Zarina Khatun, 45 (links), und Nabi Hossain, 50, in ihrer Unterkunft im Kutupalong Flüchtlingslager in Bangladesch, 27. September 2017. © Andrew Stanbridge / Amnesty International
Zarina Khatun, 45 (links), und Nabi Hossain, 50, in ihrer Unterkunft im Kutupalong Flüchtlingslager in Bangladesch, 27. September 2017. © Andrew Stanbridge / Amnesty International

Myanmar Neue Beweise für Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Medienmitteilung 18. Oktober 2017, Bern – Medienkontakt
Mit einer systematischen Terrorkampagne haben die myanmarische Armee und Polizeikräfte in wenigen Wochen mehr als eine halbe Million Männer, Frauen und Kinder der Volksgruppe der Rohingya aus dem nördlichen Bundesstaat Rakhine vertrieben. In einem neuen Bericht legt Amnesty International Beweise vor, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen.

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Es ist an der Zeit, dass die Reaktion der internationalen Gemeinschaft über einen öffentlichen Aufschrei hinausgeht und die Gewaltkampagne beendet wird, die bereits mehr als die Hälfte der Rohingya-Bevölkerung aus Myanmar vertrieben hat. Durch die Einstellung der militärischen Zusammenarbeit, die Einführung eines Waffenembargos und gezielten Sanktionen gegen Personen, die für Missbräuche verantwortlich sind, muss die klare Botschaft übermittelt werden, dass die Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Bundesstaat Rakhine nicht toleriert werden.

Die internationale Gemeinschaft muss sicherstellen, dass das verwerfliche und völkerrechtswidrige Ziel einer ethnischen Säuberung nicht gelingt. Die internationale Gemeinschaft muss Bangladesch dabei unterstützen, angemessene Bedingungen und Asyl für Rohingya-Flüchtlinge bereitzustellen. Sie muss dafür zu sorgen, dass Myanmar die Menschenrechte der Rohingya respektiert, so dass diese freiwillig und würdig in ihr Land zurückzukehren können. Zudem muss Myanmar dazu gebracht werden, die eigentlichen Ursachen des Konflikts anzugehen und die systematische Diskriminierung der Rohingya zu beenden.

Systematische Terrorkampagne

Mit einer systematischen Terrorkampagne haben die myanmarische Armee und Polizeikräfte in wenigen Wochen über 530‘000 Männer, Frauen und Kinder der Volksgruppe der Rohingya aus dem Bundesstaat Rakhine vertrieben. Der Bericht ‘My World Is Finished’: Rohingya Targeted in Crimes against Humanity in Myanmar (‚Meine Welt ist zu Ende‘. Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Rohingya in Myanmar) zeigt auf, wie die myanmarischen Sicherheitskräfte mit systematischer Gewalt gezielt gegen die gesamte Volksgruppe der Rohingya im Norden des Bundesstaates vorgingen.

Der Terror begann, nachdem eine bewaffnete Gruppe von Rohingya am 25. August 2017 rund 30 Sicherheitsposten angegriffen hatte. Für die darauf folgenden Gewaltverbrechen von spezifischen Einheiten – darunter das westliche Kommando der Armee, die 33. leichte Infanteriedivision und die Grenzwachtpolizei – gibt es Dutzende von Augenzeugen.

Rache an einer Volksgruppe

«Die Sicherheitskräfte Myanmars haben sich in dieser orchestrierten Kampagne brutal an der gesamten Rohingya-Bevölkerung im Norden Rakhines gerächt; es gibt eine offensichtliche Absicht, sie für immer aus dem Land zu vertreiben. Diese Gräueltaten verursachen die schlimmste Flüchtlingskrise, die die Region seit Jahrzehnten erlebt hat», sagte Tirana Hassan, Leiterin der Crisis Response bei Amnesty International.

«Die Entlarvung dieser abscheulichen Verbrechen ist der erste Schritt auf dem langen Weg zu Gerechtigkeit. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Das burmesische Militär kann nicht einfach schwere Verletzungen unter den Teppich kehren, indem es eine weitere interne Scheinuntersuchung ankündigt. Der Oberbefehlshaber, Generaloberst Min Aung Hlaing, muss unverzüglich Massnahmen ergreifen, um seine Truppen daran zu hindern, weitere Grausamkeiten zu begehen.»

Die Beweislage ist erdrückend

Zeugenaussagen, Satellitenbilder und -daten sowie Foto- und Videobeweise, die von Amnesty International gesammelt wurden, führen zu derselben Schlussfolgerung: Hunderttausende von Rohingya-Frauen, -Männer und -Kinder wurden Opfer eines umfassenden und systematischen Angriffs, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommt.

Das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs listet 11 Arten von Handlungen auf, die, wenn sie wissentlich bei einem solchen Angriff begangen werden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Amnesty International hat in der aktuellen Gewaltwelle im Norden des Bundesstaates Rakhine mindestens sechs solche Fälle dokumentiert: Mord, Deportation und gewaltsame Vertreibung, Folter, Vergewaltigung und andere sexuelle Gewalt, Verfolgung und andere unmenschliche Handlungen, wie die Verweigerung von Nahrung oder sonstiger lebensrettender Versorgung.

Die geschilderten Fälle basieren auf Augenzeugenberichten von mehr als 120 Rohingya-Männern und Frauen, die in den letzten Wochen nach Bangladesch geflohen sind, sowie 30 Interviews mit medizinischen Fachkräften, Helfern, Journalisten und Beamten aus Bangladesch. Expertinnen und Experten von Amnesty International glichen die Zeugenaussagen mit der Analyse von Satellitenbildern und -daten sowie der Überprüfung von Fotos und Videos aus Rakhine ab.

Morde, Massaker und Vergewaltigungen

In den Stunden und Tagen nach den Anschlägen vom 25. August umringten burmesische Sicherheitskräfte, die manchmal von örtlichen Milizen begleitet wurden, Rohingya-Dörfer im gesamten nördlichen Teil von Rakhine. Als Frauen, Männer und Kinder aus ihren Häusern flohen, eröffneten die Soldaten und Polizisten meist das Feuer und töteten oder verletzten mindestens Hunderte von Menschen schwer. Danach setzten sie die Häuser in Brand.

Überlebende beschrieben, wie sie zu nahe gelegenen Hügeln und Reisfeldern rannten. Hier versteckten sie sich, bis die Truppen abzogen. Ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen konnten oft nicht fliehen und verbrannten in ihren Häusern. Dieses Muster wurde in Dutzenden Dörfern in den Gemeinden Maungdaw, Rathedaung und Buthidaung wiederholt.

Amnesty hat auch sieben Überlebende interviewt, die Opfer von Vergewaltigungen und schwerer Formen sexueller Gewalt wurden. Sie wurden zusammen mit anderen Frauen und Mädchen auf brutalste Art und Weise missbraucht und gefoltert, nachdem sie die Hinrichtung von Männern und älteren Knaben mitansehen mussten.