Das Oberlandesgericht Koblenz hat am 24. Februar den Angeklagten Eyad A. wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Folter und schwerwiegender Freiheitsberaubung zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Amnesty International begrüsst das Urteil als wichtiges Signal gegen die Straflosigkeit und einen ersten Schritt in Richtung Gerechtigkeit für die syrische Bevölkerung. Die Schweiz und andere Staaten müssen dem Beispiel Deutschlands folgen.
Historisches Urteil
Das Urteil wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Oberlandesgericht in Koblenz ist historisch: Zum ersten Mal hat ein Gericht in einem rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt, dass ein ehemaliger Funktionär der Assad-Regierung schwerste Verbrechen begangen hat und ihn dafür verurteilt. Das setzt ein wichtiges Signal: Die internationale Gemeinschaft toleriert diese seit vielen Jahren bekannten Verbrechen nicht und zieht diejenigen zur Verantwortung, die sich strafbar gemacht haben. Aber nicht nur die Verurteilung, bereits der Prozess selber war und ist ein wichtiger Schritt hin zur Gerechtigkeit. Die Fakten zu den unmenschlichen Haftbedingungen, Folter und Tötungen in Syrien, die das Gericht festgestellt hat, sind nicht zu leugnen. Die mutigen Aussagen von Zeug*innen, die unter der Assad-Regierung gelitten haben, wurden gehört. Das ist auch der unermüdlichen Arbeit syrischer Menschenrechtsaktivist*innen zu verdanken, die mit grossem persönlichem Einsatz und häufig unter Lebensgefahr für Gerechtigkeit gekämpft haben.
Erst ein Anfang
Das Verfahren gegen Eyad A. ist ein Anfang. Es hat eindrucksvoll gezeigt, wie Zehntausende Menschen unrechtmässig in Gefängnissen und Haftanstalten der syrischen Regierung inhaftiert, gefoltert und getötet wurden. Daran waren mehr Personen beteiligt als Eyad A. und Anwar R., dessen Verfahren vor dem Oberlandesgericht Koblenz weiterläuft. Die Regierung von Bashar Al Assad begeht auch weiterhin schwerste Menschenrechtsverletzungen. Amnesty International fordert deshalb, dass die Schweiz und andere Staaten dem Beispiel Deutschlands folgen. Auf dem Verfahren gegen Eyad A. und den dort gesicherten Beweisen aufbauend, müssen sie weitere Ermittlungen und Verfahren nach dem Weltrechtsprinzip anstrengen, um den zahllosen Opfern der Assad-Regierung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Hintergrund
Am 23. April 2020 begann vor dem Oberlandesgericht Koblenz der weltweit erste Prozess zu Staatsfolter in Syrien. Die Anklage auf Grundlage des Weltrechtsprinzips gegen zwei ehemalige Funktionäre, Anwar R. und Eyad A., des syrischen Geheimdiensts, war damit ein historischer Meilenstein im Kampf gegen Straflosigkeit. Das Verfahren gegen Eyad A. wurde vom Hauptverfahren abgetrennt. Er wurde am 24. Februar 2021 wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Der Prozess gegen den Hauptangeklagten Anwar R. wird fortgesetzt.
Amnesty International dokumentiert seit Jahren das Ausmass der Menschenrechtsverletzungen aller am bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien in Syrien. Die Assad-Regierung ist nach Einschätzung von Amnesty International für Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei der Niederschlagung der friedlichen Proteste im Arabischen Frühling 2011 und für Kriegsverbrechen im Rahmen des bewaffneten Konfliktes verantwortlich.
Die Ermittlungen von Amnesty International belegen, dass der syrische Geheimdienst seit Jahrzehnten in einem Ausmass systematische Folter eingesetzt hat, wonach der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllt ist. Aus den Ermittlungen von Amnesty International zu den unmenschlichen Zuständen in syrischen Militärgefängnissen, einschliesslich im Gefängnis Saydnaya bei Damaskus, ergibt sich ein Bild des Grauens von systematischer Folter und Erniedrigung, sexualisierter Gewalt, sowie Nahrungs- und Wasserentzug. Auf Anordnung von höchster Stelle wurden Tausende Häftlinge systematisch hingerichtet oder durch Folter und Verhungern Lassen getötet.
Die syrische Regierung hat das Leben von Hunderttausenden von Menschen durch willkürliche Inhaftierungen, systematische Folter und Hinrichtungen, gewaltsames «Verschwindenlassen», Angriffe mit Bomben und chemischen Waffen zerstört. Weltweit warten unzählige Syrer*innen auf ein Zeichen, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.