Symbolbild (nach Ablauf der Bildrechte vom Originalbild) © pixabay (Edar)
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Myanmar Facebook-Algorithmen haben Gewalt gegen Rohingya befördert − Meta muss Entschädigung zahlen

Medienmitteilung 29. September 2022, London/Bern – Medienkontakt
Die gefährlichen Algorithmen des Facebook-Inhabers Meta und dessen rücksichtslose Gewinnmaximierung haben wesentlich zu den Gräueltaten des myanmarischen Militärs gegen die ethnische Gruppe der Rohingya im Jahre 2017 beigetragen. Zu diesem Schluss kommt Amnesty International in einem neuen Bericht.

Der neue Bericht von Amnesty International «The Social Atrocity: Meta and the right to remedy for the Rohingya» (PDF englisch, 74 Seiten) zeigt, dass der Facebook-Inhaber Meta wusste, oder hätte wissen müssen, dass die Algorithmen von Facebook die Verbreitung von gegen Rohingya gerichteten Beiträgen in Myanmar stark vorangetrieben haben. Trotz dieses Wissens blieb das Unternehmen untätig.

Die ethnische Gruppe der Rohingya ist eine mehrheitlich muslimische Minderheit, die vornehmlich im nördlichen Bundesstaat Rakhine lebt. Im August 2017 flohen mehr als 700‘000 Rohingya aus Rakhine, als myanmarische Sicherheitskräfte in einer gezielten und grossangelegten Offensive systematisch Angehörige der Minderheit töteten, vergewaltigten und ihre Häuser niederbrannten. Dieser Gewalt waren eine jahrzehntelange staatlich gestützte Diskriminierung, Strafverfolgungsmassnahmen und Unterdrückung vorangegangen, die einem System der Apartheid gleichkommen.

Anti-Rohingya-Echokammer

Newsfeeds, Platzierungen, Empfehlungen und Gruppen-Funktionen werden bei Facebook durch ein interaktionsbasiertes Algorithmussystem betrieben, durch das bestimmt wird, was auf der sozialen Plattform sichtbar ist. Meta profitiert davon, wenn Nutzer*innen möglichst lange auf der Plattform aktiv sind, da in der Folge mehr Gewinn aus personalisierten Werbeanzeigen erzielt werden kann. Aufwiegelnde Inhalte – darunter auch solche, die Hass verbreiten und zu Gewalt, Feindseligkeit und Diskriminierung anstiften – sind eine wirksame Möglichkeit, Menschen dazu zu bewegen, mehr Zeit auf Facebook zu verbringen. Das Bewerben und Weiterverbreiten solcher Inhalte ist daher von grundlegender Bedeutung für das sich auf Überwachung stützende Geschäftsmodell von Facebook. 

In den Monaten und Jahren vor der Vertreibung der Rohingya fluteten Akteur*innen mit Verbindungen zum myanmarischen Militär und zu radikalen nationalistischen buddhistischen Gruppen Facebook mit anti-muslimischen Beiträgen. Sie verbreiteten Falschinformationen zu einer bevorstehenden Machtübernahme durch Muslim*innen und stellten die Angehörigen der Rohingya als Eindringlinge dar. 

Die von den Vereinten Nationen entsandte unabhängige internationale Untersuchungsmission zu Myanmar ist zu dem Schluss gekommen, dass die sozialen Medien in einem Land, in dem «Facebook das Internet ist», eine «signifikante Rolle» in Bezug auf die Gräueltaten gespielt haben.

Facebooks Untätigkeit

Der Bericht von Amnesty International legt detailliert dar, wie Meta es in Bezug auf seine Tätigkeiten in Myanmar immer wieder versäumt hat, seinen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten gemäss internationalen Standards nachzukommen.

Interne Untersuchungen aus dem Jahr 2012 legen nahe, dass Meta bewusst war, dass die eingesetzten Algorithmen zu schwerwiegenden Problemen in der realen Welt führen könnten. 2016 wurde im Rahmen eigener Recherchen in Bezug auf Extremismus eingeräumt, dass «unsere Empfehlungs-Systeme das Problem verstärken».

Örtliche zivilgesellschaftliche Aktivist*innen haben sich zwischen 2012 und 2017 schriftlich und bei Besuchen mehrfach an Meta gewandt und davor gewarnt, dass das Unternehmen zu extremer Gewalt in der analogen Welt beitragen könnte. 2014 blockierten die myanmarischen Behörden kurzzeitig Facebook wegen der Rolle der Plattform bei einem Ausbruch ethnischer Gewalt in Mandalay. Meta ignorierte jedoch wiederholt die Warnungen und versäumte es zudem, seine Richtlinien zu Hate Speech anzuwenden. 

Amnesty International startet heute eine neue Kampagne, mit der Meta Platforms, Inc. aufgefordert wird, den von Vertreter*innen der Rohingya gestellten Forderungen nach Entschädigung nachzukommen.

Geflüchtete Rohingya haben von Meta Entschädigung in Höhe von einer Million US-Dollar zur Finanzierung eines Bildungsprojekts im Flüchtlingslager im Distrikt Cox´s Bazar in Bangladesch beantragt. Die geforderte Summe entspricht lediglich ca. 0,002 Prozent des 2021 von Meta erzielten Gewinns von 46,7 Milliarden US-Dollar. Im Februar 2021 lehnte Meta den Antrag mit der Begründung ab, Facebook beteilige sich «nicht direkt an philanthropischen Aktivitäten».

Derzeit sind mindestens drei verschiedene Entschädigungsklagen von Rohingya gegen Meta hängig. Im Dezember 2021 wurden sowohl in den USA als auch in Grossbritannien zivilrechtliche Verfahren gegen das Unternehmen eingeleitet. Rohingya-Jugendgruppen haben zudem bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Klage gegen Meta eingereicht. Diese wird derzeit vor der Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze überprüft.

Am 29. September ist auch der erste Jahrestag der Ermordung des bekannten Aktivisten Mohib Ullah, Vorsitzender der Organisation «Arakan Rohingya Society for Peace and Human Rights». Mohib Ullah stand bei den Bemühungen der Rohingya-Gemeinschaft, Meta zur Verantwortung zu ziehen, an vorderster Front.