Den Entscheid des Obersten Gerichtshofs kommentiert Julia Hall, stellvertretende Direktorin für Recherchen zu europäischen Staaten bei Amnesty International, mit folgenden Worten:
«Die Entscheidung ist ein schwerer Schlag für Julian Assange und für die Justiz. Der Oberste Gerichtshof hat die Gelegenheit verpasst, zu klären, ob Grossbritannien die diplomatischen Zusicherungen, dass Julian Assange keine Folter droht – die schwere Mängel aufweisen – akzeptiert oder nicht. Solche Zusicherungen sind von Natur aus unzuverlässig und bergen die Gefahr, dass die Betroffenen nach einer Auslieferung oder Überstellung schwer misshandelt werden.»
«Verlängerte Einzelhaft ist für viele Menschen in US-Hochsicherheitsgefängnissen dramatische Lebensrealität. Nach dem Völkerrecht kommt sie Folter oder anderer Misshandlung gleich. Das Verbot von Folter und anderen Misshandlungen ist jedoch absolut, und leere Versprechungen einer fairen Behandlung, wie sie die USA im Fall Julian Assange gemacht haben, drohen dieses internationale Verbot zu untergraben.»
«Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, Julian Assange die Einlegung von Rechtsmitteln zu verweigern, ist auch mit Blick auf die Pressefreiheit eine schlechte Nachricht, da sie den von den USA eingeschlagenen Weg der Verfolgung von Medienschaffenden wegen Spionage nicht in Frage stellt. Die Forderung, dass Staaten wie Grossbritannien Personen ausliefern, weil sie geheime Informationen veröffentlichen, die im öffentlichen Interesse liegen, stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar und muss zurückgewiesen werden. Die USA sollten die Anklagen gegen Julian Assange sofort fallen lassen.»
Hintergrund
Im Dezember 2021 entschied das Hohe Gericht (High Court) in London, dass Julian Assange ausgeliefert werden kann. Grundlage dieser Entscheidung waren angebliche Versprechungen seitens der USA, dass er im Gefängnis geschützt werden sollte. Die USA hatten schriftlich versichert, dass Julian Assange, sollte er ausgeliefert werden, nicht in einem Hochsicherheitsgefängnis untergebracht oder besonderen Haftbedingungen (Special Administrative Measures, SAMs) unterworfen werden würde. Zu solchen Massnahmen gehört auch die verlängerte Einzelhaft, die nach dem Völkerrecht der Folter gleichkommen kann. Ausserdem versicherten sie, dass er angemessen medizinisch versorgt werden würde. Doch die Versicherungen enthalten einen Vorbehalt: Sollte Julian Assange in Zukunft irgendetwas tun, das doch erfordern würde, ihn den SAMs zu unterwerfen oder in ein Hochsicherheitsgefängnis zu verlegen, behielten sich die USA das Recht vor, dies auch zu tun.