werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. Ihre religiöse und kulturelle Identität könnte ausgelöscht werden.
Es sollte alle Menschen auf der Welt berühren, dass unzählige Personen in Internierungslagern in Xinjiang einer Gehirnwäsche unterzogen werden und Folter und anderer erniedrigender Behandlung ausgesetzt sind, sowie dass Millionen weiter sich in einem strengen Überwachungsapparat nur in ständiger Furcht bewegen können.»
Masseninhaftierung und Folter
Der Amnesty-Bericht dokumentiert, dass seit Anfang 2017 in Xinjiang unzählige Angehörige der meist muslimischen Minderheiten willkürlich inhaftiert werden. Hierzu zählen nicht nur Hunderttausende – möglicherweise sogar mehr als eine Million – Personen in Internierungslagern, sondern auch Hunderttausende Menschen, die in Gefängnissen inhaftiert wurden.
Amnesty International hat mit mehr als 50 ehemaligen Inhaftierten gesprochen, die alle offensichtlich wegen Handlungen festgenommen wurden, die kein Delikt darstellen – zum Beispiel wegen Besitzes eines religiösen Bildes oder wegen Kommunikation mit einer Person im Ausland.
Die meisten von Amnesty International interviewten Überlebenden wurden zunächst auf Polizeiwachen vernommen. Häufig mussten sie zum Verhör auf sogenannten «Tigerstühlen» sitzen, Stahlstühlen mit Hand- und Fussfesseln, die für schmerzhafte Körperhaltungen sorgen. In den Polizeistationen werden die Inhaftierten routinemässig geschlagen, in enge Zellen gepfercht und mit Schlafentzug gefoltert. Einige gaben an, man habe ihnen während der Vernehmung eine Kapuze über den Kopf gezogen und Hand- bzw. Fussfesseln angelegt. Vor der Verlegung in ein Lager unterzog man sie einem medizinischen Test, nahm ihre biometrischen Daten auf, fertige Röntgenaufnahmen und entnahm ihnen Blutproben.
Alle Augenzeug*innen, mit denen Amnesty International gesprochen hat, berichteten über Folter und andere Misshandlungen.
In den Lagern wurden sie weiter gequält und misshandelt. Alle Augenzeug*innen, mit denen Amnesty International gesprochen hat, berichteten über Folter und andere Misshandlungen. Sie erlitten nicht nur körperliche Folter in Form von Schlägen, Elektroschocks, Einzelhaft, Fesselung sowie Wärme-, Nahrungsmittel-, Wasser- und Schlafentzug, sondern litten überdies auch danach unter den kumulativen psychischen Folgen dieser täglichen entmenschlichenden Praktiken. Einige gaben an, 24 Stunden lang oder noch länger an einen «Tigerstuhl» gefesselt gewesen zu sein.
Eine ältere Frau wurde bestraft, weil sie sich für einen Zellengenossin eingesetzt hatte. Sie erzählte, dass sie in einen kleinen, dunklen, kalten und fensterlosen Raum gebracht worden sei, wo sie an Händen und Füssen gefesselt war und drei Tage lang auf einem eisernen Stuhl sitzen musste.
Zwei ehemalige Häftlinge sagten, sie seien gezwungen worden, schwere Fesseln zu tragen – in einem Fall ein ganzes Jahr lang. Andere beschrieben, dass sie mit Elektrostöcken geschlagen oder mit Pfefferspray besprüht worden seien.
Einige Häftlinge berichteten, sie seien mehrfach gefoltert worden, während andere gezwungen worden seien, dabei zuzusehen. Amnesty International erfuhr von einem Fall, in dem ein Häftling vermutlich daran starb, dass er 72 Stunden lang vor den Augen seiner Zellengenossen in einem «Tigerstuhl» gefesselt war.
Überwachungsstaat
Wer aus einem Lager freikommt, wird mindestens einige Monate lang beinahe rund um die Uhr elektronisch und durch Beschattung überwacht. Unter anderem setzt die Regierung ein sogenanntes «Homestay»-Programm um, in dem Staatsangestellte mit ehemaligen Inhaftierten unter einem Dach leben und jegliches «verdächtige» Verhalten melden. Als «verdächtig» gelten zum Beispiel friedliche religiöse Praktiken, die Nutzung nicht autorisierter Kommunikationssoftware (beispielsweise VPNs oder WhatsApp) sowie der Einkauf von «ungewöhnlichen» Mengen Benzin oder Elektrizität.
Ehemalige Inhaftierte werden zudem stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. In den Strassen patrouillieren Sicherheitskräfte in grosser Zahl und es gibt Tausende Kontrollpunkte, die euphemistisch als «zweckmässige Polizeiwachen» bezeichnet werden.
Das Schicksal Hunderttausender Inhaftierter ist unbekannt.
Die chinesische Regierung unternimmt ausserordentliche Anstrengungen, ihre Verstösse gegen internationale Menschenrechtsnormen in Xinjiang zu vertuschen. Wer sich öffentlich dazu äussert, wird von den Behörden bedroht, inhaftiert und misshandelt. Das Schicksal Hunderttausender Inhaftierter ist unbekannt.
«China muss umgehend die Internierungslager schliessen und alle willkürlich inhaftierten Menschen entlassen – auch diejenigen, die in Gefängnissen inhaftiert sind. Die systematischen Attacken gegen Menschen muslimischen Glaubens in Xinjiang müssen aufhören», forderte Agnès Callamard.
«Die internationale Gemeinschaft muss ihre Stimme erheben und geschlossen handeln, um dieser abscheulichen Situation ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Die Vereinten Nationen müssen dringend einen unabhängigen Untersuchungsmechanismus einrichten und nach Xinjiang entsenden, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, denen völkerrechtliche Verbrechen vorgeworfen werden.»
Zum Beispiel Hayrigul, Shattyq, Abiden, Rahile und Yiliyasijiang: Diese fünf Personen sind «verschwunden» oder werden willkürlich festgehalten, wie eine Million oder mehr andere Menschen in der Region Xinjiang
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Amnesty International verlangt die sofortigen Freilassung aller Menschen, die willkürlich in Internierungslagern und in Gefängnissen in Xinjiang festgehalten werden. Machen Sie mit und schreiben auch Sie einen Brief an Präsident Xi Jinping.