Am 10. Januar beginnt der Prozess gegen die Seenotretter*innen Seán Binder und Sarah Mardini. Im Vorfeld fordert Amnesty International die griechischen Behörden erneut auf, alle Anklagen gegen die beiden fallen zu lassen.
Seán Binder ist ausgebildeter Rettungstaucher, die Aktivistin Sarah Mardini ist selbst aus Syrien geflohen. Ihre Geschichte wurde durch die Netflix-Produktion „Die Schwimmerinnen“ einem breiten Publikum bekannt. Jetzt stehen die beiden Freiwilligen zusammen mit 22 anderen Mitgliedern der Seenotrettungs-NGO, für die sie tätig waren, vor Gericht. Sie sehen sich unfairen und unbegründeten Anschuldigungen ausgesetzt, nur weil sie Flüchtlingen und Migrant*innen geholfen haben, die im Meer zu ertrinken drohten.
Lesen Sie die Geschichte von Sarah Mardini und Seán Binder im AMNESTY-Magazin der Menschenrechte von Dezember 2019: Haft fürs Helfen
«Wenn ich nur deswegen kriminalisiert werden kann, weil ich Wasserflaschen und ein Lächeln verteile, dann kann das allen passieren. In diesem Prozess geht es nicht um mich und Sarah oder gar die 22 anderen Angeklagten. Vielmehr versuchen die griechischen Behörden mit diesem Prozess, Mitgefühl für andere zu unterbinden und Menschen daran zu hindern, Sicherheit zu suchen. Aber ich vertraue darauf, dass die Gerechtigkeit siegen wird und wir wieder ein normales Leben führen können», sagte Seán Binder.
«Wenn ich nur deswegen kriminalisiert werden kann, weil ich Wasserflaschen und ein Lächeln verteile, dann kann das allen passieren.» Seán Binder
Nils Muižnieks, Regionaldirektor für Europa bei Amnesty International, sagte: «Sarah und Seán taten, was wir alle an ihrer Stelle tun müssten. Menschen zu helfen, die auf einem der tödlichsten Seewege Europas zu ertrinken drohen, und ihnen an der Küste beizustehen, ist kein Verbrechen. Dieser Prozess zeigt, dass die griechischen Behörden bis zum Äussersten gehen, um humanitäre Hilfe zu verhindern und Migrant*innen und Flüchtlinge davon abzuhalten, an der Küste des Landes Schutz zu suchen. Das ist leider in vielen europäischen Ländern der Fall. Es ist eine Farce, dass dieser Prozess überhaupt stattfindet. Alle Anklagen gegen die Seenotretter*innen müssen sofort fallengelassen werden.»
Seán Binder und Sarah Mardini verbrachten nach ihrer Festnahme im August 2018 mehr als 100 Tage im Gefängnis, bevor sie gegen Kaution freigelassen wurden. In dem bevorstehenden Prozess geht es um Straftaten wie Spionage und Fälschung, die mit bis zu acht Jahren Gefängnis bestraft werden können.
Zusätzlich ist gegen die beiden Aktivist*innen ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen unbegründeter Anschuldigungen wie Schlepperei, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Geldwäsche anhängig. Ihnen droht eine Höchststrafe von 20 Jahren. Die Ermittlungen laufen nun schon seit über vier Jahren, seitdem liegt ihr Leben auf Eis.
Hintergrund
Sarah Mardini
Sarah Mardini kam 2015 auf demselben Weg nach Lesbos wie die Menschen, denen sie später half. Auf ihrer Flucht aus Syrien war sie mit ihrer Schwester Yusra auf dem Mittelmeer in Seenot geraten. Nach dem Ausfall des Schiffsmotors hatten die beiden geübten Schwimmerinnen das sinkende Boot hinter sich hergezogen, an Land gebracht und so den 18 Mitreisenden das Leben gerettet. Yusra schwamm später für das Team Refugees bei den Olympischen Spielen. Die Geschichte der Schwestern inspirierte die Netflix-Produktion «Die Schwimmerinnen».
2016 kehrte Sarah Mardini nach Griechenland zurück und arbeitete als Freiwillige bei einer griechischen Seenotrettungsorganisation, wo sie Seán Binder kennenlernte. Heute lebt und studiert sie in Berlin.
Seán Binder
Seán Binder besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, ist jedoch in Irland aufgewachsen. Der ausgebildete Rettungstaucher hat vor der griechischen Insel Lesbos zahlreichen Migrant*innen und Flüchtlingen das Leben gerettet. Lesbos ist für Geflüchtete eine der wichtigsten Anlaufstellen für die Einreise nach Europa. Seán Binder arbeitet derzeit in London.
Der Prozess, der am 10. Januar vor dem Berufungsgericht der Nördlichen Ägäis in Lesbos stattfinden soll, war im November 2021 aus verfahrenstechnischen Gründen vertagt worden. Es wird erwartet, dass der Prozess Wochen oder sogar Monate dauern wird.